YOURJOB – 2 Generationen, viele Erfahrungen

YOURJOB – 2 Generationen, viele Erfahrungen

Angela Schuhmacher ist Projektkoordinatorin des Projekts YOURJOB. Unter dem Vorgängernamen „Rückenwind“ wurde es im Schuljahr 2011/12 an der Goethe-Gemeinschaftsschule in Kiel in Kooperation mit den Grone-Bildungszentren Schleswig-Holstein gGmbH und der Stadt Kiel ins Leben gerufen. Vor zwei Jahren ist das Projekt auf die Jahrgangsstufe 9 als Teil des Jobcoachings ausgeweitet und umbenannt worden. Das Projekt sieht eine enge Zusammenarbeit der Schule mit den Seniorenzentren der Region vor und bringt Jung und Alt zusammen.

Wie kam es zu der Idee und späteren Zusammenarbeit?

Die Idee geht ursprünglich auf einen Girls & Boys Day zurück. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern hatte vor, diesen Tag in einem Altenheim zu verbringen. Wir mussten aber feststellen, dass die Jugendlichen durch ihr Auftreten keinen guten Eindruck hinterlassen hatten. Daraufhin fingen wir an zu überlegen, auf welchem Weg man ihnen mehr soziale Kompetenzen, aber auch Selbstbewusstsein vermitteln kann. Glücklicherweise kam ein Kontakt mit dem Grone-Bildungszentrum zustande, bei dem ich heute angestellt bin, und auf dessen Initiative das Projekt entstanden ist.

Welches sind die Inhalte des Projekts?

YOURJOB ist Bestandteil des Unterrichts und die Teilnahme verpflichtend für alle Schülerinnen und Schüler des 8. Jahrgangs. Einmal wöchentlich verbringen sie eineinhalb Stunden ihrer Freizeit in fünf Kieler Senioreneinrichtungen. Das Projekt läuft über das ganze Schuljahr, damit mittels dieses ‚sozialen Langzeitpraktikums‘ Lernerfolge sichtbar werden. Die Schülerinnen und Schüler werden mit den alten Menschen vernetzt und verbringen gemeinsame Zeit zum Beispiel mit Erzählen, Vorlesen, Backen, Basteln und Spazierengehen. Es geht darum, dass die Generationen voneinander profitieren und die Jugendlichen bemerken, dass sich soziales Engagement in Dankbarkeit und Anerkennung auszahlt. Die meisten machen die positive Erfahrung, dass sie zu viel mehr fähig sind, als sie sich vorher zugetraut haben.

Heutzutage haben die Jugendlichen oft eine enge Freizeittaktung. Wie stehen die Teilnehmenden aus dem 8. Jahrgang und deren Eltern zu dem Projekt?

Hier liegt meine Hauptaufgabe als Koordinatorin. Ich brauche in der Regel zwei bis drei Monate, um mit den betreffenden Familien abzustimmen, welcher Tag geeignet ist. Freizeitaktivitäten sollten nicht darunter leiden, alles andere wäre auch kontraproduktiv. Dennoch fehlte es zu Beginn des Projekts in manchen Fällen noch an Akzeptanz, aber meine Erfahrung zeigt, dass sich die meisten Jugendlichen im Laufe des Projekts doch begeistern lassen. Ich habe sogar viele Ehemalige, die über die Schulzeit hinaus noch Kontakt zu ‚ihren Senioren’ halten. Ein weiterer Vorteil des Projekts ist, dass die Jugendlichen von uns ein aussagekräftiges Zertifikat über die Teilnahme bekommen, welches sich bei späteren Bewerbungen oftmals als hilfreich erweist. Die Betriebe erhalten mit dem Zertifikat Kenntnis darüber, dass sich der Bewerber – selbst wenn die schulischen Noten nicht überzeugend sind – über einen langen Zeitraum sozial engagiert hat und ihm viele positive Eigenschaften und Kompetenzen wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit attestiert worden sind: ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Wie bereiten Sie die Jugendlichen auf die Arbeit vor?

Ich bin zwischen Ende der Sommerferien bis Anfang Herbst in den Klassen und bereite die Schülerinnen und Schüler in Zusammenarbeit mit den Lehrkräften auf ihre Zeit dort vor. Auch wenn selbstverständlich keiner im Pflegebereich eingesetzt wird, sprechen wir dennoch über Themen wie Tod oder Demenz, weil sie sehr wichtig sind für ein verantwortliches, sensibles Handeln. Während der Vorbereitung in der Schule gibt es schon erste Besuche in den Häusern mit Kennenlernprogrammen, bei denen erste Kontakte geknüpft werden. Wir achten darauf, wer mit wem zusammengeführt werden könnte. In der Praxis sehen wir dann, ob es tatsächlich harmonisiert, aber auch, dass man den Jugendlichen durchaus etwas zutrauen kann.
Auf einem unserer letzten Messebesuche haben wir einen Alterssimulationsanzug anprobiert … eine Erfahrung, die kleinlaut macht.
Durchaus! Wir haben mit diesem Anzug auch schon gearbeitet und werden ihn jetzt nach Corona wieder verstärkt zum Einsatz bringen. Ein wirkungsvolles Experiment, welches die Sensibilität schärft und von uns und unseren Schülerinnen und Schülern als sehr eindrucksvolle Erfahrung wahrgenommen wird.

Sie arbeiten mit dem AWO Servicehaus Vaasastraße, dem AWO Servicehaus Lübscher Baum, dem Altenzentrum Sankt Nicolai, dem Haus Uhlenkrog – Pflegeheim und dem Kaiser Wilhelm I. Stift zusammen. Wie haben Sie den Kontakt während der Pandemie aufrechterhalten?

Wir haben uns schlichtweg Kontaktalternativen überlegt. Die Schülerinnen und Schüler hatten Briefe und Postkarten geschrieben, Bastelarbeiten zu Ostern und Weihnachten angefertigt und ich brachte sie dann in die Heime.
Man merkt, dass Ihnen die Arbeit ein persönliches Anliegen ist!
Ich sehe meine Aufgabe in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Wir gehören zusammen, egal ob alt oder jung, und müssen aufeinander achtgeben. Eine Teilung halte ich für grundverkehrt und sie schafft oft nur Vorurteile auf beiden Seiten. Daran mitzuwirken, dass Hemmschwellen überwunden werden, sehe ich als eine erfüllende und sinnvolle Aufgabe und eine Bereicherung, von der letztlich alle profitieren. Es ist zum Beispiel manchmal erstaunlich, dass sich die Jugendlichen eher etwas von den Seniorinnen und Senioren sagen lassen als von uns.

Können Sie feststellen, dass Schülerinnen und Schüler aufgrund dieses Projekts berufliche Ambitionen entwickeln?

Ja, ich habe festgestellt, dass sich pro Jahrgang ungefähr acht bis zehn Schülerinnen und Schüler ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigen, in diese Richtung zu gehen und einige beginnen sogar eine Ausbildung in diesem Bereich: sei es als Koch, als Physiotherapeut oder Hausmeister – es gibt viele berufliche Möglichkeiten.

TEXT Anja Nacken
FOTO Henrik Matzen