Pioniere der Energiewende

Pioniere der Energiewende

Mit seinen zahlreichen Windparks ist Schleswig-Holstein prädestiniert für Herstellung von grünem Wasserstoff. Forscher der FH Westküste und der HS Flensburg erproben seinen Einsatz in Pilotprojekten.

Wenn Ökonomen die überragende Bedeutung eines Rohstoffs betonen wollen, erklären sie ihn gern zum „neuen Öl“. Mal sind es Daten, die als „Öl des 21. Jahrhunderts“ die Digitalisierung ankurbeln, mal ist es Lithium für Autobatterien. Wenn in diesen Tagen vom neuen Öl die Rede ist, dann meist in Zusammenhang mit grünem Wasserstoff. Er soll die Nachfolge des Erdöls antreten, das seit mehr als einem Jahrhundert die Weltwirtschaft anheizt, aber eben auch das Klima.

In der Theorie sind die Einsatzmöglichkeiten fast grenzenlos. Wasserstoff könnte Autos, Züge, Flugzeuge und Containerschiffe antreiben, er könnte die Hochöfen von Stahlfabriken befeuern, Wohnungen heizen und in Gaskraftwerken zur Stromerzeugung verbrannt werden. Und da er grün ist, wird nicht eine einzige Tonne CO2 frei.

Ist Wasserstoff also das Zauberelixier, das die Menschheit von ihren Treibhausgasen befreit?

„Da wäre ich vorsichtig“, sagt Oliver Opel, Professor für die energetische Optimierung von Gebäuden an der FH Westküste. „Wasserstoff kann uns in vielen Bereichen weiterhelfen, aber nicht in jedem Anwendungsfall ist der Einsatz sinnvoll“, so Opel, der zugleich Sprecher des Kompetenzzentrums Erneuerbare Energien und Klimaschutz Schleswig-Holstein (EEK.SH) ist.

Der Grund für seine Skepsis ist, dass grüner Wasserstoff kein Rohstoff ist, wie viele glauben, sondern ein aufwändig hergestelltes Gas. Es lässt sich nicht wie Öl und Erdgas aus der Erde pumpen, vielmehr ist es nur ein Energieträger, der Ökostrom in Form von Gas speichert. Das Problem: Zur Erzeugung von Wasserstoff werden große Mengen Ökostrom gebraucht, und in diesem Produktionsprozess, Elektrolyse genannt, geht viel Energie verloren.

Wo immer möglich, ist es daher effizienter, Prozesse direkt zu elektrifizieren, als den Umweg über das Gas zu gehen. E-Autos etwa nutzen die eingesetzte Energie um ein Vielfaches besser aus als Brennstoffzellenfahrzeuge, in denen Wasserstoff umgesetzt wird. Je mehr grüner Wasserstoff in Industrie, Verkehr und Gebäuden zum Einsatz kommen soll, desto mehr Windräder und Solarparks braucht man auch, um ihn herzustellen. „Von der Frage, wie stark wir auf Wasserstoff setzen, hängt ab, ob wir künftig in Deutschland einen Strombedarf von eher 1000 oder 3000 Terawattstunden haben“, sagt Opel.

Letztlich hängt die Nutzung von der Verfügbarkeit erneuerbaren Stroms ab.Dr. Opel ist Professor für ökologisches Bauen

Doch auch wenn der Einsatz von grünem Wasserstoff Grenzen hat – in vielen Bereichen ist er unverzichtbar, wenn die Welt klimaneutral werden soll. Die chemische Industrie etwa benötigt ihn, um daraus weitere Produkte herzustellen. Bislang verwendet sie dazu fast ausschließlich sogenannten grauen Wasserstoff. Der wird aus fossilem Erdgas erzeugt, wobei ebenso viel CO2 in die Atmosphäre gelangt wie bei der direkten Verbrennung des Gases. Grüner Wasserstoff wäre die saubere Alternative.

