Ein Interview mit Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen) über ihre Karriere, Sparen mit großen und kleinen Beträgen und die Frage, ob sie als gelernte Erzieherin sich heute manchmal an die Arbeit mit Krabbelgruppen erinnert fühlt.
Monika Heinold ist in Gütersloh geboren, wurde 1996 erstmals Abgeordnete, ist seit 2012 in drei verschiedenen Regierungen Finanzministerin. Und seit 2018 auch stellvertretende Ministerpräsidentin. Dass sie Zahlen nicht nur beherrscht, sondern den Umgang mit ihnen geradezu liebt, ist ein offenes Geheimnis.
Sie haben 1980 Ihr Abitur in Schleswig abgelegt und danach als Erzieherin gearbeitet. Jetzt sind Sie Finanzministerin. Wie ‚lernt‘ man Finanzministerin? Das ist schließlich kein Ausbildungsberuf.
Ich habe die Ausbildung zur Erzieherin absolviert und im Zusammenhang damit auch mein Fachabitur. Die Ausbildung beinhaltete viele Elemente wie Pädagogik, Psychologie und Kommunikation. Das ist das eine, was mir im Alltag sehr hilft. Das andere ist, dass ich über ein Jahrzehnt als Abgeordnete im Finanzausschuss tätig war und dort tatsächlich lebenslanges Lernen praktiziert habe. Lebenslanges Lernen ist eine Philosophie fürs eigene Leben: Ich will immer weiterkommen, mehr erfahren, mehr Wissen und darauf aufbauend dann Expertise sammeln, so dass ich beispielsweise auch den Job einer Finanzministerin kann.
Hat Ihnen das jemand beigebracht oder ist das alles Learning by Doing?
Learning by Doing tatsächlich. Sie brauchen als Finanzministerin einen positiven Bezug zu Zahlen. Sie müssen logisch denken, politisch priorisieren können und am besten auch noch ein Gefühl dafür haben, was den Menschen im Land wichtig ist. Und da hilft die Erfahrung als Erzieherin, man ist dicht dran an Familien, die Schwierigkeiten haben und Unterstützungsbedarf. Das hilft mir als Finanzministerin bei der Frage von Priorisierung und Entscheidung für den Rahmen des Landeshaushaltes.
Brauchen Sie Ihre Kompetenzen als Erzieherin im politischen Alltag. Erinnert Sie noch etwas an Ihre Arbeit mit Krabbelgruppen?
Im Ministerium? Ich würde auf keinen Fall von einer Krabbelgruppe sprechen. Aber ja, gerade die Arbeit im Kabinett hat viel damit zu tun, dass wir gut und fair miteinander umgehen, dass wir einen offenen Austausch haben, dass wir den Dialog führen. Das vermisse ich manchmal ein bisschen in Berlin. Setzt euch doch einmal zusammen und sprecht miteinander, bevor ihr an die Öffentlichkeit geht, wäre meine Empfehlung. Wir hier leben dieses Miteinander, den Austausch, die Kommunikation, das Suchen und Finden gemeinsamer Lösungen, die für alle tragbar sind.
Und als Sie dann gefragt wurden: Möchten Sie Finanzministerin werden? War die Entscheidung einfach?
Es lief ja ein bisschen drauf zu, und ich wollte das auch gerne. Vor elf Jahren habe ich es mir einfach zugetraut. Wenn Sie dann als Ministerin feststellen, mit dem nachgeordneten Bereich sind Sie verantwortlich für 4000 bis 5000 Mitarbeitende, dann ist es noch mal ein Aha-Erlebnis. Man braucht loyale Beamte und eine Verwaltung mit hoher Expertise. Sonst kann man den Job nicht machen.
Der Landeshaushalt hat ein Volumen von 14 Milliarden Euro. Verliert man im Laufe der Zeit die Angst vor großen Zahlen?
Ich hatte nie Angst vor großen Zahlen und mag es, mit Zahlen umzugehen. Ich lese auch gerne Tabellen. Was eine größere Herausforderung war, immer wieder Dritten auch deutlich zu machen, dass ich genau diese Angst nicht habe, dass ich Selbstbewusstsein mitbringe. Denn Finanzpolitik ist leider immer noch sehr männerdominant.
Gibt es diesen prinzipiellen Widerstand Frauen gegenüber eigentlich noch?
