So funktioniert Künstliche Intelligenz im Biolandbau

So funktioniert Künstliche Intelligenz im Biolandbau

Florian Johannes Knoll hat einem Roboter beigebracht, wie man Unkraut jätet. Aus dem Projekt der FH Westküste ist ein Start-up geworden, das Künstliche Intelligenz in den Biolandbau bringt.

Es gab Zeiten, sagt Florian Johannes Knoll, da habe er ein Weilchen gebraucht, um in einem Supermarkt die Karotten zu finden, wenn die Auslagen in der Gemüseabteilung nicht beschriftet waren. Lebensmittel waren für ihn damals in seiner Schüler- und Studentenzeit kaum mehr als Produkte, die man eben zum Kochen brauchte. Wofür er sich dagegen wirklich begeisterte, das war alles, was mit Technik zu tun hatte. Seine eigenen Computerspiele etwa – und mehr noch der Code dahinter, mit dem Programmierer die Figuren darin zum Leben erwecken.
Heute muss der 38-Jährige nicht mehr doppelt hinschauen, um Karotten im Gewirr eines Gemüseregals zu finden. Er hat in ungezählten Stunden Zigtausende Fotos davon studiert. Bilder von Babykarotten und von ausgewachsenen Karotten, von Karotten auf staubtrockenen Äckern und Karotten in schlammiger Erde, von Karotten im gleißenden Sonnenlicht und Karotten im Regen.

Am Anfang stand eine große Idee – und mühselige Kleinarbeit

Sein Faible für das bodenständige Gemüse hängt eng mit seiner Begeisterung für alles Technische zusammen. Knoll hat zusammen mit seinem Mitstreiter Vitali Czymmek einen Roboter entwickelt, der das Unkraut auf Karottenäckern jätet. Dazu haben sie tagelang Fotos von Karotten aufgenommen, in unterschiedlichsten Wachstumsstadien und bei allen denkbaren Lichtverhältnissen. Anschließend haben sie die Bilder mit einer Handvoll Studierender zusammen in mühseliger Kleinarbeit ausgewertet: Wo ist eine Karotte zu sehen, wo Unkraut wie Disteln oder Knöterich?
Mit den Bildern und Informationen haben sie anschließend eine Künstliche Intelligenz (KI) trainiert. Sie wollten sie in die Lage versetzen, Karotten zielsicher und sekundenschnell von Unkraut zu unterscheiden.

Künstliche Intelligenz revolutioniert die Wirtschaft – auch im Biolandbau

Die Idee, Bilder mit Hilfe sogenannter neuronaler Netze automatisiert auszuwerten, gibt es seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Die amerikanische Post hat die Technik schon vor Jahrzehnten erprobt, um handgeschriebene Postleitzahlen auf Briefen einzulesen. Damals allerdings waren schrankgroße Computer dazu nötig. Doch seither ist die Rechenleistung von Prozessoren rasend schnell gewachsen. Inzwischen sind Anwendungen möglich, die vor wenigen Jahren noch für Science Fiction gehalten worden wären – etwa in der Landwirtschaft.
Den Anstoß für das Karottenprojekt hat Stephan Hußmann gegeben, Knolls früherer Professor an der FH Westküste, der auch seine Doktorarbeit zur „Klassifikation der Pflanzenerkennung mittels Deep Learning“ wissenschaftlich betreut hat. Die FH Westküste arbeitete in dem Projekt seit 2014 mit dem Westhof im Kreis Dithmarschen zusammen, einem der größten Bio-Betriebe Deutschlands. Daraus entstand 2018 das Start-up Naiture, an dem Knoll und sein Partner Czymmek Mitgründer sind. Sie entwickeln unter anderem KI-Anwendungen weiter.

Der Roboter tut, was er soll. Jetzt muss er zur Serienreife gebracht werden

„Unsere Technik funktioniert, der Roboter ist einsatzbereit“, sagt Knoll, und schiebt dann ein „im Prinzip“ hinterher. In Praxistests hat der Roboter bewiesen, dass er Karotten präzise von Unkraut unterscheidet – die sogenannte Klassifikationseinheit tut, was sie soll. Schwierigkeiten gibt es noch mit der sogenannten Vernichtungseinheit, die das Unkraut entfernt. Knoll und Czymmek erproben dazu zwei verschiedene Ansätze. Im ersten werden ungewollte Pflanzen mit Klingen herausgeschnitten, im zweiten per Laser verbrannt. Doch die Klingen werden noch zu schnell stumpf und beim Laser ist unter anderem die Frage der Energieversorgung eine Herausforderung. Knoll ist aber optimistisch, dass die Probleme gelöst werden. Dass dem Start-up das Geld ausgehen könnte, bevor der Jäteroboter serienreif ist, fürchtet er nicht.

Roboter erleichtern die Arbeit im Biolandbau.

Könnte KI dem Menschen gefährlich werden? Indirekt schon, sagt Knoll

Nicht nur für das eigene Projekt, auch für die Entwicklung von KI-Anwendungen insgesamt sieht Knoll gewaltiges Potenzial. Schon heute ist KI aus vielen Bereichen kaum wegzudenken. Die Genauigkeit, mit der sie beispielsweise medizinische Diagnosen erstellt, ist verblüffend. Knoll weiß allerdings auch, dass manchen Menschen diese Entwicklung Angst macht. Könnten all die dystopischen Hollywoodfilme, die seit Jahrzehnten beschreiben, wie eine Künstliche Intelligenz den Menschen unterjocht, eines Tages real werden?
Knoll hält das für eher wenig wahrscheinlich. „Im Grunde ist die KI dumm“, sagt er. „Sie kann nur das, wofür sie geschaffen wurde. Und das beschränkt sich meist auf sehr eng begrenzte Felder. Derzeit besitzt sie nur eine Inselbegabung.“ Der Jäteroboter etwa könne Unkraut vernichten. Aber schon, wenn es darum geht, neues Gemüse auszusäen, sei er hoffnungslos überfordert. An KI mit Weltherrschaftsambitionen glaubt Knoll deshalb nicht.

Eine andere Gefahr aber hält er für durchaus real: Wenn KI dem Menschen eines Tages auf praktisch allen Gebieten die Arbeit abnimmt, könnte der Mensch träge werden und sich zu sehr auf die KI verlassen. Wissen würde nicht mehr von einer Generation an die nächste weitergegeben werden, weil niemand sich noch die Mühe machen würde, zu lernen oder zu studieren. „Aber was passiert, wenn die KI dann durch irgendein Ereignis plötzlich ausfällt?“, fragt Knoll. „Fallen wir dann zurück in die Steinzeit, weil keiner die KI reparieren kann?“
Dass es dazu nicht kommen muss, zeigt seine eigene Karriere. Es waren Neugier, Wissensdurst und Begeisterungsfähigkeit, die Knoll auf dem Gebiet der KI weit gebracht haben – Eigenschaften, die auch in Zukunft viele Menschen in wissenschaftliche Studiengänge bringen dürften.

TEXT Volker Kühn
FOTOS FH Westküste