So der Titel einer Veranstaltung der DiWiSH und des KI-Transfer-Hub SH unter dem gemeinsamen Dach der WTSH am 17.02.2023 im Wissenschaftszentrum in Kiel. Der Andrang der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war groß und verdeutlicht den immensen Informationsbedarf rund um die neue Trend-App ChatGPT. ME2BE hat Eindrücke der dreistündigen Veranstaltung festgehalten.
Am 30.11.2022 ist ChatGPT von OpenAI an den Start gegangen und wird seitdem als Quantensprung im Bereich der Künstlichen Intelligenz gefeiert. ChatGPT bedeutet Generative Pre-trained Transformer und ist eine Nutzer-App, die in der Lage ist, in Höchstgeschwindigkeit digitalisiertes, im Internet verfügbares Wissen (Datensammlung bis 2021) mit den entsprechenden Suchanfragen und gewünschten Aufgabenstellungen der Benutzer zu verknüpfen. Wer jetzt noch müde lächelt und meint, das sei doch die Aufgabe von Google, findet sich nach der ersten Anwendung ganz schnell in einer neuen Dimension wieder, denn die Möglichkeiten dieser KI gehen über das bisher gekannte Maß deutlich hinaus.
ChatGPT als Shooting-Star
„ChatGPT ist eine generative KI, die Texte schreiben, programmieren und in natürlicher Textsprache mit den Nutzerinnen und Nutzern interagieren kann. Die Antworten des Systems sind von denen eines Menschen praktisch nicht mehr unterscheidbar“, heißt es in der Pressemitteilung der Veranstalter.
Wahrscheinlich ist es streng genommen der letzte Satz, der jenseits der Anwendungsmöglichkeiten seit Monaten geradezu für virale Aufmerksamkeit sorgt. Kein Wunder also, dass sich die Medien mit Meldungen diesbezüglich überschlagen und ChatGPT wahlweise als Siegeszug der Künstlichen Intelligenz, als neue industrielle Revolution oder als Beweis für den nahenden Untergang der Menschheit einordnen.
Parallel zu kontroversen Diskussionen über diesen ‚KI- Tausendsassa’ tummeln sich bereits hundert Millionen User in den Anwendungssphären der kostenlosen App-Variante. ChatGPT generiert Liebesbriefe, erledigt Hausaufgaben, erstellt Gliederungen, wird für die Anfertigung wissenschaftlicher Aufsätze genutzt, codiert Webseiten, entwickelt Business-Strategien oder ‚kreiert’ auf Anfrage Witze. Die Zahlen belegen: Der Chatbot ist für viele User in Kurzzeit zu einem immer verfügbaren, gern genutzten Assistenten geworden, der auch ungeliebte Aufgaben schnell und fraglos erledigt. Bedenklich wird es jedoch, wenn er Unsinn verzapft, ohne dass dies dem Benutzer überhaupt auffällt.
ChatGPT als Gesprächsinitiator
Um das Phänomen ChatGPT einzuordnen sowie den unterschiedlichen Meinungen und dem wachsenden Gesprächsbedarf zum „Megatrend ChatGPT“ Raum zu geben, hatten sich im Wissenschaftszentrum Fachleute aus Wirtschaft und Bildung zusammengefunden, um einem großen, interessierten Auditorium ihren momentanen Wissensstand nahezubringen.
Dieser Aufgabe stellten sich als Referenten: Prof. Dr. Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik der FH Kiel, Initiatorin des neuen virtuellen Kompetenzzentrums „Schreiben, Lehren und Lernen mit KI“ und zweite Vorsitzende des DiWiSH e.V., Moritz Larsen (ebenfalls Kompetenzzentrum), Tim Ole Jöhnk, Direktor des Northern Germany Innovation Office in San Francisco (NGIO) (der Schnittstelle Norddeutschlands zum Silicon Valley und Teil der WTSH) sowie die Fachgruppenleiter Steffen Brandt (KI) und Dr. Stefan Kabelitz (Recht). Als Moderatoren fungierten Dr. Johannes Ripken (DiWiSH) und Leonid Kock (KI-Transfer-Hub SH).
