„Vom kommenden Sieg der Demokratie“: Thomas Mann feiert Jubiläum

„Vom kommenden Sieg der Demokratie“: Thomas Mann feiert Jubiläum

Thomas Manns 150. Geburtstag, am 6. Juni 2025, ist Anlass, Person und Werk des Nobelpreisträgers ausgiebig zu würdigen.

ME2BE möchte die Gelegenheit nutzen, auf einen Vortrag Thomas Manns aufmerksam zu machen, den er im Frühjahr 1938 in 15 amerikanischen Städten gehalten hat und der im Bermann-Fischer Verlag in Stockholm im selben Jahr unter dem Titel „Achtung Europa!“ erschien.

In seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918) hatte Thomas Mann noch den Obrigkeitsstaat verteidigt, wurde aber in der Weimarer Republik von Beginn zu einem leidenschaftlichen Vertreter der Demokratie. Der Titel des Vortrages postuliert eine unmissverständliche Warnung. Uns erscheint er auch deshalb –  im Sinne Thomas Manns – von ‚zeitloser‘ Bedeutung, weil im Begriff der „Achtung“ nicht nur die Warnung gemeint ist, sondern ebenso die des Gefühls der Wertschätzung. Im Folgenden möchten wir Thomas Mann selbst zu Wort kommen lassen:

Eulen nach Athen tragen?

Meine Damen und Herren, […] Wie ein Mann, der Eulen nach Athen trägt, komme ich mir ein wenig vor, da ich mich anschicke in Amerika über Demokratie zu sprechen. Es sieht so aus, als wüßte ich nicht, daß ich mich im klassischen Lande der Demokratie befinde, wo die Gesinnung und Gesellschaftsverfassung, […] recht eigentlich zu Hause und jedermanns eingefleischte Überzeugung, kurzum eine herrschende Selbstverständlichkeit ist, über die der amerikanische Mensch keiner Belehrung bedarf – von einem Europäer gewiß nicht. […]

Die Hauptstärke, die eigentliche Verführungskraft der Ideen und Tendenzen, die heute die Demokratie bedrohen, […] ist ihr Neuigkeitsreiz. […]

Dennoch hat der Faszismus, seine schreiende Jugendlichkeits-Propaganda, sein Reklametrick, die Demokratie als vergreist, verrottet, überlebt, abgestanden und gähnend langweilig, sich selber aber als höchst lustig und prall von Leben und Zukunft hinzustellen, die uns allen bekannten Erfolge aufzuweisen. […] Der Faszismus ist ein Kind […] der Zeit und schöpft aus der Zeit, was er an Jugend besitzt. Die Demokratie aber ist zeitlos-menschlich, und Zeitlosigkeit bedeutet immer ein Maß von potentieller Jugend […].

„Diese Geheimniswürde des Menschen …“

[…] jede Bestimmung der Demokratie ist ungenügend für den Glauben an sie – die sich im bloß Technisch-Politischen hält. […]

Man muß die Demokratie als diejenige Staats- und Gesellschaftsform bestimmen, welche vor jeder anderen inspiriert ist von dem Gefühl und Bewusstsein der Würde des Menschen. […].

Die Demokratie […] meint es jedenfalls gut mit den Menschen. Sie möchte sie heben, denken lehren und befreien, […] – mit einem Worte: sie ist auf Erziehung aus. Erziehung ist ein optimistisch-menschenfreundlicher Begriff, – die Achtung vor dem Menschen ist untrennbar von ihm.

Sein menschenfeindlicher, menschenverächterischer Gegenbegriff heißt Propaganda. Diese soll verdummen, betäuben, einebnen, ‚gleichschalten‘, […] um das diktatorische System an der Macht zu erhalten. […] In den Händen der Diktatur jedenfalls ist Propaganda ein Instrument zynischer Menschenverachtung. […]

Die Demokratie ist im ganzen nachweit entfernt, sich eine deutliche Vorstellung von dieser faszistischen Konzentration, dem totalen Staat, seinem Fanatismus, seiner Unbedingtheit zu machen […]. Dennoch muß sie das Neue, das damit in die Welt gekommen ist, in seiner durchaus bösartigen Neuheit begreifen, um dagegen bestehen zu können. Ihre Gefahr ist die humane Illusion, der gute Glaube, dies neue Wesen, werde mit sich reden lassen, es sei durch Nachgiebigkeit, Entgegenkommen, loyale Zugeständnisse für die Idee des Friedens und des kollektiven Umbauens zu gewinnen. Dies ist ein gefährlicher Irrtum […]. Demokratie und Faszismus wohnen gleichsam auf verschiedenen Sternen, oder besser gesagt: sie leben in verschiedenen Zeitaltern. […]

„Was not tut, ist eine Humanität des Willens“

Ich sage mit einfachen Worten, was not tut. Es ist eine Reform der Freiheit […]. Die Reform, die ich meine, muß eine soziale Reform, eine Reform des sozialen Sinnes sein: nur durch eine solche kann die Demokratie dem Faszismus und auch dem Bolschewismus den Wind aus den Segeln nehmen, kann sie der Diktatur den bloß zeitlichen und stark lügenhaften, aber werbekräftigen Jugendlichkeitsvorsprung abgewinnen. Und zwar muß diese soziale Reform der geistigen sowohl wie der ökonomischen Freiheit gelten. […]

Die Freiheit […] muß lernen, […] sich gegen ihre Todfeinde zu wehren muß endlich, nach den bittersten Erfahrungen begreifen, daß sie mit einem Pazifismus, der eingesteht, den Krieg um keinen Preis zu wollen, den Krieg herbeiführt statt ihn zu bannen […].

QUELLE Thomas Mann: Vom kommenden Sieg der Demokratie (1938), Frankfurt Main 1946

LITERATUR Kai Sina: Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist, Berlin 2024

TEXT Erhard Mich, FOTO Nobelprize.org