Die einstige Erstbundesligistin Lena Schrum im Interview über ihre Fußballkarriere, Handlungsbedarf im Frauenfußball und ihr nachhaltiges Beratungsunternehmen
Früher wandelte sie Torchancen um, heute begleitet sie Unternehmen beim Wandel in Richtung Nachhaltigkeit und setzt sich als Aufsichtsrätin beim HSV für mehr Diversität und Nachhaltigkeit im Fußball ein. Die Rede ist von Lena Schrum. Als gebürtiges Nordlicht kam sie 1991 in Heide zur Welt, wuchs in Dörpling auf und lernte im eigenen Garten den Fußball lieben. Nach ihrem Abitur am Werner-Heisenberg-Gymnasium studierte sie neben ihrer Sportkarriere Sportmanagement und -kommunikation und absolvierte anschließend den Master Marketingmanagement. Heute lebt sie im pulsierenden Berlin und ist Co-Founderin und Co-CEO bei der Nachhaltigkeitsplattform aware_THEPLATFORM. An ihrer Heimat Heide vermisst sie neben Familie und Freunden am meisten die Nähe zum Meer und die Kohltage.
Lena, in jungen Jahren blickst du bereits auf eine beeindruckende Fußballkarriere zurück. Welche Momente haben sich für immer in dein Herz geschrieben?
Der schönste Moment, den ich in meiner sportlichen Laufbahn erleben durfte, war der Aufstieg mit dem 1. FC Köln in die 1. Bundesliga in der Saison 2014/15. Wir hatten in den Jahren zuvor immer um den Aufstieg gekämpft, ihn aber knapp verpasst. Umso erlösender und emotionaler war der finale Aufstieg.
Wann hast du begonnen, Fußball zu spielen und wieso hast du dich für eine Vereinsmitgliedschaft entschlossen?
Ich habe schon sehr früh als kleines Mädchen angefangen, mit meinem älteren Bruder Thies (1,5 Jahre älter) im Garten Fußball zu spielen. Mein Bruder spielte im Verein und ich stand immer am Seitenrand und habe zugeguckt. Eines Tages hatte das Team meines Bruders zu wenig Spieler dabei und so wurde mir ein Trikot über- und Sportschuhe angezogen. Mein erstes Fußballspiel habe ich also eher durch Zufall bestritten. Da muss ich etwa fünf Jahre alt gewesen sein. Damit war das Feuer entfacht und ich trat nach diesem Spiel dem Team meines älteren Bruders bei.
Gab es einen Schlüsselmoment, der dir offenbarte, Profi werden zu wollen oder ist deine Karriere organisch gewachsen?
Als kleines Mädchen habe ich nie davon geträumt, Profi-Fußballerin zu werden. Es hat sich eher organisch entwickelt. Als Kind und Jugendliche habe ich lange Zeit Fußball, Tennis und Handball parallel gespielt. Als ich dann sowohl im Handball als auch im Fußball in die Auswahlmannschaften berufen wurde, musste ich mich für eine Sportart entscheiden und entschied mich für den Fußball. Ein Schlüsselmoment in meiner sportlichen Laufbahn war Holstein Kiel. Mit meinem Wechsel in die 2. Bundesliga wechselte ich gleichzeitig in ein professionelleres Umfeld und entwickelte eine gute Basis für meine sportliche Laufbahn. Der nächste Schlüsselmoment war dann der Wechsel zum 1. FC Köln. In Köln konnte ich mich durch den größeren Fokus auf den Fußball sportlich besser entfalten. Mehr Trainingseinheiten, diversere Trainingsangebote, mehr Individualisierung. Das war ein sehr wichtiger Schritt in meiner Karriere.
Welche Rolle hat deine Familie bei deiner Karriere gespielt?
Meine Familie spielte eine wichtige Rolle in meiner sportlichen Karriere. Zum einen führte mich mein Bruder an den Fußball heran. Zum anderen fuhren meine Eltern mich zu allen Trainingseinheiten und Meisterschaftsspielen. Hätte meine Mutter mich damals nicht viermal die Woche von Heide nach Kiel zum Training gefahren, wäre ich niemals in der Bundesliga gelandet.
Was schätzt du am Mannschaftssport?
