Jeannie in a Black Box – Chancen und Risiken von ChatGPT an Schulen

Jeannie in a Black Box – Chancen und Risiken von ChatGPT an Schulen

Aus dem Jahr 2018 stammt die Warnung des berühmten Astrophysikers Stephen Hawking: „Eine Super-KI wäre entweder das Schlimmste oder das Beste, was der Menschheit zustößt”. Seit der Veröffentlichung von ChatGPT durch OpenAI, am 30. November 2022 wird diese neue KI-Anwendung sehr kontrovers diskutiert. Im März 2023 haben sich nun mehr als eintausend Personen, darunter zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch CEOs namhafter Unternehmen aus der ganzen Welt in einem offenen Brief der gemeinnützigen Organisation „Future of Life” für eine Pause bei der Entwicklung dieser Technologie ausgesprochen.

Optimisten feiern den Beginn einer neuen Ära, in der eine Nutzer-App wie ChatGPT in der Lage ist, als LLM (Large Language Model), das im Internet verfügbare Wissen (Datensammlung bis 2021) quasi auf Knopfdruck verfügbar zu machen und Nutzeranfragen in Höchstgeschwindigkeit zu beantworten. So ist ChatGPT im Stande, Texte von der Pressemitteilung bis zur wissenschaftlichen Abhandlung zu verfassen, sie zu komprimieren, zu übersetzen, bei der Ideenfindung zu helfen oder sogar Webseiten zu codieren. Diejenigen, welche die Einführung kritischer sehen, treibt neben der Sorge, derlei Programme könnten einige Berufe obsolet machen, auch die nach den Daten um, aus der Programme wie ChatGPT oder im visuellen Bereich Programme wie Midjouney ihren Output beziehen. So wird auch die Kritik Kunstschaffender lauter, Tools wie diese würden vielfach das Urheberrecht verletzen.

Weit verbreitet und populär ist ChatGPT nach seinem Raketenstart allemal. Im Januar 2023 hätten das Programm durchschnittlich etwa 13 Millionen Besucher pro Tag genutzt, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf Daten des Analyseunternehmens Similarweb bezieht. Wegzudenken ist dieser digitale Meilenstein also nicht mehr. Stellt sich bei aller Euphorie um vereinfachte Prozesse dennoch die Frage: Wie sollen User – vor allem Schülerinnen und Schüler, deren zukünftige Karriere gewiss eng mit KI verbunden sein wird – eigentlich mit ihr umgehen?

„ChatGPT im Klassenzimmer – Hype oder real?“

So lautete der Titel einer Veranstaltung, die am 22. März 2023 auf der Bitkom-Bildungskonferenz stattfand. An zwei Tagen drehte sich alles um die digitale Transformation im Bildungswesen. Akteure aus Wissenschaft, Politik; Bildungspraxis, Unternehmen und EdTech-Start-ups diskutierten, wie KI-gestützte Bildungstechnologien die Bildungswelt revolutionieren könnten. Im Fokus standen die Fragen: Wie kann die Gesamtheit der Bildungskette mit der sich wandelnden Arbeitswelt Schritt halten? Wie müsste sich Lernkultur ändern? Wie könnte KI Lehrende bei der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts unterstützen? Und vor allem: Wie ist ein selbstbestimmter Umgang mit der digitalen Welt möglich und wo liegen ihre Grenzen?

Prof. Dr. Doris Weßels: Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel, Initiatorin des neuen virtuellen Kompetenzzentrums „Schreiben, Lehren und Lernen mit KI“ und zweite Vorsitzende des DiWiSH e.V.

Die große Anzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern verdeutlichte den enormen Informationsbedarf rund um den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich sowie neuer Trend-Apps wie ChatGPT. ME2BE hat Eindrücke der Veranstaltung „ChatGPT im Klassenzimmer – hype oder real?“ der 45-minütigen Veranstaltung gesammelt. Um das Phänomen ChatGPT für den Bildungsbereich einzuordnen sowie die divergierenden Einschätzungen zu erörtern, waren die verschiedenen Experten eingeladen. Geleitet wurde die Diskussion von Prof. Dr. Doris Weßels (Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel, Initiatorin des neuen virtuellen Kompetenzzentrums „Schreiben, Lehren und Lernen mit KI“ und zweite Vorsitzende des DiWiSH e.V.), Diana Knodel (Gründerin der Weiterbildungsplattform für Lehrkräfte fobizz) und Eike Völker (Leiter der Schuller-Schule Bochum).

