Inklusion mit Herz und Verstand in der Campus-Klasse

Inklusion mit Herz und Verstand in der Campus-Klasse

… der Ferdinand-Tönnies-Schule in Husum

Seit zwei Jahren bietet die Campus-Klasse an der Ferdinand-Tönnies-Schule in Husum Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Raum, sich gemäß ihren Fähigkeiten frei zu entfalten und gleichzeitig am Schulleben teilzunehmen. Fernab von Notendruck und vorgeschriebenen Lehrplänen fördert die Sonderschul- und Klassenlehrerin Annette Wöhrmann zusammen mit der Sozialpädagogischen Assistentin Anna Sick acht Kinder in der Campus-Klasse mit dem Ziel, dass alle Kinder – ob mit Einschränkungen oder ohne – sich in der Schule begegnen, zusammen lernen und auf dem Pausenhof zusammen spielen. 

 

Inklusion macht Schule

Dass die Ferdinand-Tönnies-Schule als eine von drei Schulen in ganz Schleswig-Holstein vor zwei Jahren eine Campus-Klasse ins Leben gerufen hat, verdanken die Schülerinnen und Schüler nicht zuletzt der engagierten Förderschullehrerin Annette Wöhrmann. Zusammen mit der Schulleitung des Förderzentrums Geistige Entwicklung entwirft sie aktuell das Konzept für die Campus-Klasse, die im August 2020 die ersten Lernenden begrüßte.

Eine Frau sitzt auf einer Bank.

Sonderschul- und Klassenlehrerin Annette Wöhrmann entwirft das Konzept für die Campus-Klasse.

„Die Idee, eine Campus-Klasse in Kooperation mit der Rungholtschule an der Ferdinand-Tönnies Schule zu eröffnen, gefiel mir von Anfang an: Sie bietet Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf die Möglichkeit, sich in der Schule ihren Fähigkeiten entsprechend einzubringen und gleichzeitig am regulären Schulleben teilzunehmen. In Unterrichtssegmenten, in denen sie besonders viel Hilfe benötigen, können meine Kollegin Anna Sick und ich die Kinder gezielt im Schutzraum der Campus-Klasse begleiten”, erklärt Annette Wöhrmann. Diese neue Form der Inklusion, wie sie an der Ferdinand-Tönnies-Schule gelebt wird, ermöglicht auf der einen Seite die soziale Integration in den Schulalltag und auf der anderen Seite individuelle und fachkundige Förderung in einem geschützten Raum: Mit besonderen Vermittlungsmethoden und viel Zeit bringt die ausgebildete Sonderschullehrerin Annette Wöhrmann den Schülerinnen und Schülern der Campus-Klasse Themen wie Wasser mithilfe anschaulicher Experimente nahe und erzielt dabei erstaunliche Lerneffekte. 

Während viele Themen in der Regelklasse für Kinder mit besonderem Förderbedarf viel zu theoretisch und schnell abgehandelt werden, bietet die Campus-Klasse die Möglichkeit, mit mehr Zeit und weniger Druck auf Themen einzugehen. „Wir veranschaulichen beispielsweise den Wasserdampf, indem wir den Kochtopf auf die Herdplatte stellen und bewusst den Dampf aufsteigen sehen”, verdeutlicht Annette Wöhrmann. „Besonders motiviert mich bei der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf die Dankbarkeit, die mir als Lehrerin entgegengebracht wird und die kreative Herangehensweise in der anschaulichen Vermittlung von Themen”, erklärt sie weiter.

Eine Lehrerin steht vor einer Tafel.

Anna Sick ist die Sozialpädagogische Assistentin in der Campus-Klasse der Ferdinand-Tönnies-Schule.

Eine Schule, viele Gesichter: Jeder gehört dazu!

Dass Kinder mit besonderem Förderbedarf Teil der Gesellschaft sind und vor allem etwas zu einer funktionierenden und lebendigen Gemeinschaft beizusteuern haben, erfahren die Schülerinnen und Schüler der Ferdinand-Tönnies-Schule ganz natürlich im täglichen Umgang mit ihren Mitschülern. Denn die Schülerinnen und Schüler der Campus-Klasse werden nicht nur gefördert, sie nehmen aktiv am Schulleben der Gemeinschaftsschule teil und bringen sich mit ihren Fähigkeiten ein. Für die Projektwoche mit dem Thema „Sinne“ plant die Campus-Klasse beispielsweise einen Blindenparcours, durch die sie ihre Mitschüler führen wird. Auch an Klassenfahrten, an der Berufsorientierungsmesse und am Schulpraktikum nehmen die Schülerinnen und Schüler der Campus-Klasse teil. Natürlich kommt es dabei auch mal zu Reibereien. Schließlich verlassen die Schülerinnen und Schüler der Campus-Klasse durch die Teilnahme am Schulleben ihren geschützten Raum unter Gleichgesinnten. Sie müssen sich behaupten und lernen, für sich und ihre Rechte einzustehen – jedoch immer mit der Rückendeckung ihrer Mitschüler und Lehrer in der Campus-Klasse. „Negative Erfahrungen auf dem Schulhof oder in den Regelklassen greifen wir direkt auf und unterstützen die Schülerinnen und Schüler aktiv im Umgang mit Vorurteilen und Mobbing, damit sie auch außerhalb der Schule in der Lage sind, ihren Platz in der Gesellschaft selbstbewusst einzunehmen”, betont Annette Wöhrmann. Auch für die Schülerinnen und Schüler der Regelklasse ist es wichtig zu lernen, dass in einer Gemeinschaft  gerade die Vielfalt sehr bereichernd sein kann. 

ERZÄHL MAL…Ein Mädchen sitzt auf einer Tischtennisplatte.

Sarah, 15, besucht die Campus-Klasse an der Ferdinand-Tönnies-Schule

„Ich besuche zusammen mit sieben Mitschülerinnen und -schülern der Jahrgangsstufen fünf bis neun die Campus-Klasse der Ferdinand-Tönnies-Schüle. Da mir die Fächer Deutsch und Sport besonders gut liegen, bietet mir das offene System der Campus-Klasse die Möglichkeit, diese beiden Fächer in der Regelklasse des 8. Jahrgangs zu besuchen. In der Campus-Klasse arbeiten wir individuell an unseren Aufgaben und können jederzeit um Hilfe bitten, wenn wir mal nicht weiterkommen, da wir alle aus unterschiedlichen Jahrgangsstufen   kommen. Mir gefällt besonders, dass wir viel mehr Zeit haben, auf Themen einzugehen. Wir beginnen den Tag meistens mit Mathe oder Deutsch und beschäftigen uns am Nachmittag mit ganz unterschiedlichen Themen wie Mittelalter oder Wasser im Klassenverband. Ein Praktikum bei ‚Nah und Frisch’ hat mir gezeigt, dass ich gerne mit Menschen arbeiten möchte – was genau weiß ich jedoch noch nicht. Ich liebe das Stadtleben und könnte mir gut vorstellen, nach der Schule nach Hamburg zu ziehen. Für die Zukunft wünsche ich mir eine Familie und eine Arbeit, die zu mir und meinen Fähigkeiten passt. Um dies zu erreichen, möchte ich gerne nach der Schule zur Berufsschule gehen, meine Fähigkeiten weiter vertiefen und herausfinden, in welchem Beruf ich mal arbeiten möchte.”

 

TEXT Sophie Blady

FOTO Reinhard Witt