Am Mannschaftsport schätze ich vor allem die Verbundenheit, das Verfolgen eines gemeinsamen Ziels und den gemeinsamen Weg dorthin. Mannschaftssport ist meines Erachtens die perfekte Grundlage für die Entwicklung eines jedes Menschen. Er stärkt soziale Fähigkeiten wie Teamgeist, Loyalität, Respekt, Toleranz, Fairness und Konfliktfähigkeit. Und natürlich sportspezifische Fähigkeiten wie Ehrgeiz, Ausdauer und Zielstrebigkeit.
Hattest du prägende Vorbilder?
Ich hatte kein bestimmtes Vorbild, aber bewundert habe ich Birgit Prinz, weil sie als erste deutsche Frau im Fußball wirkliche Anerkennung genossen hat.
Was waren die Highlights deiner Karriere und gab es auch Tiefpunkte?
Ein Highlight war der Aufstieg mit dem 1. FC Köln in die 2. Bundesliga. Ich würde nicht von Tiefpunkten reden, weil jede Erfahrung wichtig für die weitere Entwicklung ist. Lehrreiche Momente waren zum einen der direkte Abstieg in die 2. Bundesliga mit dem 1. FC Köln sowie Verletzungen im Laufe der Karriere. Doch ich bin dankbar für all diese Momente, weil sie am Ende meinen Charakter geformt haben. Der richtige Umgang mit Siegen und Niederlagen hilft mir heute im beruflichen Kontext sehr.
Gab es Punkte, an denen du Zweifel hattest, weitermachen zu wollen? Was hat dich motiviert, wieder aufzustehen?
Gerade während Verletzungsphasen kommt man stark ins Grübeln, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Sobald Zweifel aufkamen, hat mich die Liebe zum Fußball und der Rückhalt des Teams motiviert, weiterzumachen und noch härter an mir zu arbeiten. Als ich aber an den Punkt kam, dass die Leidenschaft für eine aktive sportliche Karriere erlisch, habe ich die Entscheidung gefällt, meine Karriere zu beenden.
Wie steht es um den Frauenfußball heute? Was läuft gut?
Der Frauenfußball hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Die diesjährige EM war beeindruckend. Der Sport wird immer attraktiver – schneller, körperlicher, taktisch sowie technisch anspruchsvoller. Es macht einen riesen Spaß zuzuschauen. In Bezug auf die Rahmenbedingungen – infrastrukturell sowie monetär – hat sich auf nationaler Ebene schon sehr viel getan. „Equal Pay“ wurde im Rahmen der EM stark diskutiert. Nationen wie beispielsweise Spanien, England oder Norwegen gehören zu den Ländern, die bereits Vereinbarungen über die Lohngleichheit zwischen ihren Männer- und Frauenmannschaften getroffen haben.
Wo siehst du Handlungsbedarf?
Trotz der großen Fortschritte auf nationaler Ebene bleibt ein Kernproblem in Deutschland bestehen: die großen Leistungsunterschiede in der Bundesliga. Anders als in der höchsten Spielklasse der Männer gibt es bei den Frauen viele Spielerinnen, die nicht allein von ihren Einnahmen aus dem Fußball leben können. Ich habe es selbst als Spielerin erlebt – wenn man neben dem Profisport studiert und arbeitet, ist man niemals in der Lage, das volle Leistungspotenzial auszuschöpfen. Hier sind wir noch weit entfernt von Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Auch bei den Funktionsgebäuden gibt es große Unterschiede, etwa bei den Trainingsplätzen und den Umkleideräumen. Viele Vereine haben keine Vollzeit-Angestellten oder Physiotherapeuten. Es sind diese kleinen Dinge, die geändert werden müssen, um die Chancengleichheit zu verbessern. Bei einigen Vereinen, wie zum Beispiel Wolfsburg oder Bayern, herrschen schon professionellere Bedingungen. Bei anderen, kleineren Vereinen ist noch viel Luft nach oben. Diese Ungleichheit innerhalb der Frauen-Bundesliga wäre das erste, das verändert werden müsste.
Welchen Tipp gibst du aufstrebenden Sportlerinnen mit dem gleichen Traum?
Glaubt an euch, arbeitet hart und sucht euch ein Umfeld, in dem ihr wachsen könnt.
