Landwirtschaft, Mobilität, Bauen: Wie Schleswig-Holsteins Hochschulen die grüne Transformation vorantreiben

Landwirtschaft, Mobilität, Bauen: Wie Schleswig-Holsteins Hochschulen die grüne Transformation vorantreiben

Nachhaltigkeit ist mehr als ein Modewort. Es ist aber zugleich ein Megatrend, der Wissenschaft und Forschung genauso erfasst wie Wirtschaft und Gesellschaft. Die Hochschulen und Unternehmen in Schleswig-Holstein sind maßgebliche Treiber dieses Umbruchs. Für Studierende und Berufsstarter eröffnet das die Chance, die grüne Transformation mitzugestalten.

In Kalifornien steckt ein Tech-Milliardär sein Geld in einen Elektro-Sportwagen. In Stockholm schwänzt eine 16-Jährige die Schule. Auf einem Markt in Wuhan springt vermutlich ein Virus von einem Tier auf einen Menschen über. Drei Ereignisse, die in keinerlei Verbindung zueinander stehen, aber doch eine Gemeinsamkeit haben: Sie zeigen, dass epochale Umbrüche oft mit unscheinbaren Episoden beginnen. Elon Musk revolutioniert mit seinem Einstieg beim damals belächelten Start-up Tesla die Autobranche; heute bezweifelt niemand mehr, dass der E-Mobilität die Zukunft gehört. Greta Thunberg begründet mit ihrem Schulstreik eine globale Massenbewegung, die in kürzester Zeit mehr für den Klimaschutz erreicht als Jahrzehnte der Appelle aus der Wissenschaft. Und der zunächst lokale Ausbruch des Coronavirus in China erschüttert wenige Wochen später den gesamten Planeten. Er führt der Menschheit vor Augen, wie verwundbar sie ist – aber zugleich auch, dass Erfindergeist und Forschung in der Lage sind, selbst für weltumspannende Probleme Lösungen zu entwickeln.

grüne Transformation

Die Geschichte ist geprägt von solchen Umwälzungen und Zeitenwenden. Entwicklungen, die kaum bemerkt von der Öffentlichkeit oft Jahre zuvor beginnen, gelangen an einen Kipppunkt, von dem an sie nicht mehr zu stoppen sind. Die Aufklärung in Europa ist ein typisches Beispiel dafür, später folgten die industrielle Revolution und die Globalisierung, zuletzt wälzte die Digitalisierung unsere Art zu leben und arbeiten um.

Die Wirtschaft nimmt Abschied von dem, was sie zwei Jahrhunderte am Laufen hielt

Derzeit erlebt die Welt wieder eine Revolution, nicht weniger einschneidend als ihre Vorgängerinnen: Es ist die sogenannte Grüne Revolution, die Transformation in eine nachhaltige Welt, in der die Menschheit Abschied von Kohle, Öl und Gas nimmt – von jenen fossilen Rohstoffen also, die ihre Wirtschaft zwei Jahrhunderte lang befeuert haben.

Und wieder liegen die Wurzeln des Umbruchs weit zurück. Den Treibhauseffekt wies die Amerikanerin Eunice Newton Foote schon 1856 mit CO2-befüllten Glaskolben nach, die globale Klimaerwärmung sagte der Schwede Svante Arrhenius 1896 voraus, und den menschengemachten Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre hat der US-Forscher Charles Keeling seit 1957 dokumentiert.

An Warnungen vor der Klimakrise und dem Raubbau an der Natur mangelte es nicht. Der Club of Rome beschrieb in seinem Bericht mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ 1972 in eindringlicher Form, dass die Menschheit über ihre Verhältnisse lebt. Trotzdem wurden Pioniere einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsform lange als Baum-Umarmer verspottet oder als Ökospinner diskreditiert. Es mussten erst Kipppunkte erreicht werden, damit Nachhaltigkeit zu einem Megatrend werden konnte. Erst seit Dürren, Stürme, Sturzfluten, Hitzewellen und Waldbrände in immer schnellerem Takt mit größerer Gewalt auftreten, seit sich das Artensterben beschleunigt und die Naturparadiese rar werden, erkennen die Menschen, dass ihr Planet ernsthaft bedroht ist. Und erst seit sie in Massen für schärfere Umweltgesetze demonstrieren, sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu Begriffen geworden, ohne die kaum ein Parteiprogramm oder Geschäftsbericht auskommt.

Nicht immer steckt echtes Engagement dahinter. Zwischen Sonntagsreden und Realpolitik, zwischen Erkenntnis und Handeln klafft mitunter ein himmelweiter Spalt. Die Grüne Revolution hat noch nicht alle erfasst. Und doch steht sie auf einer breiten Basis. Sie wird getragen von einer Mehrheit in Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft – auch in Schleswig-Holstein.

