Eine Auszeit zwischen Schule und Beruf im „Gap Year“
Abitur nach 12 Jahren, mit 17 an die Uni und mit 21 auf den Arbeitsmarkt – so dachten es sich die Bildungspolitiker bei der Umstellung von G9 auf G8. Wenn die letzte Prüfung geschrieben, das Zeugnis vergeben und das Material des gesamten Schullebens in den Keller geräumt ist, bleibt für viele Schüler/innen jedoch eine Frage offen: Was möchte ich beruflich überhaupt machen?
Die Möglichkeiten werden immer vielfältiger und wer seine Schulzeit um ein Jahr verkürzt, verliert auch ein Jahr der beruflichen Orientierung. Dieses holen sich Schulabgänger/innen immer häufiger auf eigene Faust wieder – indem sie ein sogenanntes „Gap Year“ einlegen. Eine Auszeit. Zeit zum Durchatmen. Zeit, in der Erfahrungen gesammelt und auf die innere Stimme gehört wird.
Studien zeigen, dass mittlerweile rund 56 Prozent der künftigen Studierenden eine Pause nach der Schule einlegen wollen. Die große Mehrheit von ihnen möchte ins Ausland, etwa zehn Prozent planen ein freiwilliges soziales Jahr und knapp drei Prozent wollen sich zum freiwilligen Wehrdienst melden (Trendence-Institut, 2017).
Go abroad
Das Visum ist günstig, du sammelst erste Arbeitserfahrungen und deine Ersparnisse bleiben weitestgehend unangerührt: Am beliebtesten für ein Gap Year im Ausland ist das Work-and-Travel-Programm. Das Leben und Reisen im fremden Land wird hierbei durch Gelegenheitsjobs vor Ort finanziert. Vom Kellnern, über Fabrikarbeit bis hin zum Bloggen – so gut wie alles ist möglich. Und das Beste ist, dass du durch die Arbeit vor Ort meist in Nullkommanichts Einheimische kennenlernst und deine Sprachkenntnisse schnell verbesserst.
Gehst du lieber auf Nummer Sicher, möchtest aber dennoch dein Geld im Ausland verdienen, solltest du dich genauer über Au-Pair-Programme informieren. Bei diesen lebst du wie ein Familienmitglied mit einer Gastfamilie unter einem Dach. Du lernst somit hautnah die fremde Kultur kennen und verbesserst deine sprachlichen Fähigkeiten rund um die Uhr. Im Gegenzug betreust du die Kinder und erledigst leichte Hausarbeiten. Wie viele Stunden du arbeitest und was deine Aufgaben sind, hängt in erster Linie von den Bedürfnissen deiner Gastfamilie ab.
Wer es bodenständig und ruhig mag oder mit Kindern eher weniger anfangen kann, könnte sich für einen Farmstay-Aufenthalt interessieren. Bei der Ernte helfen, Tiere pflegen oder den Haushalt schmeißen: Es gibt genügend Arbeit auf Gemüsefarmen, in Tierzuchtbetrieben, auf Ponyranches und vielen anderen ländlichen Betrieben. So ein Job abseits der Großstadthektik, inmitten einer beeindruckenden Landschaft, ist für jeden möglich, der einen Führerschein hat und körperlich fit ist.
Möchtest du während deines Auslandsaufenthaltes in erster Linie für andere da sein? Eine besonders selbstlose Möglichkeit, das Gap Year im Ausland zu verbringen, ist die Freiwilligenarbeit. Programme, wie der Europäische Freiwilligendienst, Kulturweit, Weltwärts oder der Internationale Jungendfreiwilligendienst helfen dir bei der nötigen Finanzierung. Du bewirbst dich hierfür bei einer Entsendeorganisation, die dann gemeinsam mit dir nach einem Aufnahmeprojekt im Ausland sucht. Neben Reisekosten, Unterkunft und Verpflgung wird meist auch deine Versicherung sowie ein Taschengeld gezahlt. Die möglichen Tätigkeitsbereiche sind vielfältig und liegen vor allem in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, Senioren, Obdachlosen oder Behinderten, in Kunst und Kultur, Bildung und Politik, Umweltschutz, Sport und Freizeit sowie Handwerk.
Eine Entsendeorganisation in Schleswig-Holstein ist die gemeinnützige Gesellschaft KulturLife, die neben Freiwilligendiensten auch High School-, Kurzaufenthalts-, und Work-and-Travel-Programme organisiert.