ChatGPT als Entwicklungsbooster
Zu Beginn der Veranstaltung ordnete zunächst Digitalminister und Chef der Staatskanzlei, Dirk Schrödter, (Im Interview mit ME2BE) die gesellschaftliche Wirkung des Chatbots ein: „Die Entwicklung von ChatGPT und der Hype darum zeigen, welche disruptiven Kräfte in dem Einsatz und der Anwendung von KI-Technologien stecken. ChatGPT ist zu einem Symbol dafür geworden, wie wir Gewohntes von heute auf morgen infrage stellen müssen.“ In Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung stellte er aber auch heraus, dass neue KI-Technologien nicht den Untergang bedeuten würden, sondern eine weitere Chance für wirtschaftliche Kraftentfaltung böten, ohne die auf dem internationalen Markt in Zukunft kein Unternehmen mehr wettbewerbsfähig sein werde. Abschließend lobte der Minister die Erfolge des KI-Strategielandes Schleswig-Holstein und verwies auf den produktiven Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, der schon viele KI-Leuchtturmprojekte auf den Weg gebracht habe. In dem Bewusstsein, dass technischer Fortschritt immer auch von Ängsten begleitet werde, plädierte Dirk Schrödter für eine Vielzahl solcher aufklärenden Formate und dankte den Veranstaltern für die Durchführung des Events.
ChatGPT als neue Dimension
Den Referentenreigen eröffnete Prof. Dr. Doris Weßels. Die Hochschullehrerin befasst sich seit 2018 mit dem Thema künstlicher Sprachintelligenz (Wir berichteten: Wenn Computer Aufsätze schreiben) und kennt eigentlich alle gängigen KI-gestützten Schreibwerkzeuge. Eine Art Schockmoment habe sie jedoch erlebt, als sie Ende des letzten Jahres ChatGPT testete: „Es kam mir vor wie eine Landung in einem Science-Fiction-Szenario“, gibt die Expertin unumwunden zu. Obwohl ChatGPT noch nicht perfekt sei, liefere es eine noch nicht gekannte hochwertige Qualität, agiere interaktiv und sei bestechend einfach zu handhaben. Aus technischer und wissenschaftlicher Sicht ein klarer Gewinn, aber Doris Weßels stellte auch die Frage nach der ethischen Dimension der technischen Entwicklung: „Was macht das mit uns als Menschen?“ Ihre Gegenüberstellung von Risiken und Potenzialen thematisierte die Sorgen und Hoffnungen großer Teile der Gesellschaft – und die reichen von der Angst über den Verlust menschlicher Kompetenzen bis hin zu ungeahnter Produktivitätssteigerung. Ihr Fazit: „Das Thema ist hochgradig gesellschaftlich und politisch relevant“. Sie stellte klar, dass diese Weiterentwicklung kein kurzfristiger Hype sei und die nächsten Chatbots, Avatare & Co. schon in den Startlöchern stünden. In einem abschließenden Appell betonte die Wissenschaftlerin: „Wir müssen uns alle mit dem Thema beschäftigen und aktiv aus der bislang oftmals noch eingenommenen Statistenrolle heraustreten. Besonders vor dem Hintergrund der globalen schwindelerregenden Entwicklung müssen wir gemeinsam eine gestalterische Kraft entwickeln, um die Zukunft mitzubestimmen.“
ChatGTP als Entdeckungsreise
Im Anschluss an Prof. Dr. Weßels nahm Moritz Larsen, ebenfalls Mitglied des Kompetenzzentrum „Schreiben, Lehren und Lernen mit KI“, die Teilnehmer mit auf eine praxisbezogene Entdeckungsreise in „das Land von ChatGPT“ und stellte anhand von Anwendungsbeispielen im Bereich Brainstorming, Assistent, Coding und Content dar, wo für ihn die Vor- und Nachteile des System liegen. Sein persönliches Fazit lautete: „Das Tool ist in vielerlei Hinsicht hilfreich, es bietet Ideen sowie Unterstützung und regt zum Nachdenken an; aber die Beurteilung des Ganzen hängt dann doch vom eigenen Kenntnisstand ab.“
So weit, so klar und in gewisser Weise bis hierhin auch für „Anfänger-Anwender” eher beruhigend. Anschließend präsentierte Larsen eine KI-generierte Pressemitteilung zum Erfolg der Veranstaltung, die er bereits im Vorfeld lediglich mithilfe der Auftaktmeldung zur Veranstaltung durch ChatGPT hatte erstellen lassen. Das Auditorium staunte, denn das Programm hatte nicht nur die Inhalte der Veranstaltung als gängigen Pressetext per KI generiert, sondern darüber hinaus auch völlig frei erfundene Zitate der Referenten eingefügt.