Ja, eindeutig ja. Ich stelle aber fest, dass es sich in der jüngeren Generation deutlich verändert hat. Wir haben selbstbewusste und hochqualifizierte Frauen. Wir haben Männer, die erfreulicherweise auch Familienarbeit teilen wollen, also mit einer anderen Haltung herangehen, einen eigenen Anspruch an Work-Life-Balance haben. Also, die Dinge verändern sich. Aber gerade in der Welt der Vorstände, in der Welt der Finanzpolitik und der Wirtschaftspolitik treffen Sie auf sehr viele von Männern dominierte Gremien. Und die fragen sich dann immer: Warum fühlen sich Frauen hier nicht wohl? Ja, warum wohl? Da kann und muss sich weiter etwas verändern.
Haben Finanzthemen in Ihrer schulischen Bildungskarriere eine Rolle gespielt?
Nein. Also ich erinnere mich nicht, dass wir in der Schule Fächer wie zum Beispiel Verbraucherlehre hatten, in denen ein Praxisbezug hergestellt wurde zwischen Finanzen und dem täglichen Leben. Das ist aber eine entscheidende Grundlage dafür, dass Menschen später auch gut durchs Leben kommen, dass sie Zahlen einordnen und zuordnen können. Dass Kinder ein Verhältnis zu Geld entwickeln. Ich weiß noch, meine Mutter hat mit mir beim Abwaschen immer Kopfrechnen geübt. Ich durfte sehr früh auch Teile der Urlaubskasse verwalten. Da habe ich einen Bezug zu Zahlen und zu Geld gelernt. Dieser Praxisbezug ist im Familienalltag teilweise verloren gegangen, auch durch Digitalisierung und elektronische Zahlungsverfahren.
Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit der ersten weiblichen Vorsitzenden des Kieler Businessclubs an der Uni. Sie sagte, das Thema Finanzbildung habe auch bei ihr in der Schule gar nicht stattgefunden und das sehr bedauert. Insofern hat sich scheinbar nichts geändert.
Doch. Wirtschaftliche Bildung und Verbraucherbildung haben heute einen anderen Stellenwert, auch in unseren Schulen. Dennoch müssen sich Schüler und Studierende immer noch viel selbst erarbeiten. Als Finanzministerium haben wir ein ganz interessantes Projekt, den ‚Monetenkieker‘. Das ist ein Portal, auf dem der Landeshaushalt heruntergebrochen wird auf einzelne Bereiche: Also wie viel Geld geht in Bildung, wie viel davon in die Schulen, in die Berufsschule, was geht in Sport, was ist für Kultur da? Damit bin ich dann in Berufsschulklassen unterwegs gewesen. Das war ganz spannend, mit Berufsschülerinnen und -schülern zu diskutieren, und hat ihnen auch viel Spaß gebracht, weil genau darüber dieser Bezug ‚Ich zahle Steuern und das ist die staatliche Leistung‘ hergestellt wurde. Das vermisse ich in der medialen Debatte, wenn dieser Bezug nicht hergestellt wird: Steuern werden gesenkt, die Bürgerinnen und Bürger freuen sich, ebenso die Wirtschaft. Aber es bedeutet eben auch, dass der Staat weniger Geld für Daseinsvorsorge hat, weniger für Bildung, weniger für Straßenbau. Diese zweite Ebene wird oftmals gar nicht mitdiskutiert. Und das ist nicht gut.
Sie sagen, das sei die Aufgabe der Politik. Ist es nicht eigentlich Aufgabe der Bildungspolitik?
Verantwortung ordne ich ungern einzelnen Bereichen zu. Alle Politikbereiche, aber auch die Familie tragen Verantwortung: Lesen, Schreiben, Rechnen, beim Einkaufen schauen, wie viel liegt im Wagen, wie viel Geld bleibt übrig. Kinder müssen im Alltag immer wieder an das Grundwissen herangeführt werden. Aufgabe der Schule ist, das Lernen so zu gestalten, dass nicht nur Wissen vermittelt wird, sondern dass unsere Kinder vor allem lernen, wie sie in einer globalisierten, schnelllebigen Welt Informationen bekommen können und wie diese einzuordnen sind. Aufgabe der Politik ist es, Argumente transparent abzuwägen und Entscheidungen in verständlicher Sprache zu erklären
Sie haben in Ihrer politischen Laufbahn einiges an Finanzkrisen und globalen Krisen miterlebt. Hat das für Sie den Zugang zur Finanzwelt verändert? Haben Sie da was gelernt?
