Ein Interview mit der Schulleiterin der Ferdinand-Tönnies-Schule Katrin Humbroich
Ferdinand Tönnies war ein deutscher Soziologe, Nationalökonom und Philosoph und gilt mit seinem 1887 erschienenen Hauptwerk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ als Begründer der Soziologie in Deutschland. Wie passend also der Name für eine Gemeinschaftsschule ist, da sich die Soziologie doch mit dem Zusammenleben von Menschen beschäftigt, also der Gemeinschaft. Neben dem Vermitteln von Wissen, mit dem Ziel, dass jede Schülerin und jeder Schüler einen Schulabschluss ablegt, geht es an der inklusiven FTS vor allem darum – die Gemeinschaft: Um eine Gemeinschaft, in der die Stärken des Einzelnen gefördert werden und Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen begleitet werden. ME2BE hat mit der kommissarischen Schulleiterin Katrin Humbroich gesprochen und erfahren, für welche Werte die FTS steht, wie es im Bereich Siegel und Berufsorientierung aussieht und was sie für die Zukunft erhofft.
Frau Humbroich, welche Ausrichtung hat die Ferdinand-Tönnies-Schule?
Unsere Schule steht für Vielfalt, das bedeutet für uns eine individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler gemäß ihrer Begabungen, ihres Leistungsvermögens und ihrer persönlichen Biografien. Augenmerk schenken wir dem inklusiven Gedanken. Beispielsweise lernen bei uns auch Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in unserer sogenannten Campus-Klasse. Neuerdings sind wir auch Kooperationsschule für das Projekt UNO 3.0, in dem Kinder, die im gängigen Schulsystem Probleme hatten, in ihrer Schulfähigkeit unterstützt werden, sodass sie wieder am Regelschulbetrieb teilnehmen können. Unsere Aufgabe ist es hier, für die Wiedereingliederung zu sorgen. Unsere inklusive Schule vereint Kinder mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen – als Schule möchten wir diesen Kindern offen begegnen. Damit das funktioniert, legen wir großen Wert auf die gute, konstruktive und wertschätzende Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern, aber auch zwischen den verschiedenen Kollegien aus Lehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern und dem Kollegium des sogenannten Plan Bs, Pädagoginnenen und Pädagogen des diakonischen Werks, die uns unterstützen und eingesetzt werden, wenn Bedarf besteht. Uns ist wichtig, dass unsere multiprofessionellen Teams vernetzt sind und dieses Modell Schule macht.
Warum sind Sie gerade an dieser Schule als Schulleitung tätig?
Aktuell bin ich bereits im zweiten Jahr kommissarische Schulleiterin, kann aber auf große Unterstützung im Kollegium vertrauen. Ich komme aus Husum, wohne in der Gegend und liebe unsere Schule sehr, daher übernehme ich die Verantwortung auch gerne übergangsweise. Als die Hauptschulen damals in den Gemeinschaftsschulen aufgingen, habe ich an der Ferdinand-Tönnies-Schule angefangen, arbeite hier nun bereits seit elf Jahren und war früh als Koordinatorin in der erweiterten Schulleitung aktiv.
Was ist Ihnen als Schulleiterin besonders wichtig an der FTS?
Es wäre toll, wenn die Digitalisierung der Schule schneller voranginge – das wünschen sich die meisten Schulen. Die Vermittlung von Werten und ein wertschätzender Umgang liegt uns am Herzen. Des Weiteren sind wir zertifizierte Schule im Bereich LDE – „Lernen durch Engagement“. Ziel unserer Arbeit ist es hier, dass Schülerinnen und Schüler ihren Lernprozess wieder selbstständiger gestalten und sich durch projektorientiertes Arbeiten und Teamwork selbst dafür verantwortlich fühlen. Eigenverantwortung und Teamfähigkeit sind enorm wichtig für die Ausbildung und das anschließende Berufsleben.