Spätestens an dieser Stelle wurden die mahnenden Worte der Vorrednerin noch einmal lebendig, denn der Vorführeffekt zeigte eindringlich, wie wichtig es ist, trotz aller Begeisterung für die Technik die ‚Steuerelemente’ der KI, den menschlichen Verstand, Vernunft und Urteilskraft zu gebrauchen, um die Möglichkeiten dieser neuen Technologie sinnvoll und gewinnbringend einsetzen zu können.
ChatGPT als rechtsfreier Raum
Einen ebenfalls wichtigen Aspekt thematisierte der abschließende Referent Rechtsanwalt Stefan Kabelitz. Sein kurzer, aber prägnanter Vortrag zum Thema „Schafft die KI das Urheberrecht ab?“ zeigte deutlich, dass nach gegenwärtiger deutscher Rechtslage der Output von KI immer noch ‚rechtsefrei‘ ist, da hierzulande nur Menschen einen Anspruch auf Urheberrecht erheben könnten, was im Fall einer generativen KI naturgemäß kaum nachzuweisen sei. Dass es bezüglich rechtlicher Statuten im nationalen und internationalen Bereich noch viel Nachbesserungsbedarf gebe und die Rechtslage mit den neuen Technologien mitwachsen müsse, räumte er unumwunden ein.
Revolutioniert ChatGPT das Bildungssystem?
In der sich anschließenden offenen Diskussionsrunde wurde neben wirtschaftlichen Faktoren auch das Thema Bildung angesprochen und die Frage aufgeworfen, inwieweit ChatGPT oder generell KI das Lehren und Lernen beeinflussen werde. Als Leiterin des Kompetenzzentrums „Schreiben, Lehren und Lernen mit KI“ fasste Prof. Dr. Doris Weßels ihre Eindrücke zusammen: „Meiner Einschätzung nach ist das Thema in den Schulen und Hochschulen bislang unterschiedlich angekommen, aber wir müssen einen Turbo einlegen, denn es gibt keinen Grund zur Entspanntheit.“ Sie prophezeite, dass zukünftig nicht nur immer neue Lern- und Prüfbots gebraucht werden, sondern auch ein generelles Umdenken und jede Menge Kreativität in der Lehre gefordert sei, die nur durch einen gemeinsamen Diskurs aller Beteiligten zustande kommen könne.
Die dreistündige Veranstaltung vermittelte eindrucksvoll die Komplexität der revolutionären Technologie und die damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Ob uns ChatGPT (oder einer seiner baldigen Nachfolger) jedoch in völlig neue Dimensionen des Wissens, Lehrens und Lernens katapultieren wird oder doch eher die ‚Büchse der Pandora‘ geöffnet hat, bleibt eine offene Frage.
Bevor es ChatGPT gab, schrieb man häufig noch selbst. Autor Cornelius Scherg erzählt die aufregende Geschichte eines Südtiroler Handwerkers im 19. Jahrhundert, der die erste serienreife Schreibmaschine erfand.
TEXT: Anja Nacken
FOTO: Shutterstock