Stay home
Auch in Deutschland gibt es eine große Zahl von Projekten und Initiativen, die das freiwillige Engagement junger Menschen ermöglichen. Sie stehen dem Freiwilligendienst im Ausland in nichts nach, denn auch durch sie erhältst du Einblicke in verschiedene Berufsfelder, machst wertvolle Erfahrungen und erweiterst dein Persönlichkeitsprofil um neue Fähigkeiten. Mögliche Arbeitsplätze sind unter anderem Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindertagsstätten und- heime, kulturelle Einrichtungen, Kirchengemeinden oder Einrichtungen der Jugendhilfe. Besonders beliebt sind Programme, wie das Freiwillige Soziale Jahr und der Bundesfreiwilligendienst, die vom Bund gefördert werden. Auch der freiwillige Wehrdienst ist eine Option für Schulabgänger/innen, die die Orientierungsphase vor dem Beruf sinnvoll nutzen oder bei der Bundeswehr Fuß fassen wollen.
Wer schon eine konkrete Vorstellung davon hat, in welchem Bereich er arbeiten möchte, kann außerdem im Rahmen von Praktika in einen oder mehrere Betriebe reinschnuppern. Ist das Praktikum länger als drei Monate, steht dir ein Mindestlohn von 8,84 Euro in der Stunde zu. Immer mehr Schulabgänger/innen nutzen diese Chance der Berufsorientierung, wodurch auch der Begriff „Generation Praktikum“ entstand. Das mag zunächst negativ klingen, aber Fakt ist: Kein Praktikum ist umsonst. Es bereichert dich um Erfahrungen, zeigt dir deine eigenen Stärken und Schwächen auf und bietet dir die Möglichkeit, Kontakte zu Arbeitgebern zu knüpfen.Der Start in das Berufsleben verzögert sich durch ein Gap Year um ein Jahr. Doch auf der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, kann es hilfreich sein, die Welt erst einmal zu erkunden. Es geht darum, Länder zu bereisen, Sprachen zu erlernen, Kontakte zu knüpfen und Fähigkeiten auszubauen. Kann diese Zeit wirklich verschenkt sein?
Deine Möglichkeiten im Überblick:
Praktikum
Was? Im Praktikum schnuppern Ausbildungs- oder Studieninteressierte und Schüler in Berufsfelder und Betriebe hinein, indem sie Mitarbeiter bei ihren betrieblichen Aufgaben unterstützen.
Wer? Jeder, der Praisluft schnuppern möchte und einen Praktikumsvertrag mit einem Unternehmen unterzeichnet.
Wo? Praktika werden in allen Branchen und von fast allen privaten und öffentlichen Arbeitgebern angeboten.
Dauer? Ist abhängig von den Wünschen des Praktikanten und den Vorstellungen des Unternehmens.
Finanzierung? Ab einer Praktikumsdauer von 3 Monaten muss das Unternehmen einen Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde zahlen. Ein Anspruch auf staatliche Förderung besteht nicht.
Freiwilligendienste in Deutschland
Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)
Was? Arbeit in einer sozialen Einrichtung (Kindergarten, Pflegeheim, Behindertenwerkstatt, Krankenhaus,...).
Wer? Jeder ab Vollendung der Schulp icht bis zum 27. Lebensjahr.
Wo? Z.B. Stiftung Mensch, die Brücke SH, Diakonisches Werk Schleswig-Holstein,...
Dauer? 6 bis 18 Monate.
Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ)
Was? Umwelt- und Naturschutz, Landschafts- und Forstpflege, ökologische Landwirtschaft, Gartenbau, Tierpflege, Umweltbildungsprojekte.
Wer? Jeder ab Vollendung der Schulpflicht bis zum 27. Lebensjahr.
Wo? Z.B. Stiftung Mensch, Ökologische Freiwilligendienste Koppelsberg, FÖJ Wattenmeer,...
Bundesfreiwilligendienst
Was? Arbeit in einer sozialen Einrichtung (Kindergarten, Pflegeheim, Behindertenwerkstatt, Krankenhaus, u.a.).
Wer? Jeder ab Vollendung der Schulpflicht, ohne Altersbeschränkung.
Wo? Z.B. TSBW, NABU Schleswig-Holstein, die Brücke SH, Stiftung Mensch, Diakonisches Werk Schleswig-Holstein,...
Dauer? 6 bis 18 Monate.
Finanzierung? FÖJler, FSJler und BFDler erhalten eine Förderung vom Bund in Form eines Taschendgelds und können ggf. Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung gestellt bzw. durch Geldersatzleistungen erstattet bekommen.
In Schleswig-Holstein bieten rund 170 Einsatzstellen FSJ oder BFD Plätze an. Du findest sie im Internet unter: www.fsj-sh.org/fsj-bfd-stellen.
Freiwilliger Wehrdienst
Was? Nach der dreimonatigen Grundausbildung werden freiwillige Wehrdienstleistende in Heer, Luftwaffe, Marine oder einem anderen Organisationsbereich wie dem Sanitätsdienst, der Streitkräftebasis oder der Bundeswehrverwaltung eingesetzt.