„Wir leben die Einsicht, dass jede und jeder etwas anderes besser kann und fördern die erkannten Stärken.“
Welchen Stellenwert besitzt der Berufsorientierungsunterricht an Ihrer Schule?
Er ist enorm wichtig und wir haben mit Herrn Borck einen BO-Lehrer, der sich sehr gut vernetzt hat und engagiert einsetzt. Den Schülerinnen und Schülern bieten wir unsere hausinterne Messe, begleiten Praktika und nehmen zusätzliche Angebote wahr – ob Lehrstellen-Rallye, Praktikumsberatung Westküste, BIZ (Anm. d. Red.: Berufsinformationszentrum), JBA (Anm. d. Red.: Jugendberufsagentur), Berufscoaches, die unsere Schule regelmäßig besuchen. Wo man Berufsorientierung in der Region finden kann, sind wir vertreten. Richtig los geht es mit den Praktika in Stufe acht. Doch auch LDE und projektorientiertes Lernen fördern die Schülerinnen und Schüler darin, sich früh dahingehend zu entwickeln, was nachher im Beruf gefragt ist. Kein einfacher Weg, aber ein wichtiger. In diesem Zusammenhang spielt auch die Lesekompetenz eine große Rolle, denn ohne gute Lesekompetenz, ist Schulerfolg insgesamt schwierig.
Verfolgen Sie aktuell besondere Projekte an Ihrer Schule?
Wir streben die Zertifizierung als nachhaltige Schule an – ein nicht ganz unkomplizierter Prozess. Eingeläutet haben wir dieses Vorhaben just mit einem Projekttag mit dem Titel „Fairness beginnt vor dem Anpfiff“, der sich mit der nachhaltigen Produktion von Fußbällen beschäftigte. Außerdem haben wir eine Arbeitsgruppe einberufen. Die Zertifizierung hat am Ende Einfluss auf die Mensaverkäufe, den Strom, aber auch Dinge wie nachhaltige Schul-T-Shirts.
Welche Siegel trägt Ihre Schule bereits?
Wir sind LDE-Schule, Nationalparkschule, Zukunftsschule und Lesende Schule. Im Rahmen des Siegels Nationalparkschule setzten wir den Fokus auf unsere Umgebung, das Wattenmeer und klären darüber auf. Gerade hatten wir ein passendes Theaterstück zum Thema der Knutt (Anm. d. Red.: Der Knutt ist ein Brutvogel der arktischen Küstentundra. Auf dem Durchzug oder als Wintergast ist er in Schwärmen im norddeutschen Wattenmeer zu beobachten). Wir haben im Rahmen dessen auch schon Junior-Ranger ausgebildet, die Fachwissen über das Watt erlernt haben. Das Siegel Zukunftsschule steht für unterschiedliche innovative Aktivitäten, die die Schule weiterbringt – beispielsweise unsere LDE-Projekte, das Projekt Schulteich, ein gemeinsames Projekt mit dem BUND, aber auch Weiterentwicklungen im Bereich Digitalisierung. Im Rahmen des Siegels Lesende Schule veranstalten wir regelmäßig Lesewettbewerbe – auch auf Englisch.
Was macht die Ferdinand-Tönnies-Schule im Kern aus?
Uns kennzeichnet vor allem das Beziehungsklima zwischen Lernenden, Kollegien und Eltern und die Zeit, die wir zum Lernen geben. Jedes Kind darf hier erst einmal ankommen und sich entwickeln. Wir leben die Einsicht, dass jede und jeder etwas anderes besser kann und fördern die erkannten Stärken. Zudem denken wir an die Schritte nach der FTS und beginnen früh, den Schülerinnen und Schülern mögliche Wege nach der 9. oder 10. Klasse aufzuzeigen, sei es in eine Berufsausbildung, eine berufliche Schule oder eine gymnasiale Oberstufe. Wir lassen kein Kind fallen, unsere Schülerinnen und Schüler sind bei uns an der FTS gut aufgehoben.
TEXT Kristina Krijom
FOTO Reinhard Witt