Der Krieg in der Ukraine hat die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas schmerzlich offengelegt. Wie die Diskussion darüber der Windkraft helfen könnte und was Robert Habeck besser als sein Vorgänger macht, erklärt Torsten Faber, Studiengangsleiter Wind Energy Engineering an der Hochschule Flensburg.
Herr Faber, seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine läuft eine hitzige Diskussion über die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas. Ist diese Diskussion eventuell auch eine Chance für die Windkraft?
Das glaube ich auf jeden Fall. Zumal Robert Habeck als Wirtschaftsminister in meinen Augen einen sehr guten Job macht. Er kennt das Feld aus Schleswig-Holstein, wo er für Erneuerbare Energien zuständig war. Damals hat er sich Experten geholt, Informationen besorgt – und auch verstanden. Er ist aktuell der Richtige für diesen Job, er dreht an den richtigen Stellschrauben. Das Problem ist aber, dass das alles nicht schnell genug geht. Windenergie muss man perspektivisch sehen, als mittel- bis langfristige Energiequelle.
Diese Perspektive wurde in den vergangenen Jahren verbaut. Hat Wirtschaftsminister Habecks Vorgänger Peter Altmaier also eine Teilschuld, dass wir heute noch immer so abhängig von fossilen Energieträgern sind? Immerhin hat er es zu verantworten, dass der Ausbau der Erneuerbaren massiv gebremst wurde…
Herr Altmaier hat die Windenergie sogar komplett ausgebremst. Er hat gesagt, dass es keinen Sinn mache, Windenergieanlagen zu installieren, weil die Netze nicht da seien. Um die hat er sich aber auch nicht gekümmert. Dieses Henne-Ei-Problem hat dazu geführt, dass viel zu wenig Windenergie installiert wurde. Das haben wir verpennt – oder besser: Herr Altmaier und seine Berater. Dadurch hat die deutsche Industrie großen Schaden genommen – gerade die kleineren Unternehmen. Und heute stehen wir da und haben zu wenig Windenergie. Und die nötigen Anlagen können nicht gebaut werden.
Wenn wir also den Schwung aus den ersten Boom-Jahren mitgenommen hätten – wären wir jetzt unabhängiger?
Nein. Denn es gibt die Energiewende und es gibt die Wärmewende. Wenn wir Gas vollständig durch erneuerbaren Strom ersetzen wollen, dann geht das nur, wenn wir diesen Strom nutzen, um selbst Gas zu erzeugen. Allerdings haben wir da einen schlechten Wirkungsgrad mit Verlusten von bis zu 50 Prozent. Also bräuchten wir weit mehr Strom. Mit anderen Worten: Wir hätten viel gewinnen können, aber es ist nicht das Ziel, mit Erneuerbaren Gas zu erzeugen. Das gilt auch für Wasserstoff. Da wird Energie verschenkt.
Auf der anderen Seite werden Gas- und Atomkraftwerke von der EU als umweltverträglich deklariert. Hätte man das nicht durch mehr Windkraft verhindern können?
Klar. Das ist genau das Überbrückungsproblem, das wir aktuell haben. Es macht jetzt aber auch keinen Sinn mehr, zurück zu schauen. Wir müssen nach vorne blicken: Wie können wir möglichst schnell die Windkraft ausbauen? Und da gibt es genügend Probleme – etwa die Genehmigungsverfahren. Da wächst gerade der Druck – und die Bereitschaft der Politik. Viel größer ist das Problem, dass wir aktuell gar nicht genügend Windkraftanlagen bekommen, weil es auch hier massive Probleme bei den Zulieferern gibt. Und das führt dazu, dass Projekte, die längst geplant sind, noch immer offen bleiben, weil keiner weiß, ob die Anlagen kommen. Die Preise sind auch deutlich gestiegen, obwohl man vor einigen Jahren noch damit gerechnet hatte, dass sie weiter deutlich sinken. Das hängt auch mit der Politik Peter Altmaiers zusammen: Denn durch den Ausbaustopp gingen viele Anlagenhersteller in Konkurs – geblieben sind nur ein paar große.
Schleswig-Holstein will trotzdem optimistisch vorangehen. CDU und Grüne wollen das Land bis 2040 klimaneutral machen – glauben Sie daran?
Ich bin erst einmal optimistisch. Zwar wurde ich in der Vergangenheit öfter enttäuscht, aber zumindest gibt es hier offensichtlich einen politischen Willen. Das große Aber ist wie immer die Umsetzung. Denn die Politik kann nur die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Das ist aber nicht ganz ohne, denn die Baubehörden vor Ort haben noch ganz andere Sorgen, als den politischen Druck von oben. Hinzu kommt das erwähnte Problem mit den fehlenden Anlagen. Die Projektierer sind da und sind vorbereitet. Wir sehen ganz klar, dass die in der Lage sind, Projekte umzusetzen.
Wird es denn überhaupt möglich sein, Deutschlands Stromerzeugung unabhängig von fossilen Brennstoffen und Atomkraft zu machen?
Theoretisch ist das möglich. Es gibt genügend Analysen, die das zeigen. Die natürlichen Ressourcen sind da – die waren aber auch schon vor zehn Jahren da. Besonders in Schleswig-Holstein sind die Voraussetzungen gut. Die Frage nach dem Ob ist also längst geklärt. Das Wie ist das Problem. Jetzt geht es um die Umsetzung. Und da gibt es eben Hürden.
Sie bilden junge Menschen aus, die genau diese Hürden einmal überwinden sollen. Sind Ihre Studierenden motiviert, das zu tun?
Die jungen Menschen machen sich Gedanken – um den Krieg, Corona, den Klimawandel. Und sie fragen sich, wie wir den Karren wieder aus dem Dreck ziehen können. Bei uns geht es um den Klimawandel – und um Völkerverständnis. Denn dazu trägt Windkraft ganz konkret bei – und unser internationaler Studiengang.
Dieser Artikel ist in der Campus Winter 2022 erschienen. Willst du wissen, warum Studierende Windkraftanlagen in Entwicklungsländern entwickeln? Dann lies im nächsten Artikel weiter.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTOS Marcel Schedat, Shutterstock, Hochschule Flensburg