Wer? Jeder ab Vollendung der Schulpflicht ab dem 17. Lebensjahr.
Wo? Bundesweit.
Dauer? 7 bis 23 Monate.
Finanzierung? Freiwillige Wehrdienstleistende erhalten einen Wehrsold und ggf. verschiedene Sonderzahlungen.
Arbeiten im Ausland
Work and Travel
Was? Wechselnde Gelegenheitsjobs im Ausland.
Wer? Jeder, der ein entsprechendes Visum hat. In Australien, Neuseeland und Kanada ist es z.B. das Working-Holiday-Visum, mit einer Altersbegrenzung von 18 bis 30 Jahren.
Wo? Fast jedes Land ist möglich, besonders beliebt sind Australien, Neuseeland, Kanada und die USA.
Dauer? In der Regel bis zu 12 Monate, kann in einigen Ländern unter bestimmten Voraussetzungen verlängert werden.
Finanzierung? Eigenständig, durch die Arbeit im Ausland.
Organisationen? Z.B. KulturLife, AIFS, STA Travel, TravelWorks,...
Farmwork
Was? Anbau- und Erntearbeit, Tierpflege, Kinderbetreuung und Hausarbeit im Ausland.
Wer? Jeder, der ein entsprechendes Visum hat (in einigen Ländern reicht ein Touristenvisum), außerdem sind häufig ein Führerschein und körperliche Fitness Voraussetzung.
Wo? Z.B. Australien, Neuseeland, Kanada, USA, Argentinien, Chile, Costa Rica, Ecuador, Uruguay, Irland, Norwegen, ...
Dauer? In der Regel bis zu 12 Monate, kann in einigen Ländern unter bestimmten Voraussetzungen verlängert werden.
Finanzierung? Farmarbeiter bekommen ein Gehalt, Unterkunft und Verpflegung sind inklusive.
Organisationen? Z.B. KulturLife, AIFS, FoWo, ...
Au Pair
Was? Kinderbetreuung im Ausland.
Wer&Wo? Wie auch beim Work and Travel ist ein Visum nötig, das den Gesetzgebungen des jeweiligen Landes entspricht.
Dauer? In der Regel bis zu 12 Monate.
Finanzierung? Au Pairs erhalten kostenlose Verpflegung und Unterkunft in einer Gastfamilie, sowie ein Taschengeld.
Organisationen? Z.B. KulturLife, Verein für Internationale Jugendarbeit, Cultural Care, AIFS, iSt Reisen, TravelWorks, ...
Freiwilligendienste im Ausland
Europäischer Freiwilligendienst (EFD)
Was? Arbeit in einem gemeinnützigen Projekt im europäischen Ausland.
Wer? Jeder zwischen 17 und 30 Jahren.
Wo? Alle Länder der EU, der EFTA und assoziierte Länder.
Dauer? 2-12 Monate.
Finanzierung? Förderung durch die EU in Form eines Taschengelds und der Finanzierung von Unterkunft, Verpflegung, Versicherung , Sprachkurs und An- und Abreise.
Weltwärts - Entwicklungspolitischer Freiwilligendienst
Was? Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Umwelt, Landwirtschaft, Kultur oder Menschenrechte.
Wer? Jeder zwischen 18 und 27 Jahren.
Wo? Entwicklungs- und Schwellenländer.
Dauer? 6-24 Monate.
Finanzierung? Förderung durch das Bundesministerium in Form eines Taschengelds und der Finanzierung von Unterkunft, Verpflegung, Versicherung und An- und Abreise.
Was? Arbeit im Bereich Kultur und Bildung, z.B. Assistenz im Deutschunterricht, Organisation von Kulturveranstaltungen oder Öffentlichkeitsarbeit in einem Informationszentrum des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
Wer? Jeder von 18 bis 26 Jahren
Wo? Entwicklungs- und Schwellenländer
Dauer? 6-12 Monate
Finanzierung? Förderung durch das Auswärtige Amt und die Deutsche UNESCO-Kommission in Form eines Taschengelds und der Finanzierung von Unterkunft, Verpflegung, Versicherung und Sozialversicherung
Was? Arbeit in gemeinnützigen Einrichtungen, beispielsweise Kinder- und Jugendeinrichtungen, Altenheime, Bildungsinstitutionen, aber auch im Umwelt- und Naturschutz.
Wer? Jeder von 18 bis 26 Jahren.
Wo? Jedes Land ist möglich.
Dauer? Zwischen 6 und 18 Monaten.
Finanzierung? Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Form von Taschengeld, Unterkunft, Verpflegung, Reisekosten, Versicherung und pädagogischer Begleitung der Teilnehmer.
TEXT Vanessa Strehlow
ILLUSTRATIONEN Shutterstock