Bio boomt – doch die Landwirte haben ein großes Problem: Ihnen fehlen Arbeitskräfte. Forscher von der Fachhochschule Westküste sorgen jetzt für Abhilfe. Sie haben einen intelligenten Roboter entwickelt, der Möhrenfelder vom Unkraut befreit. Und das ist viel komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint, sagt Projektleiter Stephan Hußmann.
Herr Hußmann, Sie haben in den vergangenen Jahren den Hörsaal regelmäßig mit dem Acker getauscht – war das eine große Umstellung für einen Forscher, der sich mit Mikroprozessortechnik und Elektronik beschäftigt?
Als ich vor sieben Jahren gehört habe, dass ein Bio-Bauer etwas von mir will, habe ich tatsächlich zuerst an Rollkragenpullover und Gummistiefel gedacht – ich hatte da gar keine Berührungspunkte. Was ich dann aber vorgefunden habe, war ein echter Industriebetrieb. Rainer Carstens vom Westhof denkt groß, er hat Visionen. Der Hof ist aber trotzdem zu 100 Prozent Bio – auch ohne Rollkragenpullover. Gleichzeitig ist Carstens offen für technologische Ansätze. Was für mich aber tatsächlich neu war, war die Zusammenarbeit. Sonst müssen wir immer Überzeugungsarbeit leisten – dieses Mal war es umgekehrt. Der Westhof hat uns richtig gepusht.
Das hat sich offenbar ausgezahlt: Ihr Projekt mit dem Bio-Landwirt hat einen Preis für ‘Innovative landwirtschaftliche Systeme und nachhaltige Landwirtschaft’ gewonnen, der unter anderem von der regionalen Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde. Wofür gab es die Auszeichnung?
Wir haben einen Roboter gebaut, der Unkraut auf Möhrenfeldern mithilfe von Künstlicher Intelligenz entfernen kann. Damit haben wir 2015 angefangen. Damals hatte der Roboter eine Spur, wir wollten ihn auf acht Spuren ausweiten – und kommerzialisieren.
Und das hat funktioniert?
Wir haben aktuell eine Version mit vier Spuren im Einsatz. Und wir haben mit dem Westhof zusammen ‘Naiture’ gegründet – eine Firma, die das Projekt weiter betreibt. Dafür hat der Westhof die Patente gekauft, die wir hatten. Das ist gelebter Hochschultransfer: aus der Hochschule raus, in die Landwirtschaft. Ein Doktorand von mir ist dort jetzt Forschungsleiter, vier unserer Studenten schreiben ihre Masterarbeiten. Wir werden aber noch ein bis zwei Jahre brauchen, damit der Roboter marktreif wird.
Das ist nicht die Regel, dass Forschungsprojekte so schnell den Weg in die Wirtschaft finden. Was war in diesem Fall anders?
Ganz klar unser Forschungspartner. Der Westhof wollte von Anfang an ein Produkt haben, das ein großes Problem vieler Landwirte löst. Denn die Erntehelfer sind immer schwieriger zu bekommen, nicht erst seit der Coronapandemie. Bei unserem Projekt ging es nicht nur darum, die Personalkosten wegzurationalisieren, die Bauern finden schlichtweg keine Erntehelfer mehr. Das Unkraut auf den Möhren-Feldern können bislang aber nur Menschen entfernen – zumindest, wenn nicht gespritzt werden darf. Und da sind wir ins Spiel gekommen.
Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf Möhren?
Möhren sind die Königsklasse. Da gibt es einen sechs Zentimeter breiten Streifen oben auf einem Damm, und da muss man millimetergenau das Unkraut vernichten. Aktuell gehen Menschen mit einem kleinen Messer über die Felder und jäten.
Das klingt nicht sonderlich kompliziert …
Ist es aber. Denn in einem Jahr ist es eventuell ganz trocken, dann kommt das Unkraut gar nicht richtig raus. Dann ist es auf einmal ganz nass, dadurch gibt es ganz andere Arten von Unkraut. Für Menschen ist das leicht zu sehen, für die Kameras, die wir verwenden, nicht. Das sind alles Sachen, die müssen wir einer Maschine beibringen. Und wenn wir ihr etwas falsch beibringen, macht sie es jedes Mal falsch. Hinzu kommt die eigentliche Unkrautvernichtung. Die erfolgt mechanisch mit Klingen, die natürlich auch kaputt gehen können. Da können wir noch viel optimieren.
Wie erkennt der Roboter den Unterschied zwischen Möhre und Unkraut?
Mit tiefen neuronalen Netzen, also mit einem selbstlernenden KI-System. Die Netze haben wir echtzeitfähig gemacht. Denn es hat direkten Einfluss auf die Fahrgeschwindigkeit, wie viele Bilder pro Sekunde verarbeitet werden können.
Kann die Maschine schon mit geübten Erntehelfern mithalten?
