Für eine starke Generation!
Ein Interview mit Gabriele Kaiser, Berufscoach vom Grone-Bildungszentrum an der Goethe-Gemeinschaftsschule
Gabriele Kaiser gibt spannende Einblicke in ihre Arbeit als Berufscoach an der Goethe-Gemeinschaftsschule und teilt ihre Vision für die Zukunft der jungen Generation. Wir erfahren, wie sie die Schülerinnen und Schüler auf den sich ständig verändernden Arbeitsmarkt vorbereitet und welche Bedeutung Soft Skills und emotionale Intelligenz in einer zunehmend technologisierten Welt besitzen. Ein inspirierendes Interview für Schülerinnen und Schüler sowie alle, die sich für die Zukunft unserer Jugendlichen interessieren.
Sie arbeiten täglich mit jungen Menschen auf der Schwelle ins Berufsleben. Was treibt die Jugendlichen heute um, wenn es um berufliche Entscheidungen geht?
Für viele Jugendliche ist die berufliche Entscheidung eine schwierige Aufgabe. Viele von ihnen glauben, dass sie das Abitur brauchen, um erfolgreich zu sein, obwohl sie dafür nicht das Potenzial haben. Sie glauben, wenn sie etwas wirklich wollen, würden sie es auch schaffen, weil ihnen dies diverse Erfolgsgeschichten auf sozialen Netzwerken vorgaukeln. Die Anzahl der Likes und die Außenwirkung haben in meinen Augen eine große Auswirkung auf ihre Selbstwahrnehmung. Mir scheint, dass es Jugendlichen sehr schwer fällt, sich bei mehr als 325 anerkannten Ausbildungsberufe für etwas und gegen etwas zu entscheiden. Und genau das ist ja Berufsfindung.
Jugendliche stehen heute vor einer Vielzahl von Möglichkeiten, die ihre Berufswahl beeinflussen. Welche neuen Herausforderungen bei der Beruflichen Orientierung sehen Sie für Ihre Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu früher?
Eine der größten Herausforderungen ist die große Auswahl an Ausbildungsberufen, die es heutzutage gibt. Hinzu kommt, dass viele Jugendliche eine sofortige Bestätigung ihrer Leistungen erwarten, ähnlich wie beim Sammeln von Likes in sozialen Medien. Doch im Berufsleben funktioniert das nicht so einfach. Von Firmen würde ich mir daher wünschen, dass sie den jungen Nachwuchskräften verstärkt konstruktives und wohlwollendes Feedback geben, damit sie nicht sofort aufgeben. Ich beobachte, dass frühere Generationen mehr auf ihr Bauchgefühl gehört haben, während heutzutage die Intuition oft fehlt, und es vielen Jugendlichen schwer fällt, sich zu entscheiden.
Wie haben Sie selbst Ihren Weg gefunden?
Ich hatte damals noch nicht so viele Berufswahlmöglichkeiten wie heute und war immer schon ehrenamtlich engagiert, was mir erlaubte, meine soziale Ader auszuleben. Dadurch wurde mir früh bewusst, dass ich Sozialpädagogik studieren möchte. Ich gehöre noch zur Generation, die einfach angefangen und sich dann durchgearbeitet hat. Heute spielt die Work-Life-Balance eine große Rolle, das sehe ich auch bei meinen eigenen Kindern. Als mein Sohn nach seinem Studium ein halbes Jahr durch Asien reisen wollte, war ich anfangs geschockt, aber jetzt weiß ich, dass er alles richtig gemacht hat. Ob ich heute einen anderen Weg gehen würde? Wahrscheinlich nicht.
Wie sind Sie zu Ihrer aktuellen Position als Jobcoach an der Goethe- Gemeinschaftsschule gekommen?
