Informatik wird in Schleswig-Holstein Pflichtfach. Doch Lehrkräfte sind rar. Das Land will vor allem durch Weiterbildungen Abhilfe schaffen, unter anderem an der Hochschule Flensburg.
In Schleswig-Holstein sind 200 Lehrerstellen unbesetzt, laut Gewerkschaft GEW kommen schätzungsweise noch knapp 2000 Personen hinzu, die ohne vollständige Lehrbefähigung unterrichten. Vor allem in den MINT-Fächern ist der Mangel groß – und gerade dort wird der Bedarf künftig steigen. Denn Schleswig-Holstein macht Informatik zum Pflichtfach, ein Pilotprojekt läuft bereits.
Einer, der sich über die Einführung des Pflichtfachs freut, ist Sven Bertel, Professor für Angewandte Informatik an der Hochschule Flensburg. „Das Ganze wurde gesamtgesellschaftlich verschlafen“, sagt er. Und das macht sich bei den Fachkräften bemerkbar. „Die Zahl der grundständig ausgebildeten Informatik-Lehrkräfte in Schleswig-Holstein ist entscheidend zu gering“, betont Bertel. Das liegt offenbar nicht nur an fehlenden Studienplätzen. In Mathematik und Informatik ist die Abbrecherquote speziell im ersten Studienjahr besonders hoch.
Während die Lehramtsausbildung in Informatik ausschließlich an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angeboten wird, ist der Flensburger Professor für Weiterbildung von fachfremden Lehrern und Lehrerinnen zuständig. Gut 100 Lehrkräfte haben er und seine Mitarbeiter bereits fit gemacht für den Informatikunterricht. Seit 2021 versucht das Bildungsministerium in Kiel mit einer Weiterbildungs- und Qualifizierungsoffensive diesem Mangel entgegenzuwirken.
Konkurrenz für die Schulen ist groß
Für Bertel ist das ein sinnvoller Weg, denn wenn es um reine Informatiker geht, die als Quereinsteiger für die Schulen gewonnen werden sollen, ist die Konkurrenz riesig. Viele werden noch aus den Studiengängen von der freien Wirtschaft gelockt. „Mit Dingen, die das Lehramt vielleicht nicht bieten kann“, vermutet der Informatik-Professor. Denn Informatiker sind dank des Megatrends Digitaisierung heiß begehrt.
Dabei hatten Bertel und seine Mitstreiter auf Lehrer gehofft, die zumindest der Informatik nahe stehen. „Es hat sich aber irgendwann gezeigt, dass nicht mehr genug Leute aus diesem Bereich da waren“, sagt Bertel. Also wurden auch Geschichts- und Erdkundelehrer weitergebildet – teils mit erheblichen Berührungsängsten. Henner Bendig, Lehrbeauftragter am Fachbereich Information und Kommunikation an der Hochschule, erinnert sich an eine Lehrerin, die sich große Sorgen machte: „Sie hatte Angst, dass die Schüler mehr wissen, als sie selbst“.
Viele schreckt der Gedanke an abstrakte Programmiersprachen und abstrakte Algorithmen ab. „Wir zeigen aber, dass Informatik viel mehr ist“, sagt Bendig. Zwar sei Informatikunterricht längst nicht mehr nur der Umgang mit Word und Excel, aber das Programmieren nehme nur einen Teil ein. „Es geht genauso um Künstlerisches, wie das Gestalten von Anwendungen und Interface-Design oder um das Erforschen von Nutzern durch Zielgruppenanalysen.“
„Programmieren gehört zum Beruf. Aber es ist nicht der einzige Inhalt. Es gibt inzwischen so viele Berufsfelder, die wichtig sind, um erfolgreiche digitale Produkte zu entwickeln, die ganz unterschiedliche Schwerpunkte haben.“
Professor Sven Bertel
Bertel hat ähnliches bereits an der Flensburger Auguste-Viktoria-Schule getestet, als er mit Schülerinnen und Schülern eine App entwickelte. Damals habe er selbst viel gelernt, erinnert sich der Professor. Aus dem Projekt ist eine Fortbildung für Informatiklehrkräfte aus ganz Schleswig-Holstein entstanden. Und Bertel konnte wichtige Erfahrungen in Sachen Schule gewinnen. Solch ein Projekt könne auch den Lehrkräften helfen, die Berührungsangst vor der Informatik abzulegen.
Schere statt Tastatur
Denn statt am Rechner wurden die ersten Prototypen mit Papier und Schere angefertigt. „Man konnte praktisch durch Bildschirme aus Papier scrollen“, so Bertel. „Das hilft, die Schwelle zu senken, weil die Schülerinnen und Schüler wahrscheinlich nicht mehr Vorkenntnisse als die Lehrkräfte besitzen.“ Da so etwas für alle neu sei, würden sich auch alle auf Augenhöhe begeben. „Und das Projekt hat Schüler abgeholt, die sich sonst nicht so für Informatik interessieren“, weiß Bertel.
Schließlich müsse es in der Schule nicht darum gehen, dass Schülerinnen und Schüler am Ende programmieren lernen, sagt Informatikprofessor Bertel, der sich an der Hochschule sonst vor allem mit jungen Menschen beschäftigt, bei denen genau das das Ziel ist. Schulen müssten vor allem Grundkompetenzen vermitteln und Vorurteile abbauen. „Es geht darum, Potenziale zu nutzen und zu verhindern, dass durch falsche Klischees Menschen den Kontakt mit Informatik meiden“, resümiert Bertel. Und vielleicht hilft das dann auch, die nächste Generation von qualifizierten Informatiklehrkräften zu finden und auszubilden.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO Hochschule Flensburg