Sinnvoll ist der Einsatz von grünem Wasserstoff dagegen, wenn zur Elektrolyse Stromüberschüsse aus erneuerbaren Quellen genutzt werden. Gerade in Schleswig-Holstein mit seinen vielen Windrädern müssen die Turbinen oft ausgerechnet dann abgestellt werden, wenn sie bei Starkwind besonders viel Strom liefern könnten. Schuld ist das Stromnetz, das (noch) nicht in der Lage ist, die großen Windstrommengen abzutransportieren. Statt den überschüssigen Windstrom gewissermaßen wegzuwerfen, könnte er Elektrolyseure antreiben, um grünen Wasserstoff zu erzeugen.

Wie sich das Gas anschließend weiternutzen lässt, erforscht Professor Hinrich Uellendahl im Projekt „Testlabor Sektorkopplung“ an der Hochschule Flensburg. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) fördert die Forschung. In einer Pilotanlage wird dabei grüner Wasserstoff mit dem CO2 aus einer Biogasanlage zusammengebracht. So lässt sich Methan erzeugen. Es besitzt die chemische Qualität von Erdgas und kann direkt ins Gasleitungsnetz eingespeist werden, um etwa Wohnungen zu heizen und industrielle Prozesse anzutreiben. „Auf diese Weise lässt sich grüner Wasserstoff mit der bereits bestehenden Erdgasinfrastruktur nutzen“, erklärt Uellendahl, der wie Opel auch Sprecher des EEK.SH ist.

Genau das ist das Ziel, das sich hinter dem Begriff „Sektorkopplung“ verbirgt: Strom in Sektoren verfügbar zu machen, die bislang überwiegend andere Energieformen einsetzen. Uellendahls Projekt konzentriert sich dabei nicht allein auf die Kopplung von Strom- und Wärmesektor – auch die Herstellung von Treibstoffen und Chemikalien aus Wasserstoff und CO2, den sogenannten E-Fuels, wird in Flensburg erprobt. Diese CO2-neutralen Treibstoffe werden unter anderem im Flugverkehr gebraucht. Denn für diesen Sektor kommt die direkte Elektrifizierung bislang kaum infrage – die Batterien für Flugzeuge wären viel zu groß und schwer. Ausgerechnet das Klimagift CO2 könnte so dazu beitragen, Flugzeuge von ihrem Klimaproblem zu befreien.Prof Uellendahl Porträt

Wie die Sektorkopplung im industriellen Maßstab funktioniert, ist Gegenstand eines vom Bund geförderten Projekts, an dem Oliver Opel beteiligt ist: dem sogenannten „Reallabor Westküste 100“. Dabei soll Strom von Offshore-Windrädern in der Nordsee genutzt werden, um grünen Wasserstoff in einem Elektrolyseur zu erzeugen, der an der Raffinerie Heide im Kreis Dithmarschen steht. Das Gas wird in einer Salzkaverne unterirdisch gespeichert und steht so zur Nutzung für weitere Prozesse in der Raffinerie zur Verfügung, aber auch zur Beimischung im regionalen Erdgasnetz. Die entstehende Abwärme des Elektrolyseurs soll in einem Wärmenetz genutzt werden, um Gewerbebetriebe zu versorgen.

Auch ein Zementwerk ist an „Westküste 100“ beteiligt. Ähnlich wie die Biogasanlage im Flensburger Pilotprojekt soll es CO2 zur Verfügung stellen. Das Klimagas wird nicht nur beim Einsatz von Brennstoffen in der Zementherstellung frei, es entweicht auch aus dem Ausgangsmaterial des Zements. Zusammen mit dem grünen Wasserstoff lassen sich aus dem CO2 in weiteren Prozessschritten sogenannte E-Fuels herstellen, also klimaneutrale Treibstoffe. Opel sagt:

Viele kennen CO2 nur als Treibhausgas. Künftig werden wir es immer stärker auch als Rohstoff für klimaneutrale Treibstoffe brauchen.

Womit nicht gesagt sein soll, dass CO2 gleich das „Öl des 21. Jahrhundert“ wäre.

Dieser Artikel ist in der Campus Winter 2022 erschienen. Interessiert dich die Energiewende bei Unternehmen? Dann lies den nächsten Artikel.

TEXT Volker Kühn

FOTO Fotos HS, Flensburg, Christina Kloodt

GRAFIK Boggus/Freepik