Ökologisches Denken ist tief verwurzelt im Norden

Der Norden ist wie kaum eine zweite Region in Deutschland prädestiniert, eine Vorreiterrolle bei der nachhaltigen Transformation zu übernehmen. Die Energiewende hat hier früher als im Rest der Republik Fuß gefasst, die gewaltigen Windressourcen an Land und auf See liefern zuverlässig saubere Energie, ökologisches Denken ist tief verwurzelt in den regionalen Unternehmen, an Fachhochschulen und Universitäten.

Der Norden bringt damit genau jene Voraussetzungen mit, auf die die neue Ampelkoalition beim klimaneutralen Umbau Deutschlands setzt. „Man muss alle Kapazitäten rasch hochfahren“, sagte der aus Schleswig-Holstein stammende Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich in der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Immerhin geht es um eine beispiellose Transformation mit einer enormen Dynamik, wir werden immer wieder neue Probleme lösen müssen.“

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen Flensburg und Lübeck arbeiten seit Langem konkret an diesen Problemen, sie suchen Lösungen für die grüne Zukunft. In ihrer Arbeit geht es um den großen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen genauso wie um individuelle Verhaltensänderungen. Es geht um Fragen wie den Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur, um ressourcenschonende Formen des Bauens oder um eine saubere Mobilität.

Grüne Transformation: Roboter in der Landwirtschaft. Foto: FH Westküste

Und manchmal geht es auch um Unkraut. Ein Projekt der Fachhochschule Westküste mit dem Westhof im Kreis Dithmarschen steht beispielhaft dafür, wie nachhaltige Problemlösungen made in Schleswig-Holstein aussehen. Der Bio-Betrieb baut auf 1000 Hektar Gemüse an. Es ist eine aufwendige Form der Bewirtschaftung, auf den Mohrrübenfeldern etwa musste Unkraut bislang von Hand gejätet werden. Doch die dafür nötigen Saisonarbeiter waren immer schwieriger zu bekommen. Deshalb fährt inzwischen ein Mähroboter über die Felder, der das Unkraut mithilfe künstlicher Intelligenz erkennt und schneller herausschneidet, als es selbst die erfahrensten Erntehelfer könnten. In Zukunft werden Bauernhöfe ihre eigene IT-Abteilung haben, glaubt Professor Stephan Hußmann von der Fachhochschule Westküste, der hinter dem Projekt steht. Für Studierende ergäben sich dadurch neue Berufsfelder. „Plötzlich können Ingenieure auch auf dem Land arbeiten“, sagt Hußmann.

Roboter

Seit Ende 2004 ist Stephan Hußmann hauptamtlicher Professor an der Fachhochschule Westküste im Bereich Mikroprozessortechnik und elektronische Systeme. Foto: FH Westküste

Die Verkehrswende ist mehr, als „nur“ die Elektrifizierung der Autoflotte

Der Agrarsektor ist nicht der einzige Bereich, in dem kluge Köpfe aus dem Norden den Weg in eine nachhaltige Welt vorantreiben. Eines der größten Forschungsfelder ist der Verkehr – ein Bereich, der seine Treibhausgasemissionen seit 1990 kaum verringert hat. Zwar sind batterieelektrische Autos drauf und dran, Diesel und Benziner in der Neuzulassungsstatistik zu überholen. Das Problem ist damit allerdings bestenfalls zum Teil gelöst. Denn wenn sämtliche Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden, schrumpfen die Staus in den Städten und auf den Autobahnen nicht um einen Meter.

Die Verkehrswende muss daher tiefer ansetzen, sie muss neue Angebote schaffen und neue Gewohnheiten etablieren. Eine große Bedeutung kommt dabei dem ÖPNV zu. Nur wenn er attraktiver wird, werden mehr Fahrer das Auto stehenlassen und stattdessen Busse und Bahnen wählen. Und natürlich muss auch er klimaneutral werden. Aber wie elektrifiziert man die Busflotte einer Großstadt wie Hamburg? Antworten darauf sucht Joachim Berg, Professor am Fachbereich Maschinenbau, Verfahrenstechnik und Maritime Technologien der Hochschule Flensburg.

Doch nicht nur an Land müssen Fahrzeuge auf saubere Alternativen zu fossilen Brennstoffen umgestellt werden. Dasselbe gilt für Flugzeuge und Schiffe. Nicht allein wegen ihrer Klimabilanz, sondern auch wegen all der anderen Schadstoffe, die sie emittieren. „Wenn man sich in den Kieler Hafen neben ein Kreuzfahrtschiff stellt, dann ist die Feinstaubbelastung um den Faktor 1000 höher als in der Stuttgarter Innenstadt“, sagt der Flensburger Professor Bernd Löhlein. Er baut den jungen Studiengang Antriebstechnik und Elektromobilität mit auf, an dem sich Studierende mit den Motoren von morgen beschäftigen. Sie leisten damit nicht nur einen sinnvollen Beitrag zur Klimawende, sondern eröffnen sich auch beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Berufsperspektiven seien hervorragend, sagt Löhlein.

