„Bürgermeister kann ich, ich muss es nur lernen“, davon war Sven Radestock überzeugt. Inzwischen ist der 53-Jährige Bürgermeister der Stadt Eutin. Nach rund 30 Jahren als Journalist liegt ihm das Fragen im Blut und so gehört Fragen und Zuhören auch heute zu seiner Bürgermeister-DNA. Das Wir-Gefühl der Stadt zu erhalten und niemanden zurückzulassen, ist dem gebürtigen Eutiner besonders wichtig. Was er erlebte, als er nach Jahrzehnten in Neumünster in die Heimat zurückkehrte, welche Projekte die Stadt gerade umsetzt und was Eutin zu einer attraktiven Stadt für junge Menschen macht, hat er uns bei einer Partie Billard verraten …
Herr Radestock, haben Sie je daran gedacht, einmal Bürgermeister zu werden?
Eigentlich nicht. Ich war dreißig Jahre lang Journalist, erst bei einer Zeitung, dann beim NDR. Nebenbei war ich in Neumünster in der Kommunalpolitik aktiv. Irgendwann bin ich von den Grünen aus Eutin gefragt worden, ob ich hier als Bürgermeister kandidieren möchte. Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Entschluss: Bürgermeister kann ich, ich muss es nur lernen.
Hatten Sie vorab Respekt vor bestimmten Aufgaben?
Ich stelle noch immer viele Fragen und habe Respekt vor meinem Amt. Aber ich weiß auch, dass ich das Amt prägen kann. Als es Probleme in Unterkünften für Obdachlose gab und Sicherheitskräfte engagiert wurden, machte ich mir ein Bild von der Lage und lud die Politiker dazu ein. Das hat ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass wir die Menschen dort nicht einfach sich selbst überlassen dürfen, sondern wir als Gesellschaft die Aufgabe haben, keinen zurückzulassen. Die Unterkünfte haben neue Heizungen erhalten, wurden gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern frisch gestrichen, und in Zukunft wird sich ein Street Worker engagieren, damit viele Probleme gar nicht erst entstehen.
Was möchten Sie in Eutin gerne bewirken?
Die Verbindung der Menschen zur Stadt ist da, aber sie ist ausbaufähig. Mein Kandidaturslogan lautete „Mehr WIR für Eutin“ und drückt dasZusammengehörigkeitsgefühl aus, das ich mir wünsche. Dazu gehört die Beteiligung der Menschen und dass sie sich bei Entscheidungen mitgenommen fühlen. Ich möchte, dass jedem, der sich an die Stadt wendet, weitergeholfen wird.
Wie sehen in diesem Sinne konkrete Maßnahmen aus?
Zum Wir-Gefühl gehört die Identifikation mit der Stadt. Passend dazu steht im Frühjahr das Beteiligungsprojekt ,Wir für Eutin’ an. Dabei können alle Einwohnerinnen und Einwohner über Ideen für die Innenstadt abstimmen. Es geht um ganz konkrete Maßnahmen, z. B. wie wir es schöner und grüner machen können. Eutin plant viele Projekte, und das Ziel ist es, dass alle, die hier leben, sie kennen und verstehen. Deshalb bieten wir eine regelmäßige Sprechstunde im Rahmen des Wochenmarktes an. Letztes Mal waren auch unsere Azubis mit dabei und informierten über die Ausbildung bei der Stadt. In Zukunft möchten wir verschiedene Schwerpunktthemen setzen, und dann kommen Mitarbeitende mit an den Stand, um auch für Detailfragen zur Verfügung zu stehen. Ab Ende April soll es zusätzlich die Homepage ,Mein Eutin’ geben, auf der jede und jeder Ideen einbringen kann.
Welche Projekte stehen in Eutin aktuell an?
Dazu gehört auf jeden Fall die alte Mühle, deren Kulturkonzept gerade aus- gearbeitet wird. Zudem hat die Stadt den alten Bahnhof gekauft, der soll ausgebaut und von der Eutin Tourismus GmbH genutzt werden. Eutin hat vor Jahren den Klimanotstand erklärt und verfolgt das Ziel klimaneutral zu werden. Daher arbeiten wir an unserem Verkehrskonzept. Das Klima geht uns alle an und als Städte sollten wir Lösungen vorleben.
