Volle Kraft voraus – Wie Wind die Schifffahrt nachhaltiger machen kann

Volle Kraft voraus – Wie Wind die Schifffahrt nachhaltiger machen kann

Die internationale Schifffahrt ist für 2,5 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das ist mehr, als die gesamte Bundesrepublik Deutschland ausstößt. Um das zu ändern, könnten Schiffe schon bald wieder mit Windkraft unterwegs sein.

Tausende von Jahren beherrschten Segelschiffe die Meere, machten Überseehandel möglich, entschieden Kriege und trugen Entdecker in die entlegensten Gegenden der Welt. Und irgendwann dann war es vorbei. So wie Autos die Kutschen von den Straßen drängten, ersetzten erst Dampfmaschinen, dann Dieselmotoren die Segel zumindest in der kommerziellen Schifffahrt. Segler wie Kai Graf nutzen allerdings weiterhin den Wind, um übers Meer zu gleiten. „Segeln ist für mich angewandte Strömungsmechanik“, sagt Graf. Und das nicht nur im Familienurlaub. Denn Graf ist Professor an der Fachhochschule Kiel, sein Spezialgebiet ist die Strömungsmechanik von Segelyachten. Das, was er für Schiffbauer in seinem Strömungskanal herausfindet, wird oft nur wenige Monate später bei den größten Segelregatten der Welt angewendet. „Das hat mit meinem Hobby-Segeln dann nicht mehr viel zu tun“, sagt Graf.

Das Grundprinzip aber bleibt gleich: Der Wind treibt das Schiff an – entweder direkt oder indirekt, indem sich der Segler den am Segel entstehenden Unterdruck zu Nutze macht. An der Fachhochschule Kiel gibt es einen sogenannten Twist-Flow-Windkanal. Der ist genau auf die Forschung an Segeln abgestimmt. „Am Boden spüren wir ein laues Lüftchen, wenn wir uns nach oben bewegen, wird der Wind immer stärker – und das spielt für Segel eine große Rolle“, erklärt Graf. Im Windkanal der FH wird genau das berücksichtigt.

Längst gibt es mehr als nur Segel

Graf und seine Kollegen kümmern sich vornehmlich um den Leistungssport. Doch im Twist-Flow-Windkanal werden auch andere Segel – oder ihre Artverwandten – getestet. Immerhin sind Segel längst nicht mehr die einzigen Schiffsantriebe, die sich den Wind nutzbar machen. So lief bereits in den 1920er Jahren das erste von sogenannten Flettner-Rotoren angetriebene Schiff in Kiel vom Stapel. Die Rotoren gleichen großen rotierenden Säulen, die durch den Wind eine Kraft quer zur Anströmung erzeugen. Heute nutzt etwa der Windkraftanlagenhersteller Enercon ein mit Flettner-Rotoren ausgestattetes Frachtschiff. Zwischen Rostock und dem dänischen Gedser fährt seit Kurzem die Scandlines-Fähre „Copenhagen“, bei der ein Rotor die Emissionen um vier bis fünf Prozent verringern soll. Die 2011 aufgelöste Beluga-Reederei experimentierte zudem mit zwölf mal sieben Meter großen Lenkdrachen vor Frachtschiffen. Heute wird das System der Firma SkySails bei großen Yachten genutzt. 

„Es hat sich noch nicht das eine System durchgesetzt“, sagt Graf. „Es gibt weltweit einige Akteure, die Rotoren nutzen. Flugdrachen sind noch immer als Prototypen für Schiffsantriebe in der Erprobung.“ Auch sogenannten „Wing-Sails“ – Flugzeugflügeln nicht unähnliche vertikale Segel – werde viel zugetraut, sagt Graf. So erprobt der französische Reifenhersteller Michelin aufblasbare Segel ab Ende 2022 in der Praxis. Ein Frachtschiff der französischen Compagnie Maritime Nantaise soll dann zweimal in der Woche mit Unterstützung des Windes zwischen Großbritannien und Spanien verkehren.

