Talente erkennen und durchstarten!

Talente erkennen und durchstarten!

Ein Interview mit Carmen Albertsen von der Agentur für Arbeit über Talente von morgen

Mir ist es ganz wichtig, dass Jugendliche die Berufsorientierung als etwas Positives erleben,  sagt Berufsberaterin Carmen Albertsen.

Allein in Schleswig-Holstein gab es noch im April dieses Jahres 10.500 offene Lehrstellen. Dem gegenüber steht eine hohe Abbruchquote – sowohl im Ausbildungs- als auch im Hochschulbereich. Ein nicht unwesentlicher Schlüssel zum Umgang mit dem Fachkräftemangel und um dem verbreiteten Abbrechen entgegenzuwirken, setzt neben der Attraktivitätssteigerung von Berufen und Ausbildungsstellen noch früher an: bei der Berufsorientierung. Sie kann Schülerinnen und Schüler darin unterstützen, frühzeitig eigene Talente und fachliche Vorlieben zu entdecken. An der Ferdinand-Tönnies-Schule in Husum wird, in Zusammenarbeit mit der zuständigen Berufsberaterin der Agentur für Arbeit Carmen Albertsen, sehr viel Zeit in das Ausloten individueller Perspektiven gesteckt. ME2BE hat mit ihr über ihre Arbeit und die Angebote an der Schule gesprochen.

Frau Albertsen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Bundesagentur für Arbeit haben in Zusammenarbeit mit ‚Sinus-Büro für Projektentwicklung’ seit letztem Jahr das Format ‚Stärken-Parcours auf den Weg gebracht. Ein Projekt, an dem die FTS mit den Schülerinnen und Schülern bereits ab der Jahrgangsstufe 7 teilnimmt. Was verbirgt sich hinter dem Begriff und wie sind Ihre Erfahrungen?

Der Stärken-Parcours unterstützt Schülerinnen und Schüler der 7. Jahrgangsstufe aller Gemeinschaftsschulen und der Förderzentren in Schleswig-Holstein beim Entdecken ihrer Stärken. Lehrkräfte, Erziehungsberechtigte und viele verschiedene Kooperationspartnerinnen und -partner sind in das Projekt eingebunden.
Für unser Gebiet fand dieses Event kürzlich in Rantrum statt. Schülerinnen und Schüler aller Gemeinschaftsschulen und Förderzentren aus ganz Nordfriesland waren anwesend. Im vergangenen Jahr startete der Stärken-Parcours coronabedingt digital als ‚Stärken-Pingpong’. Seit dem Schuljahr 2021/22 werden die Umsetzungen analog in einem Erlebnisparcours durchgeführt. Das handlungsorientierte Angebot fördert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ausbildungs- und Lebensweg und macht Jugendliche geschlechtersensibel ihre Alltagsstärken bewusst. Hierbei geht es also nicht in erster Linie um eine Berufswahl, das wäre ja auch noch verfrüht, sondern um eine erste Erfahrung damit, eigene Stärken zu identifizieren. An verschiedenen Stationen, wie zum Beispiel im ‚Zukunftstunnel’ oder im ‚Labyrinth’ werden auf spielerische Art alltägliche Kompetenzen erprobt. Die Ergebnisse werden mittels einer Feedbackrunde analysiert und durch die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer anschließend im Unterricht nachbereitet. Wir als Mitarbeiter der Agentur für Arbeit erleben auch eine wohlwollende Spiegelung der Jugendlichen untereinander und können dann im darauf folgenden Berufsorientierungsunterricht an dieses Erlebnis und die Ergebnisse sehr schön anknüpfen. 

Ab Klasse 9 wird es dann konkreter mit der beruflichen Orientierung. Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren bei den Schulabgängern geändert?

Die zunehmende Tendenz zur weiterführenden schulischen Ausbildung ist kein Geheimnis. Jedoch geben die Noten das nicht immer her. Hier müssen wir frühzeitig alternative Pläne entwickeln, und dafür stehe ich gerne mit Rat und Tat zur Seite. Ich kann keine Patentlösungen bieten, aber durch Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam über den Tellerrand schauen. Durch gezielte Fragen wie: Was sind deine Hobbys? Welcher Tätigkeit gehen die Eltern, die Geschwister und Menschen in deinem Umfeld nach? Wo siehst du deine persönlichen Stärken? Mit diesen und ähnlichen Fragen kann man sehr gute Alternativmöglichkeiten zur Schule erarbeiten und Lösungen anbieten. Mir ist es ganz wichtig, dass die Jugendlichen die Berufsorientierung als etwas Positives erleben. Es ist ihre Zeit und ihre Chance für eine individuelle Lebenswegplanung und sollte nicht als lästige Pflicht wahrgenommen werden!

Welche Rolle spielen die Eltern bei der Entscheidungsfindung?

Ich erlebe an der FTS den Großteil der Eltern als sehr unterstützend und wohlwollend. In der Regel stehen bei ihnen die Zufriedenheit und das Glück der Kinder im Vordergrund und nicht die Verwirklichung eigener Interessen. 