ChatBots – von Schocks und Chancen

Doris Weßels berichtete zu Beginn von ihren Beobachtungen und Erfahrungen: Seit der Einführung von ChatGPT gebe es an Hochschulen und Schulen einen erheblichen Diskussions- und Regelungsbedarf. Bereits 2022 hätten sie und ihre Mitarbeiter am Kompetenzzentrum in Kiel die Bereitstellung leistungsstarker digitaler Tools erwartet, das plötzliche Auftauchen der Chat-Variante habe sie dann doch überrascht. Die Professorin erachtet den proklamierten Tod wissenschaftlicher Hausarbeiten jedoch als übertrieben. Stattdessen sieht sie die Herausforderung, Aufgabenstellungen an die neue Technologie anzupassen. Eine reine Wissensreproduktion könne sich so zu kreativeren Aufgabenstellungen hin verlagern – hier seien in erster Linie die Lehrkräfte gefordert und zwar zeitnah. Prof. Weßels erinnerte sich an eigene Versuche mit ähnlicher KI-Variante im Jahr 2021. So habe sie im Rahmen einer KI-Schreibwerkstatt versucht, ein solches Tool maximal auszureizen und im Rahmen des Projektes experimentell Fake News mit Bildern erstellt. Dadurch sei die Gruppe sensibilisiert worden, sich noch kritischer mit Medien und deren Konsum auseinanderzusetzen. Zudem habe das Tool Studierenden geholfen, Schreibblockaden abzubauen, da sie es als virtuellen Schreibassistenten wahrnahmen, der Leichtigkeit vermittle und die Angst vor dem weißen Blatt nehme. Schulen komme ab jetzt vermehrt die Aufgabe zu, Schülerinnen und Schülern das Black-Box-Modell zu erklären, mit dem das generative Modelle wie ChatGPT arbeitet, und seine Chancen und Grenzen zu erläutern. Das sei eine große Herausforderung für die menschliche Vorstellungskraft. So müsste man ihrer Meinung nach den „Schock“ erleben, wie es ist, wenn man fünfmal die gleiche Frage eingibt und fünf verschiedene Antworten erhält. Man müsse erkennen, dass das Modell nicht deterministisch sei und immer hinterfragt werden müsse.

KI zwischen Vereinfachung und lebenslangem Lernen

Der Andrang bei Fortbildungen im Bereich KI sei enorm, wusste Diana Knodel, Gründerin der Weiterbildungsplattform für Lehrkräfte fobizz. So hätten in den vergangenen Monaten 30.000 Lehrerinnen und Lehrer an derartigen Fortbildungen teilgenommen. Diana Knodel nimmt ein wachsendes Interesse von Lehrerinnen und Lehrern wahr, das Thema zu verstehen und zu lernen, wie man KI mit Schülerinnen und Schülern nutzen kann. Um die Chancen, aber auch die Grenzen und Gefahren zu erläutern, habe ihr Unternehmen virtuelle Klassenräume geschaffen, die von Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern nutzbar seien. Für Lehrkräfte gebe es viele Einsatzszenarien. So könne KI die Unterrichtsvorbereitung erleichtern, Inspiration für neue Themen geben, bei Aufgabenstellungen behilflich sein oder Arbeitsblätter oder Elternbriefe aufsetzen, die individuell angepasst werden können.

Von Medienkompetenz und Schwarmintelligenz

Die von Eike Völker geleitete Schuller-Schule in Bochum gilt als digitale Vorreiterschule. Dennoch erlebte der Schulleiter mit Aufkommen von ChatGPT Lehrerinnen und Lehrer in Aufregung, die sich fragten, wie sie zukünftig unterscheiden sollen, ob ein Schüler oder ChatGPT einen Text verfasst habe. Diese erste Aufregung habe sich inzwischen aber gelegt. Nun arbeite man progressiv daran, das Programm sinnvoll in den Unterricht zu integrieren. Noch sei der Umgang mit solchen Tools vielfach Spielerei. Man merke als Nutzer schnell, dass es die treffenden Promts (zu Deutsch: Aufforderung) brauche, damit LLMs das passende Ergebnis generieren. Völker betont die Herausforderung, Schülerinnen und Schülern beizubringen, die Ergebnisse richtig zu bewerten und in den passenden Kontext zu setzen. Auch das Erkennen von Fake News stelle eine wichtige Aufgabe dar. Ein Problem sah er in der allgemein verbreiteten Annahme, die Maschine sei gut und ihre Informationen seien wahr. Außerdem würden gerade die visuellen KI-Bots die Gefahr bergen, Stereotype zu verbreiten. Schulen müssten, so Völker, zunächst flächendeckend digitalisiert und alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden, denn Programme wie ChatGPT bräuchten jede Menge Datenvolumen, bei dem das Wlan an mancher Schule schnell an seine Grenzen komme. Da ChatGPT, wie das Internet, nicht mehr verschwinden werde, müssten die erforderlichen Kompetenzen vermittelt werden, um in der Lage zu sein, zum Beispiel Daten überprüfen zu können. An seiner Schule habe er beispielsweise einen pädagogischen Tag genutzt, um das Kollegium über neuronale Netze, Chatbots und praktische Anwendungsmöglichkeiten zu informieren. Zudem gebe es im Kollegium Mikrofortbildungen, bei denen die Lehrkräfte ihr Wissen mit Kolleginnen und Kollegen teilen. So entstehe im Idealfall eine Art Schwarmintelligenz, die aktuell leider noch eine Insellösung darstelle, den Herausforderungen jedoch aktiv begegne.