Ich bin deutlich kritischer geworden. Als ich Abgeordnete geworden bin, hatten wir eine Landesbank, die immer Gewinne erwirtschaftete und dann mit einer gewissen Überheblichkeit dem Land präsentierte, dass es auch ein bisschen davon abbekommt. In der Finanzkrise 2008/09 hat sich das drastisch geändert, weil sich herausstellte, dass diese scheinbar gute Expertise und dieses scheinbar gute Wirtschaften zu einem milliardenschweren Schaden für Schleswig-Holstein geführt hat. In dieser Phase habe ich gelernt, alles zu hinterfragen. Wenn ich die Auszubildenden unserer Steuerverwaltung begrüße, empfehle ich ihnen: Geht in die Finanzämter und stellt Fragen, fragt im Unterricht, fragt eure Ausbildende, scheut euch nicht. Fragen führen dazu, dass das Gegenüber sich erst einmal selbst versichern muss, ob es den ganzen Komplex selbst verstanden hat. Und das hat man eigentlich nur, wenn man ihn auch erklären kann.
Viele Menschen haben persönlich unter der Finanzkrise gelitten. Was hat Sie am meisten geprägt?
Natürlich kenne ich Berichte von Menschen, die in einer der letzten Finanzkrisen Geld verloren haben. Das ist tragisch. Und auch für das Land Schleswig-Holstein ist der Schaden, den die HSH Nordbank angerichtet hat, mit rund fünf Milliarden Euro sehr hoch. Auch die nächste Generation wird noch Zinsen dafür zahlen müssen. Das ist wirklich bitter und schmerzt, weil es den Handlungsspielraum des ganzen Landes einengt.
Wenn Sie politische Bildung und Finanzbildung gegenüberstellen, wie wichtig sind diese Ihrer Ansicht nach in der schulischen Bildung?
Ich glaube, politische Bildung ist noch wichtiger. Wir sehen ja, dass wir jeden Tag für unsere Demokratie kämpfen müssen. Es schien ja ein, zwei Jahrzehnte so, als sei Demokratie so gefestigt, dass sich keiner mehr darum kümmern muss. Bis hin zu einer Haltung: Ich muss nicht zur Wahl gehen, es läuft schon. Jetzt sehen wir, dass rechtsradikale Kräfte unsere Demokratie gefährden. Und wir erleben zugleich junge Leute, die durch die letzten Krisenjahre sehr verunsichert sind. Sie brauchen Halt, brauchen Leitplanken und müssen die Dinge verstehen können. Politische Bildung ist die Grundlage unserer Demokratie und muss fester Bestandteil von Bildungsarbeit sein.
Auch der Fachkräftemangel ist ein wichtiges Zukunftsthema. Was haben Sie da erreicht? Wie können Sie den Fachkräftemangel aus Ihrer Position angehen?
Als Finanzministerin bin ich ja verantwortlich für die Steuerverwaltung sowie für unser Ausbildungszentrum Steuer. Wir gehen auf Ausbildungsmessen und arbeiten verstärkt digital, um junge Menschen zu erreichen. Ich bin auch neu im Vorstand der Tarifgemeinschaft der Länder. Da geht es um faire Löhne. Auch das ist natürlich wichtig für unsere Beschäftigten. Und wir sind in einem ständigen Arbeitsprozess mit der Staatskanzlei um Flexibilität im Arbeitsleben und Familienfreundlichkeit zu verbessern. Mit Teilzeit-Arbeitsplätzen und guten Homeoffice-Möglichkeiten haben wir als öffentliche Verwaltung ziemlich viel zu bieten und bauen das immer weiter aus.
Hat denn Schleswig-Holstein für junge Fachkräfte etwas zu bieten?
Ja klar. Wir sind ein Land mit hoher Lebensqualität; die glücklichsten Menschen leben bei uns in Schleswig-Holstein. Aber auch ein Land, in dem wir nicht ganz so aufgeregt, sondern entspannter miteinander umgehen, sodass viele junge Familien sich hier wohlfühlen. Andere Bundesländer sind vielleicht bei der Bezahlung ein bisschen besser, aber bei der Lebensqualität ist Schleswig-Holstein ganz vorne.
Sehen Sie in den Flüchtlingsströmen, also vor allen Dingen in den Zuwanderungen aus der Ukraine, eine Chance, etwas gegen den Fachkräftemangel zu unternehmen?