Das klassische Segel dürfte in der kommerziellen Schifffahrt allerdings wenig Bedeutung haben, prognostiziert Graf: zu wartungsintensiv, zu platzraubend, zu aufwändig zu bedienen. Lediglich für Nischenprodukte werden alte Segler heute noch benutzt. Das Hamburger Unternehmen Timbercoast etwa transportiert Kaffee, Kakao und Rum mit dem mehr als 100 Jahre alten Gaffelschoner Avontuur aus Mittelamerika nach Deutschland. Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen europäischen Ländern. In Kanada baut das Unternehmen Sailcargo sogar einen neuen Drei-Mast-Toppsegelschoner, dessen Elektro-Motor von Solar- und Windenergie gefüttert werden soll. Meist sind die Waren eher exklusiv: Kaffee, Kakao, Kurkuma, Vanille. Container können nicht transportiert werden.Windkanal FH Kiel

Wasserstoff ist nur ein Übergang

Dass künftig auf den Weltmeeren wieder mehr gesegelt wird, davon ist Graf trotzdem fest überzeugt. Die Ölpreise steigen, das Weltklima wird durch die schwimmenden Container-Giganten stark belastet. Die gesamte Schifffahrt ist für rund 2,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Es macht einfach Sinn, die Windenergie direkt zu nutzen“, betont der Professor. Das sei auch weit sinnvoller, als mit Windenergie Wasserstoff zu produzieren, mit dem dann Strom für einen Elektromotor erzeugt wird, der dann wiederum das Schiff antreibt. So wie es seit Kurzem bei der „REM Energy“, einem Spezialschiff für Offshore-Windparks in der Nordsee praktiziert wird. „Da geht viel Energie verloren“, sagt Graf. Schon heute sind Systeme in der Entwicklung, teilweise in der Prototyp-Erprobung, mit denen Frachter mit Unterstützung des Windes rund 20 Prozent Treibstoff einsparen können – mit Luft nach oben.

Einen Haken gibt es allerdings bei allen Systemen: Sie benötigen Platz an Deck. Und genau dort stehen bei den größten Frachtern teils Tausende Container. „Wir werden die Systeme also zuerst bei den Schiffen sehen, die ihre Ladung unter Deck transportieren“, vermutet Graf. So plant die schwedische Reederei Wallenius Marine aktuell ein Autotransportschiff namens „Oceanbird“, bei dem fünf 80 Meter hohe Flügelsegel für den Antrieb sorgen sollen – die Autos stehen allesamt unter Deck. Ein Motor wird dann nur noch zum Manövrieren im Hafen eingesetzt. Dass solche Schiffe schon bald flächendeckend unterwegs sind, glaubt Graf aber nicht. Dafür müsste erst ein komplettes Umdenken stattfinden. „Am Ende wird das alles zu neuen Schiffstypen führen müssen – und damit auch zu ganz anderen Transportketten.“

Dass sich etwas tut, dafür sorgt auch die FH Kiel. Hier werden zwar klassische Schiffbauingenieure ausgebildet; laut Graf kommen sie aber auch in Kontakt mit Windantrieben – sobald die Kernkompetenzen vorhanden sind. „In unserer Hochschule spielt der maritime Umweltschutz eine große Rolle. Und dazu gehört natürlich auch das Problem der fossilen Brennstoffe“, sagt er. Das werde irgendwann auch dazu führen, dass sich Studierende noch mehr mit alternativen Antrieben auseinandersetzen, ist sich der Kieler Professor für Strömungsmechanik sicher. Und schon heute bietet sein Feld große Vorteile. Denn das, was Graf analysiert, kann er oft schon wenige Monate später in der Realität beobachten. „Wer Bedarf an Windkanaluntersuchungen von Segelantrieben hat, kommt zu uns. Unsere Ergebnisse werden dann praktisch umgesetzt“, sagt er. „Wir sehen, was aus unserer Arbeit geworden ist – das ist der besondere Reiz des Ingenieurberufs und spannend zu verfolgen.“

Dieser Artikel ist in der Campus Winter 2022 erschienen. Interessieren dich die Pioniere der Energiewende? Dann lies den nächsten Artikel.

TEXT Robert Otto-Moog

FOTO FH Kiel Kaja Grope, Joachim Kläschen