Von Gutachtern und Study Buddies

Auf die Frage der Moderatorin, wohin sich die Kompetenz von Schülerinnen und Schülern zukünftig verschiebe, befand Prof. Doris Weßels, dass man als Nutzer durch die notwendige Bewertung dessen, was Programme wie ChatGPT ausgeben, eine Stufe höher steige, wie eine Art Gutachter. Als solcher müsse man erkennen, was stimme und was nicht. Dazu sei jedoch die Ausbildung grundlegender Kompetenzen notwendig – eine didaktische Aufgabe für die Lehrkräfte. Auch Eike Völker sah den Schlüssel im Umgang mit ChatBots im Erlernen von Basiskompetenzen. Das Risiko sieht er in der Eins-zu-Eins-Übernahme von Texten. So appellierte er an junge Menschen, ChatBots als Study Buddy zu sehen, den man nach Verbesserungsvorschlägen fragen könne, wenn man nicht weiterkomme. Auch Diana Knodel plädierte für eine zeitnahe Förderung der Medienkompetenz von Lehrenden und Lernenden gleichermaßen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass junge Menschen die von ChatBots generierten Ergebnisse unkritisch übernähmen. Eine wesentliche Verantwortung sah das Plenum sowohl bei den Kultusministerien der Länder, als auch bei den jeweiligen Leitungen von Bildungseinrichtungen. Prof. Weßels sprach sich für eine Bündelung der Kräfte aller Länder aus und hofft, dass die KI-Aufklärung schnell vorangehe, um einer Informationsasymmetrie zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern vorzugreifen.

Genius oder KI-Genese – eine Zwischenbilanz

Aus pädagogischer Sicht ist zu begrüßen, dass das KI-Thema bei Veranstaltungen wie der Bitkom-Bildungskonferenz diskutiert wird und Experten Vorschläge machen, wie KI für Lehrende und Lernende eingeordnet und genutzt werden könnte. Bei allen Vorzügen, die Künstliche Intelligenz bietet, ist jedoch auch Skepsis geboten: Wird etwas als neuer Status Quo im Bildungswesen vielleicht zu schnell akzeptiert, ohne dessen Einführung grundlegend prüfen zu können? Denn, was Programme wie ChatGPT als Antworten liefern, die sprachliche Form eingeschlossen, wird junge Menschen unweigerlich prägen. Wie steht es um die Neutralität des Algorithmus? Kann es Neutralität wirklich geben? Aber was, wenn die Zeit, die wir durch solch eine KI einsparen, letztlich benötigt wird, um ihre Ergebnisse zu überprüfen? Wird das Urheberrecht letztlich untergraben? Juristen diskutieren das Thema heiß, und einige Künstler gehen bereits gegen Tech-Unternehmen vor Gericht, da sie ihre Urheberrechte verletzt sehen.

Stichwort Zukunftsperspektiven für junge Menschen: Kann KI auch ihnen nützliche Antworten generieren – beispielsweise neuartige Berufe wie den des Artificial Intelligence Prompters oder auch Promt Engineers, dessen Aufgabe es ist, das Beste aus der KI herauszuholen, indem er sie mit den richtigen Fragen und Anweisungen füttert? „Der Wert einer Idee liegt in ihrer Umsetzung“ schrieb einst der amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison. Doch was passiert, wenn der Mensch diese Umsetzung an die KI übergibt? Denn eins ist klar, text- und bildgenerierte Algorithmen sind erst der Anfang. Keine Frage: Uns alle stellt diese revolutionäre technologische Innovation vor ungeahnte Herausforderungen. So müssen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam Wege finden, die Vorteile zu nutzen und die Gefahren möglichst kontrollier- und beherrschbar zu machen. Vielleicht ist der offene Brief der internationalen Experten, eine Entwicklungspause zu fordern, ein erster Schritt in diese Richtung. Der Deutsche Ethikrat jedenfalls empfiehlt in seiner ebenfalls im März erschienenen Stellungnahme „Mensch und Maschine”, klare Regelungen auch für den Bildungsbereich zu treffen.

TEXT Kristina Krijom
FOTO Fachhochschule Kiel
ILLUSTRATION Ibou Gueye

Als journalistische Vorreiter veröffentlichten wir bereits im Mai 2021 den Artikel: „KI: Wenn der Computer Aufsätze schreibt“, in dem wir mit Prof. Dr. Doris Weßels sprachen.