Ich habe viele Jahre in Kirchengemeinden gearbeitet und bin vor sieben Jahren beim Grone-Bildungszentrum gelandet. Dadurch habe ich völlig neue Einblicke in die soziale Arbeit gewonnen und gelernt, wie wichtig es ist, Jugendliche frühzeitig zu begeistern und zu beraten. Wenn ich Menschen ohne Perspektive befragte, was sie sich wünschen, wenn eine gute Fee vorbeikäme, wussten sie oft keine Antwort, weil sie keine anderen Möglichkeiten kennen. Vor diesem Hintergrund ist es mir ein großes Anliegen, mein Netzwerk für die Schülerinnen und Schüler zu nutzen und ihnen Mut für eine selbstbestimmte Zukunft zu machen!
Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit der Schule?
Die Zusammenarbeit nehme ich als sehr kollegial wahr, zumal ich jeden Vormittag in der Woche in der Schule präsent bin und auch mal Nachmittagstermine wahrnehmen oder an Elternabenden teilnehmen kann. Ich habe gemerkt, wie wichtig den Lehrerinnen und Lehrern die Berufsorientierung an ihrer Schule ist. Sie haben ihre Schülerinnen und Schüler gut im Blick und stehen mit mir in engem Kontakt, sodass ich individuell auf die Jugendlichen eingehen kann, die noch keine genaue Vorstellung haben, in welchem Bereich sie einmal arbeiten möchten. Das gibt mir die Möglichkeit, mich tiefergehend in Entscheidungsprozesse einzubringen und neue Wege aufzuzeigen sowie Praktika zu vermitteln. Ein Praktikum ist in meinen Augen die beste Möglichkeit, sich mit dem Berufsleben vertraut zu machen. Jugendliche, die in meine Beratung kommen, haben die Möglichkeit mit Tippi toppi Bewerbungsunterlagen das Coaching zu verlassen.
Welche innovativen Ansätze gibt es, um Schülerinnen und Schüler auf den sich ständig verändernden Arbeitsmarkt und die Berufe der Zukunft vorzubereiten?
Der Wandel auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit noch kein Hauptthema, da sich die Potenziale der heutigen Zeit in meinen Augen noch nicht richtig einschätzen lassen – insbesondere mit Blick auf die sich verändernden Energie- und Klimaberufe. Wenn es um Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Energiewende geht, brauchen wir das Handwerk. Das ist ja unser aller Zukunft. Ich würde mir so sehr wünschen, junge Menschen mehr für das Handwerk begeistern zu können. Eine abgeschlossene Ausbildung bildet das Fundament, danach ist alles möglich. Wir schauen uns die Stärken der Jugendlichen an und wo ihre Fähigkeiten liegen. Ich helfe ihnen, die Angst vor Entscheidungen zu nehmen, da das Bildungssystem extrem flexibel ist und auch Quereinstiege fast immer möglich sind. Deutschland bietet großartige Weiterbildungsmaßnahmen, die eine große Chance darstellen, sich in Zukunft zu verwirklichen.
Welche Rolle spielen Soft Skills und emotionale Intelligenz in einer Welt, die immer technischer zu werden scheint, bei der Vorbereitung auf die berufliche Zukunft, und wie können sie gefördert werden?
Durch das ständige Online-Sein und das Streben nach Likes sehe ich das Bauchgefühl und damit verbunden auch die Entwicklung von Soft Skills und emotionaler Intelligenz beeinträchtigt. Für die Arbeitswelt von morgen werden sie jedoch von großer Bedeutung sein und sollten daher geschult werden. Im Projekt YOURJOB, für alle Schüler in den 8. Klassen an der Goethe-Gemeinschaftsschule verpflichtend, werden genau diese Fähigkeiten im Rahmen eines Langzeitpraktikums in einem Pflegeheim geschult. Es wäre großartig, wenn es uns als Gesellschaft gelingt, den Jugendlichen zu vermitteln, dass wir sie brauchen, und ich wünsche der jungen Generation von heute eine große Portion Mut und Vertrauen in diese Gesellschaft.
TEXT Sophie Blady
FOTO Henrik Matzen