Russana Sakarian spricht über Demokratie und Rassismus. Sie thematisiert die Situation an der Schule und den Versuch, das Thema schulweit und im Unterricht zu behandeln.
Seit Anfang 2015 arbeitet Russana Sakarian an der Gemeinschaftsschule Bredstedt. Aktuell ist sie Klassenlehrerin einer zehnten Klasse und unterrichtet die Fächer Deutsch, Wirtschaft-Politik und Weltkunde. Als Verbindungslehrerin arbeitet sie eng mit den Schülersprechern der Schule zusammen. Sie hat in Flensburg auf Lehramt studiert und übt ihren Beruf aus Überzeugung aus. „Bildung ist der Schlüssel für sehr viele Bereiche im eigenen Leben“, sagt sie. Ihre Eltern hätten ihr das verdeutlicht. Für sie stand die Bildung ihrer Kinder immer an erster Stelle.
Welche Rolle spielen die Themen Rassismus und Demokratie an dieser Schule?
Sie spielen eine bedeutende Rolle. Wir haben eine sehr heterogene Schülerschaft, die genau aus diesem Grund für mich so besonders ist. Unsere kooperative Schulleitung, engagierte Kollegen und die interessierte Schülerschaft tragen zu einer offenen und tiefgehenden Diskussion zu dem Thema bei.
In den WiPo-Stunden sind die Klassen aufrichtig, interessiert und motiviert. Es ist bemerkenswert, dass die Schüler Fragen und Gedanken, auch inspiriert durch soziale Medien wie TikTok, offen äußern. Dieses Vertrauen ist wichtig, um eine tiefere Auseinandersetzung mit den Themen zu fördern.
Wie setzen Sie das Bewusstsein hierfür um?
Ein zentrales Ziel ist, ein Bewusstsein für subtile rassistische Tendenzen im Alltag zu schaffen und Sensibilität zu stärken. Viele Schüler haben nicht das Hintergrundwissen, um rassistische Codes und Zeichen sofort zu erkennen. Daher wollen wir darüber aufklären und sensibilisieren, auch wenn ihre Äußerungen oft nicht böswillig gemeint sind.
Wir versuchen viel Raum zum Mitwirken zu schaffen. Die Schüler organisieren viele Aktivitäten und Veranstaltungen mit. Eine besondere Rolle spielt der wöchentliche Klassenrat, der ab Klasse fünf teilweise selbständig von den Schülern geleitet wird. Dieser Raum ermöglicht es ihnen, Konflikte zu lösen, Regeln zu besprechen und gemeinsame Aktivitäten zu planen. Wir Lehrkräfte unterstützen dabei, überlassen aber vieles der Klasse, um deren Selbstwirksamkeit und Gemeinschaft zu stärken.
Wie integrieren Sie das Thema Rassismus konkret in Ihren Unterricht? Können Sie uns ein Beispiel geben?
Im WiPo-Unterricht behandeln wir wöchentlich die neuesten Themen aus den Nachrichten. Häufig sind das genau diese Themen, bei denen wir uns länger aufhalten. Dabei wollen wir herausfinden, wie es dazu kommen konnte, welche Vorurteile dazu geführt haben, dass sich die Situation so ereignet hat und welche Möglichkeiten wir als Person haben, in solchen Situationen zu handeln.
Ganz konkret hat das Video, welches auf Sylt aufgenommen wurde, bei uns in der Schule viel Diskussionsbedarf geweckt und wurde in vielen Jahrgängen thematisiert. Auch in der Projektwoche wählten alle drei Gruppen im Podcast-Projekt eigenständig aktuelle Nachrichtenthemen für ihre Podcasts. Dabei war es mir wichtig, dass die Schüler Hintergrundinformationen erarbeiten, um festzustellen, warum unter anderem das Verhalten, welches in diesem Video abgebildet wurde, rassistisch, abwertend und menschenunwürdig ist.
Was motiviert Sie, sich in diesem Bereich zu engagieren?
Ich selbst bin mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen und kann nachvollziehen, wie schwierig es ist, in einem fremden Land ohne Sprachkenntnisse und Kenntnisse über die kulturellen und sozialen Besonderheiten zurechtzukommen. Der Schlüssel für ein Gefühl der Zugehörigkeit liegt beim Einzelnen, aber auch bei der Aufnahmegesellschaft.