Heute bist du Aufsichtsrätin beim HSV. Was möchtest du in dieser Funktion bewirken?
Ich möchte mit meiner Erfahrung als Profifußballerin und Gründerin einer Nachhaltigkeitsplattform dazu beitragen, die Transformation im Bereich Nachhaltigkeit und Diversität weiter voranzutreiben. Es ist mir eine besondere Freude, meine Vergangenheit und meine Gegenwart mit meiner Leidenschaft, dem Sport, zu vereinen. Der Sport steht größtenteils noch am Anfang der Entwicklung im Bereich ESG, hat aber ein enormes Potenzial, gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. (Anm. d. Red: ESG steht für die Berücksichtigung von Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance).)
Du bist Co-Founderin und Co-CEO bei der Nachhaltigkeitsplattform aware_THEPLATFORM in Berlin. Worum dreht sich deine Arbeit?
Wir haben es uns zur Mission gemacht, Unternehmen eine Guidance auf ihrem Weg in die Nachhaltigkeit zu geben. aware_ THE PLATFORM gibt Unternehmen, Politik, Wirtschaft und Privatpersonen einen schematischen Überblick sowie Impulse auf einer Plattform, um Transparenz und Orientierung in Sachen Nachhaltigkeit zu schaffen. Wir haben eine E-Learning Akademie ins Leben gerufen, um Mitarbeiter in den Bereichen ESG (Environment, Social, Governance) fortzubilden und sie somit zu befähigen, die Nachhaltigkeitsstrategien ihres Unternehmens umzusetzen.
Was hat in dir den Drang ausgelöst, etwas im Bereich Nachhaltigkeit bewegen zu wollen?
Ich bin mit dem Thema Nachhaltigkeit aufgewachsen. Mein Vater ist Unternehmer im Bereich Regenerative Energien und zudem bin ich auf einem Bauernhof groß geworden – selbst produzierte saubere Energie, regionale Nahrungsmittel, naturnah, behütet. Als ich von zuhause wegzog und die Welt kennenlernte, realisierte ich, dass mein behütetes Leben nicht der Norm entspricht. Reisen, beispielsweise nach Indonesien oder Thailand und der Blick auf verdreckte Meere, ließen mich aus einer Sportler-Bubble aufwachen. Ich realisierte, dass ich meine Expertise und meine Energie nutzen möchte, um etwas zu bewegen. Wenn auch nur in meinem kleinen Wirkungskreis. Die Klimakrise ist die größte Herausforderung unserer Gesellschaft und wir sollten alle zusammen bei der Bewältigung dieser Krise anpacken.
Was bietet deine Heimat Heide, was Berlin nicht bietet und worauf freust du dich besonders, wenn du nach Hause kommst?
Ganz wichtig: Die Nähe zum Meer. Und natürlich meine Familie. Dithmarschen ist meine Heimat und ich freue mich jedes Mal, wenn ich nach Hause komme und dem Trubel der Großstadt entfliehen kann. Dieses Jahr habe ich tatsächlich das erste Mal Urlaub in der Heimat gemacht – konnte ich mir damals als Jugendliche nicht vorstellen. Früher wollte ich so schnell wie möglich raus in die weite Welt. Heutzutage genieße ich die Ruhe und die Nähe zur Natur zum Entschleunigen.
Was tust du gerne, wenn du nicht gerade den HSV oder Unternehmen berätst?
Ich verbringe die Zeit gerne mit meiner Familie und Freunden. Und nicht zu vergessen, Hansi, meinem Hund. Außerdem besitzt der Sport immer noch eine große Bedeutung in meinem Leben. Zwar spiele ich nicht mehr aktiv Fußball, aber es gibt so viele andere tolle Sportarten – Basketball, Tennis, Yoga oder einfach nur Laufen.
Studienmöglichkeiten für das Fach Sportwissenschaften auch für Spitzensportler: an der MSH Medical School Hamburg.
TEXT Kristina Krijom
FOTO aware THE PLATFORM GmbH
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Dieser Beitrag ist auch in der HIERGEBLIEBEN-Ausgabe 2022/02 erschienen. Zum nächsten Artikel über das Schulschiff Thor Heyerdahl, geht es hier.