Wie sehen die Alternativen zu einer weiteren schulischen Laufbahn konkret aus und wie wirken Sie den oben erwähnten Zahlen entgegen?

Alternativen können beispielsweise eine Ausbildung sein, ein freiwilliges soziales Jahr oder ein Langzeitpraktikum, bei dem die Jugendlichen die Betriebe bis zu 12 Monate kennenlernen. Wir als Arbeitsagentur fördern dieses Projekt auch finanziell, sodass interessierte Jugendliche und Arbeitgeber praktische Erfahrungen sammeln , bevor sie sich festlegen. Neben solchen vielfältigen Einstiegsalternativen bieten wir begleitende Unterstützung für Auszubildende sowohl in fachlicher als auch sozialpädagogischer Hinsicht an. Damit können Abbrüche in vielen Fällen verhindert werden. Gerade heute Morgen habe ich mich um einen Fall von Prüfungsangst gekümmert – auch hier vermitteln wir entsprechende Unterstützung.Eine Frau lacht einen Schüler an.

Sie arbeiten mit der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Die Zusammenarbeit als Netzwerkpartner ist durch den aktuellen Fachkräftemangel noch wichtiger geworden. Gemeinsam mit beiden Kammern führen zum Beispiel regelmäßig digitale Elternabende mit dem gesamten Agenturbezirk Flensburg, Kreis Schleswig-Flensburg und Nordfriesland durch. Dort werden die Interessenten darüber aufgeklärt, welche Möglichkeiten es gibt, wie die Abläufe in der Ausbildung aussehen, wie die Rahmenbedingungen lauten und welche Zugangsvoraussetzungen es gibt. Im Anschluss werden einzelne Berufe beleuchtet, genauer spezifiziert und Möglichkeiten wie Teilzeitausbildungen, betriebliche Einstiegsqualifizierungen und so weiter erörtert. 

Wie schätzen Sie den Wandel des Arbeitsmarktes generell ein?

Wir erleben aktuell den Wandel zur Arbeitswelt 4.0. Vieles ändert sich rasant, und längst geht es nicht mehr darum, sich für die nächsten 40 Jahre festzulegen. Noten sind heutzutage nicht mehr ganz so relevant beziehungsweise aussagekräftig wie früher. Was heutzutage mehr zählt, sind persönliche Eigenschaften wie Sozialkompetenz und Flexibilität. Darüber hinaus stehen das lebenslange Lernen, die Kompetenzerweiterung und die Bereitschaft, sich stetig weiterzuentwickeln, im Fokus.

Wie werden Sie auf der diesjährigen Berufsorientierungsmesse vertreten sein?

In diesem Jahr werde ich Auszubildende der Agentur für Arbeit in das Messegeschehen einbinden. Erfahrungen aus erster Hand zu hören, kann nur von Vorteil sein. Zusätzlich   werden wir unser digitales Erkundungstool  ‚Check-U’ wieder zum Einsatz bringen und so mit den Schülerinnen und Schülern interessante Dialoge über Berufsmöglichkeiten anstoßen können.  

Wie beurteilen Sie die Berufsorientierungsangebote an der FTS?

Ich empfinde den Einsatz und die Zusammenarbeit als überaus positiv. Selbst in Coronazeiten wurde darauf geachtet, dass niemand vergessen wurde. Ich selbst hatte die Möglichkeit, mit jedem einzelnen aus der Jahrgangsstufe 9 ein Gespräch zu führen. 

Gibt es dennoch Wünsche oder Anregungen im Hinblick auf eine Optimierung?

Im letzten Jahr habe ich mir verstärkt Coachings für die Bewerbungsphase gewünscht. Diese werden nun nach Rücksprache mit den Schülerinnen und Schülern umgesetzt. Während der Vorhabenwoche führen wir Vorstellungsgespräche anhand einer Simulation durch, üben nochmal das Verfassen von Bewerbungsschreiben und haben anschließende Feedbackrunden mit Schülerbeteiligung. Das ganze läuft sehr wertschätzend und somit auch gewinnbringend ab. Es ist bemerkenswert zu sehen, wie sehr sich die Jugendlichen gegenseitig unterstützen. 

Gibt es von Seiten der Agentur für Arbeit weitere neue Tools zur Unterstützung der Berufsorientierung?

Wir bieten neuerdings die App ACTIONBOUND – DIE BERUFSWAHLRALLYE an. Mittels einer Smartphone-Tour durch die Heimatstadt kann man Infos sammeln und Quizfragen beantworten, witzige Kurzfilme sehen, vielleicht hier und da ein Werbegeschenk abgreifen und ganz nebenbei dem Traumberuf ein Stück näher kommen. Das Ganze ist kostenfrei und völlig sicher – einfach mal hier anschauen.

Vielen Dank für die ausführlichen Tipps!

TEXT Anja Nacken
FOTO Reinhard Witt