Für mich persönlich steht Artikel 1 des Grundgesetzes an erster Stelle: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ich bin dankbar, in einem Land zu leben, welches das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben hat. Mir ist es wichtig, mit meinen Schülern über das friedliche Zusammenleben zu sprechen, denn das beginnt schon im Kleinen bei alltäglichen Situationen.
Haben Sie hier bereits Vorfälle von Rassismus erlebt? Wie wurden diese Situationen gehandhabt?
Auch an unserer Schule gibt es Alltagsrassismus, der mal mehr, mal weniger auffällt. Es sind häufig kleine Themen oder Aussagen, die einzelne Schüler verletzen können. Oft beruht dieser auf Unwissenheit und sprachlicher Unsensibilität und ist selten als direkter Angriff gemeint.
Bei solchen Vorfällen suchen wir das Gespräch zwischen den Konfliktparteien, um die Situation zu klären. Je nach Alter der Schüler erfolgt ein gemeinsames Gespräch, oft unter Einbeziehung der Schulsozialarbeit, um Lösungen zu finden. Derartige Vorfälle werden langfristig von Klassenlehrern oder der Schulsozialarbeit begleitet und die Eltern werden informiert, damit sie mitwirken können.
Es spielt keine Rolle, ob die Schüler einen Migrationshintergrund haben oder aus Familien kommen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind: Mobbing, Beleidigungen oder größere Konflikte dürfen niemals ignoriert werden. Daher legen wir großen Wert auf Zivilcourage und behandeln diese Themen regelmäßig im Unterricht und im Klassenrat, um gemeinsam nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen.
Warum sind Demokratie und ihre Werte wichtige Themen an Schulen?
Es ist notwendig, dass Schüler in der Schule etwas über Demokratie und ihre Werte lernen, denn das sind die Spielregeln unserer Gesellschaft, nach denen wir zusammenleben möchten.
Häufig erscheint dieses Thema für Schüler sehr weit weg und ihnen ist nicht bewusst, inwiefern Politik und Demokratie ihren Alltag bereits während der Schulzeit bestimmen. Den meisten ist nicht deutlich, welches Privileg sie haben, in einem demokratischen Land zu leben. Daher sehe ich es als Aufgabe der Schule, ihnen die Privilegien und Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben, nahezubringen.
Welche Herausforderungen sehen Sie dabei und wie gehen Sie damit um?
Ich sehe konkrete Herausforderungen darin, diese großen Themen wirklich schülergerecht und sprachlich reduziert zu transportieren, ohne sie inhaltlich zu sehr zu kürzen. Es ist wichtig, dass sich jeder Einzelne in der Klassengemeinschaft wohl fühlt. Gerade deshalb müssen diese Themen besprochen werden.
Ein Beispiel: In der Weltkunde-Einheit ‘Weggehen und Ankommen’ geht es um Fluchtursachen, Fluchtwege und Gründe für Migration, wobei Krieg und Naturkatastrophen eine große Rolle spielen. Ich stelle oft fest, dass Vorurteile der Schüler auf Hörensagen statt auf Wissen basieren. Diese Vorurteile zu beseitigen und Fakten zu überprüfen, halte ich für sehr wichtig. Ich hoffe, dass ich in meinem Unterricht dazu beitragen kann.
Welche Veränderungen wünschen Sie sich an Schulen?
Ich wünsche mir mehr projektorientierte Ansätze in Schulen. Ich wünsche mir eine Schule, in der alle Rahmenbedingungen erfüllt sind, damit sich alle Schüler wohlfühlen. Und ich bin der Meinung, dass wir als Gemeinschaftsschule schon sehr viel Arbeit leisten, um diese Rahmenbedingungen bestmöglich umzusetzen.
Dennoch liegt es nicht nur an den Lehrkräften; wir sind darauf angewiesen, dass zu Hause positiv über unsere Demokratie gesprochen und über Rassismus aufgeklärt wird. Diese Aufgaben sind zu groß, als dass sie die Schule alleine bewältigen könnte. Daher freuen wir uns auf die Zusammenarbeit mit unseren Schülern, den Eltern und Erziehungsberechtigten.
TEXT Hilke Ohrt
FOTO privat