In Eutin kennen Sie viele Menschen von früher. Gehen diese nun anders auf Sie zu?
Die meisten Menschen begegnen mir wie gewohnt. Weder sie noch ich haben damit gerechnet, dass ich einmal Bürgermeister werde – das eint uns. Als Bürgermeister habe ich mir erst einmal einen großen Stapel Hemden gekauft, aber ansonsten bin ich der gleiche geblieben.
Was macht Eutin für junge Menschen aus?
Freizeitmäßig hat Eutin jede Menge zu bieten. Es gibt das Jugendzentrum mit seinen vielen Angeboten, wir haben viele Sportvereine, auch Wassersportarten wie Rudern und Segeln, die Schwimm- halle, Pfadfinder und Naturgruppen und seit Kurzem eine offizielle Graffitifläche. Wir sind keine Großstadt, aber wenn man in die Stadt geht, ist das umso schöner, weil man immer jemanden trifft. Junge Menschen profitieren zudem vom ÖPNV im Stundentakt – auch am Wochenende; nach Kiel und Lübeck sogar im Halbstundentakt. Außerdem ist Eutin ideal, um hier mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.
Wie steht es um die beruflichen Perspektiven in Eutin?
Bei der Stadt Eutin bieten wir das duale Studium Allgemeine Verwaltung und die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten an. Ich freue mich über junge Menschen, die die Verwaltung mit frischen Impulsen bereichern. Auch Polizei und Bundeswehr sind große Arbeitgeber in Eutin, sowie die Grundschulen, Gemeinschaftsschulen, Gymnasien und Berufsschulen. Da die Kreisverwaltung ihren Sitz in Eutin hat, arbeiten viele junge Leute in der Verwaltung, im Dienstleistungs- und Tourismusgewerbe.
Gibt es ein besonderes Erlebnis, das Sie mit Eutin verbinden?
Das Rathaus kenne ich seit meinen Kindertagen und fühle mich ihm besonders verbunden, denn nach dem Krieg war mein Großvater hier Hausmeister und wohnte mit Frau und Kindern – also meinem Vater – über dem Rathaus. Inzwischen sind diese Räumlichkeiten Büroräume. Die Mitarbeiter wissen aus meinen Erzählungen, ob sie in der ehemaligen guten Stube, dem Speicher oder der Küche arbeiten.
Was raten Sie jungen Menschen im Hinblick auf ihre Berufsorientierung?
Dass sie die Tätigkeit entdecken, die ihnen Freude bereitet und sie erfüllt. Gerne zur Arbeit zu gehen, ist wertvoll. Zudem sollte man keine Angst davor haben, einen falschen Weg einzuschlagen. Was ich meinen Kindern rate, ist, eine Ausbildung dann dennoch abzuschließen und sie als sinnvolle Erfahrung zu verbuchen.
Was hat Sie im Journalismus erfüllt und was erfüllt Sie als Bürgermeister?
Ich besitze eine große Neugier auf neue und abwechslungsreiche Themen – diese Neugier konnte ich sowohl als Journalist ausleben als auch heute als Bürgermeister. Beide Tätigkeiten sind enorm vielfältig und man begegnet vielen Menschen. Als Bürgermeister habe ich fast täglich Aha-Momente und gleichzeitig das Privileg, Probleme lösen zu können. Als Journalist habe ich beschrieben und im Idealfall änderte sich daraufhin etwas; als Bürgermeister kann ich aktiv handeln und gestalten.
Herr Bürgermeister, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
Ich freue mich über junge Menschen, die die Verwaltung mit frischen Impulsen bereichern.
Mehr zur Stadt Eutin:
Milena und Melissa absolvieren gerade ihre Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten.
Seit Sommer 2021 setzt sich Sarah Wottawa im Bereich Personal, Organisation und IT für die Belange der Mitarbeitenden der Stadt Eutin ein.
Im Interview mit Anne und Elaine über das duale Studium Allgemeine Verwaltung / Public Administration bei der Stadtverwaltung Eutin.
TEXT Sophie Blady / Kristina Krijom
FOTO Sophie Blady