Wir sind in einem Stadium, wo unser Roboter vorführbar ist. Und er ist schnell. Aktuell sind wir bei 30 Bildern pro Sekunde. Wir hatten in diesem Jahr den direkten Vergleich, was das bedeutet. Denn die Arbeiter waren gleichzeitig mit der Maschine auf dem Feld. Zu sehen, wie der Roboter über das Feld rast, war für uns faszinierend – und für die Erntehelfer frustrierend.
Wie verbreitet ist Künstliche Intelligenz überhaupt in der Landwirtschaft – vor allem von Bio-Betrieben hat man ja oft ein etwas ursprünglicheres Bild …
Zur Zeit gibt es eigentlich gar nichts, was unserem Projekt ähnelt und eingesetzt wird. Das muss und wird sich aber ändern. Wir waren 2015 vielleicht die ersten, sind aber längst nicht mehr die einzigen. Die Not ist überall spürbar. Wenn die Weltbevölkerung weiter wächst, die Anbauflächen aber weniger werden, dann muss der Automatisierungsgrad in der Landwirtschaft steigen. Das hat dann auch nicht nur für Landwirte viele Vorteile. Denn plötzlich können Ingenieure auch auf dem Land arbeiten. Die Landwirtschaft ist nicht mehr nur der Bauer auf seinem Feld. Wir haben hier promovierte Menschen, die die Automatisierung vorantreiben.
Der Westhof ist im Vergleich zu vielen anderen Bio-Betrieben gigantisch. Ist es für kleinere Höfe überhaupt finanziell möglich, KI einzusetzen?
Wenn das erste Produkt steht, dann können wir optimieren – auch den Preis. Der erste Roboter, den wir gekauft haben, um ihn umzubauen, hat 260.000 Euro gekostet. Das ist für fast alle Landwirte zu viel. Jetzt haben wir einen solarbetriebenen umgebauten Jäteflieger im Einsatz, auf dem die Arbeiter normalerweise liegen und das Unkraut entfernen. Der kostet nur 30.000 Euro in der Anschaffung. Wenn man bedenkt, dass sich Landwirte Geräte für 300.000 Euro an den Traktor hängen, kann das für viele interessant sein. Auch für konventionelle Betriebe. Denn die dürfen vielleicht irgendwann auch nicht mehr spritzen. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass unsere Roboter irgendwann nicht nur bei Bio-Landwirten zum Einsatz kommen können – und nicht nur bei den großen Betrieben. Es gibt ja auch heute schon Firmen, die mit ihren Maschinen mehrere Betriebe versorgen. Es kann sich ja schließlich nicht jeder einen Mähdrescher leisten. Das wäre auch mit unserem System denkbar.
Ist das System auch auf andere Pflanzen übertragbar? Schließlich baut nicht jeder Landwirt Möhren an …
In jedem Fall. Das große Problem ist nicht die Erkennung, sondern die Unkrautvernichtung. Wir haben bereits das nächste Projekt, bei dem wir Drohnen einsetzen. Wenn es beispielsweise einen starken Regenschauer gibt – von denen wir durch den Klimawandel ja mehr bekommen werden – dann kann ein 1,5 Tonnen schwerer Roboter nicht aufs Feld. Eine Drohne könnte nach dem Regenschauer trotzdem Unkraut vernichten – auch wenn die Technik heute noch viel zu viele Nachteile hat. Wir testen jetzt gerade in Baumschulen. Die dürfen bald auch keine Pestizide mehr verwenden. Also schauen wir, wie wir das System mit Drohnen dorthin übertragen können, um die Unkrautvernichtung auch dort zu automatisieren.
Werden Höfe dann irgendwann IT-Abteilungen haben?
In unserer Vision schon.
Wie sieht diese Vision aus?
In unserer Vorstellung lässt der Bauer morgens die Drohne übers Feld fliegen und schaut am Schreibtisch, wie es auf dem Acker aussieht. Wenn er beispielsweise eine Menge Insekten entdeckt, die sich über sein Gemüse hermachen, schickt er Roboter los, die sich drum kümmern. Auch das Wetter ist in Zeiten des Klimawandels ein größerer Faktor. Und es ist total lokal: Auf dem Hof ist es trocken, auf dem Feld geht die Welt unter. Darauf müssen wir uns einstellen. Wir sind da ganz am Anfang, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen.
Stephan Hußmann ist seit Ende 2004 hauptamtlicher Professor an der Fachhochschule Westküste im Bereich Mikroprozessortechnik und elektronische Systeme. Er ist zudem Mitbegründer des Instituts für Bildverarbeitungstechnologie. Sein jüngstes Projekt beschäftigt sich mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Unkrautvernichtung. Partner ist der Westhof im Kreis Dithmarschen. Der Betrieb baut auf 1000 Hektar Bio-Gemüse an, das in die ganze Republik geliefert wird.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO FH Westküste