Fast alle Betriebe suchen händeringend Fachkräfte. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass das angesichts des demografischen Wandels so kommen musste. Und zugleich schaffen wir es nicht, im Bund Gesetze zu beschließen, die den Geflüchteten Perspektiven bieten, damit sie schnell eine Arbeit aufnehmen, sich weiter qualifizieren können, hier eine neue Heimat finden und ihre Familie nachholen können. Das lässt mich manchmal verzweifeln. Lösungen sind möglich, aber sie werden nicht realisiert. Immerhin geht es im Bund nun einen Schritt in die richtige Richtung. Aber wir müssen noch mehr tun. Wir brauchen die Fachkräfte und die Fachkräfte brauchen uns.
Liegen die Probleme beim Thema Staatsbürgerschaft oder dass viele Bildungsabschlüsse nicht anerkannt werden?
Sowohl als auch. Es ist vor allem die Frage von Bleiberecht und Duldung. Wenn ich sehe, dass Menschen absehbar noch über Jahre hier leben werden, wäre es klug zu sagen: Du hast eine Sicherheit, dass du hier bleiben kannst, unter diesen und jenen Bedingungen. Hier ist deine Ausbildungsmöglichkeit, da ist deine Eigenverantwortung. Pack mit an und du bist Teil unserer aktiven Arbeitsgesellschaft. Es würde allen helfen.
Fachkräfte brauchen ja auch Unternehmen, für die sie arbeiten können. Welche Schlüsselprojekte sehen Sie in Schleswig-Holstein?
Wir haben in und um Heide eine sehr dynamische Region, in der viel regenerative Energie erzeugt wird. Und energieintensive Betriebe gehen zunehmend gerne in solche Regionen. Die geplante Batteriefabrik Northvolt ist eine Riesenchance für Tausende von Arbeitsplätzen und wird weitere Ansiedlungsprojekte nach sich ziehen. Ich hoffe, dass die Ansiedlung so wie geplant gelingt.
Wie ist denn der Finanzbedarf da? Welche Mittel sind aktuell vorgesehen?
Der Landtag hat gerade 137 Millionen Euro für die Northvolt-Ansiedlung beschlossen. Finanziert werden soll es aus dem Ukraine-Notkredit, denn die aktuelle politische Situation hat noch einmal deutlich gemacht, dass wir uns schnell von fossiler Energie und von autoritären Staaten unabhängig machen müssen. Zudem werden wir vermutlich noch in diesem Jahr über die Notwendigkeit sprechen, auch Bürgschaften zu geben.
Lässt sich mit den jetzigen Haushaltsmitteln das Thema Klimaschutz ausreichend finanzieren?
Nein. Punkt. Wir haben eine sehr angespannte Haushaltslage, kommen aus drei Krisenjahren, und die Wirtschaftsentwicklung ist instabil. Die Steuereinnahmen schwanken extrem, Steuersenkungspakete des Bundes reißen große Löcher in die öffentlichen Haushalte. Damit müssen wir umgehen. Deshalb nutzen wir Mittel aus dem Notkredit, denn für die sozialökologische Transformation braucht es jetzt und künftig deutlich mehr Geld.
Wenn Sie mit jungen Leuten reden, können Sie denen etwas mit auf den Weg gehen, wie man mit seinem persönlichen Budget umgeht, nach welchen Gesichtspunkten man wirtschaften sollte?
Also das Wichtigste ist, jederzeit den Überblick über die eigene Kasse zu behalten. Da hilft auch aufschreiben. Wie viel Taschengeld habe ich, wie viel verdiene ich, reicht mein Monatsbudget aus, um notwendige und geplante Ausgaben zu bezahlen? Wenn man diesen Schritt gemacht hat, ist man schon gut davor. Wichtig ist aber, sich auch mit der Frage von Schulden und Zinsen zu beschäftigen. Vor allem, bevor man das Konto überzieht, sollte man sich unbedingt die Höhe der Zinsen für eine solchen Dispo-Kredits anschauen. Damit man sich entscheiden kann, will ich wirklich über zehn Prozent Zinsen zahlen oder warte ich lieber einen Monat mit der Anschaffung, bis ich das Geld habe?
Klingt sehr konservativ.
Ich bin in finanziellen Dingen sehr konservativ und immer dafür, lieber ein bisschen etwas übrig zu haben im Portemonnaie. Das war schon mein Leben lang so, und als Finanzministerin ist es nicht die schlechteste Grundlage.
TEXT Christian Bock
FOTO Sebastian Weimar