Es ist vor allem die Vielseitigkeit des Fachs, die Eric Culemann begeistert. Foto: Christina Kloodt

Ich werde sicher nicht arbeitslos.

In der Tat verspricht die nachhaltige Wirtschaft, zu einem der großen Jobmotoren in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu werden. Denn um all die Windräder und Wärmepumpen zu installieren, um den Verkehr zu elektrifizieren oder die Landwirtschaft mit smarten Technologien ökologischer auszurichten, werden deutschlandweit Hunderttausende Fachkräfte gebraucht. „Ich werde sicher nicht arbeitslos“, sagt denn auch Eric Culemann, 26, der im jungen Fach Nachhaltige Gebäudetechnik an der TH Lübeck eingeschrieben ist. Er wird nach dem Studium an der Schnittstelle von Architektur und Bauingenieurwesen dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck von Gebäuden zu verbessern.

Grüne Transformation mit Green Buildung

Neben dem Agrar- und dem Verkehrssektor ist das nachhaltige Bauwesen, neudeutsch Green Building, ein weiteres großes Zukunftsfeld der Hochschulen in Schleswig-Holstein. Die Studierenden befassen sich in einer Vielzahl von Berufsfeldern mit den Rohstoff- und Energiebilanzen von Gebäuden. Im Gegensatz zu früher werden Bauwerke dabei über den gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet, also von der Errichtung über den Betrieb bis zu einem Rückbau in der fernen Zukunft.

Ein Großteil des Gebäudebestands stammt aus den Sechzigern und Siebzigern – was bautechnisch eine Vollkatastrophe ist

Dabei geht es nicht allein um Neubauten, sondern auch um den viel größeren Gebäudebestand. Die Herausforderung, diese Gebäude auf nachhaltig zu trimmen, ist gewaltig. „Ein Großteil davon stammt aus den Sechzigern und Siebzigern – was bautechnisch eine Vollkatastrophe ist, um es mal plakativ zu formulieren“, sagt Frauke Rohkamm. Sie ist Studiengangsleiterin am Institut für Bauwesen der FH Kiel. Auch sie hält die Berufsaussichten für Studierende für gut. Voraussetzung: Sie bringen Herzblut, Neugier und Begeisterungsfähigkeit mit. Gute Mathekenntnisse schadeten natürlich nicht. Dass aber auch Schulabgänger mit Schwerpunkten in anderen Bereichen im Bereich Green Building gut aufgehoben sein können, beweist die Professorin mit ihrer eigenen Vita: Rohkamms Leistungskurse im Abitur waren Kunst und Französisch.

Bauwesen

Prof. Dr.-Ing. Frauke Gerder-Rohkamm ist Studiengangsleitern am Institut für Bauwesen der FH Kiel. Foto: Christina Kloodt

Nach dem Praxissemester haben fast alle schon mindestens eine Firma, bei der sie direkt nach der Bachelorarbeit anfangen können.

Ungewöhnlich ist ebenfalls der persönliche Hintergrund von Oliver Opel, Leiter des Bachelorstudiengangs Green Building Systems an der Fachhochschule Westküste.Ich habe Physik, Philosophie und später Umweltwissenschaften studiert bis mir klar wurde, dass Gebäude der Dreh- und Angelpunkt unserer Infrastruktur sind, sagt Opel. „Ich versuche, die jungen Leute auf der philosophischen Schiene abzuholen und sie dann zur Technik zu führen.“ Auch er beschreibt die Perspektiven Absolventen seines Fachs als ausgezeichnet: „Nach dem Praxissemester haben fast alle schon mindestens eine Firma, bei der sie direkt nach der Bachelorarbeit anfangen können, mit einem Jahresgehalt, für das andere zehn Jahre Berufserfahrung brauchen.“

Gute Bezahlung, beste Einstellungschancen, sinnvolle Tätigkeiten – schaut man sich die Rahmenbedingungen in den Fächern rings um die nachhaltige Wirtschaft an, sollte man glauben, dass sie hoffnungslos überlaufen sind. Doch das Gegenteil ist der Fall, nicht alle freien Plätze werden besetzt. Es ist eine Vielzahl von Faktoren, die dabei zusammenkommt, der demografische Wandel etwa oder die geringe Bekanntheit der oft noch jungen Fächer. Für potenzielle Studienanfänger ist das eine gute Nachricht. Es erhöht ihre Chance, Teil der grünen Revolution zu werden.

TEXT Volker Kühn

TITELBILD Katharina Grzeca