Ein Gespräch mit Philosophielehrerin Sarah Bamberg über demokratische Bildung, über Philosophie und Denkprozesse an der Gemeinschaftsschule Bredstedt
Sarah Bamberg ist seit 2012 an dieser Schule und hat bereits ihre Ausbildung in den Fächern Philosophie und Mathematik hier absolviert. Sie unterrichtet alle Klassen von Jahrgang fünf bis zehn und leitet den Fachbereich Philosophie. „Ich freue mich über jeden Tag, der hier stattfindet“, sagt sie im Interview.
Welche Rolle nimmt Schule bei der Vermittlung demokratischer Werte ein?
Die Schule ist entscheidend für den demokratischen Prozess, denn sie spiegelt die Gesellschaft wider. Unsere Schüler kommen aus unterschiedlichen Elternhäusern und Kontexten an unsere Schule. Gemeinsam müssen sie lernen – und das geschieht zuhause und in der Schule – Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und kritisch zu denken. Wenn sie später dazu in der Lage sind, ihre eigene Meinung zu reflektieren sowie verschiedene Perspektiven zu prüfen, dann ist das großartig.
Kritisieren und konstruktiv diskutieren ist wichtig für eine lebendige Demokratie.
Demokratie funktioniert nur, wenn Menschen ihre fundierte Meinung äußern und kritische, aber durchdachte Rückmeldungen geben, nicht einfach alles hinnehmen. Im Idealfall lernen sie das bei uns an der Schule.
Schüler sollen also lernen, kritisch zu denken?
Selbständiges Denken ist von größter Bedeutung. Dabei muss man jedoch sicherstellen, dass es strukturiert und sinnvoll erfolgt. Ein Beispiel, das sich gut auf den Alltag von Schülern übertragen lässt: Man sollte nicht alles glauben, was in sozialen Netzwerken steht, sondern die Äußerungen kritisch hinterfragen. Es ist wichtig zu überprüfen, ob die Informationen oder Bildmaterial von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden, ob sie verlässlich sind und ob sie der Wahrheit entsprechen. Diese kritische Reflexion gilt für viele Bereiche des Lebens.
Wie integrieren Sie das in Ihren Philosophieunterricht?
Natürlich haben wir Fachanforderungen, an die wir uns halten müssen, und es ist ebenso unser Auftrag, Schüler zur Partizipation zu ermutigen. Dazu gehört, sie dazu zu befähigen, an den demokratischen Prozessen der Gesellschaft teilzuhaben. Dieser Prozess beginnt bereits in der Grundschule.
Besonders im Philosophieunterricht fördern wir die Schüler darin, eigenständig zu denken und sich in die Perspektive anderer Menschen hineinzuversetzen, bevor sie eine Entscheidung treffen. Dies hilft ihnen, abzuwägen und über den Tellerrand hinauszublicken – immer im Rahmen eines respektvollen Dialogs. Diskussionen sollten so gestaltet werden, dass jeder damit umgehen kann, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren. Das ist essenziell für das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft.
Liefert die Schule hierfür eine Basis?
Wir sind in diesem Bereich sehr engagiert. So nutzen wir zum Beispiel den Klassenrat als demokratisches Instrument. Vor den Sommerferien hatten wir unsere erste Assembly, eine Vollversammlung aller Schüler und Lehrer, wie man sie aus den USA kennt. Bei uns sind die Jahrgänge fünf und sechs und sieben bis neun zusammengekommen, um Projekte und Aktivitäten vorzustellen.
Diese Veranstaltung präsentiert die Vielfalt des schulischen Lebens und stärkt die Identifikation mit der Schule. Ein wichtiges Ziel ist es, dass wir den Kindern eine Stimme geben – nicht nur in der Klasse, sondern auch im Jahrgang und in größeren Gruppen.
Wir arbeiten daran, dass die Kinder ein eigenes Plenum haben und das machen wir natürlich auch sehr stark in unserem Unterricht.
Haben Sie bestimmte Regeln hierfür in der Klasse aufgestellt?
Im Philosophieunterricht, besonders in der fünften Klasse, sind klare Regeln wichtig. Wir vermitteln die Bedeutung, andere Meinungen zu hören und zu berücksichtigen, anstatt sofort die eigene durchzusetzen. Ein Bestandteil des Lernprozesses ist es beispielsweise, in einer Diskussion eine Meinung vertreten zu müssen, die nicht die eigene ist. Die Schüler lernen dadurch, andere Perspektiven einzunehmen, Argumente für unterschiedliche Standpunkte zu finden und die eigenen Argumente zu hinterfragen.
Wir trainieren diese Fähigkeiten in den Jahrgangsstufen fünf und sechs, damit die Schüler sie später anwenden können. Der Philosophieunterricht in der zehnten Klasse bringt Freude, wenn die Schüler innerhalb des gesetzten Rahmens selbständig argumentieren und fundierte Diskussionen führen können.
Welche Inhalte behandeln Sie im Philosophieunterricht?
Wir behandeln nicht einzelne Philosophen, sondern decken ein breites Themenspektrum ab. Schüler müssen Probleme erkennen, verstehen und verbalisieren. Beispielsweise könnte in der zehnten Klasse die Frage aufgeworfen werden, ob Heinz ein lebensrettendes Medikament stehlen soll (Heinz-Dilemma). Es gibt keine ‘richtige’ Antwort; verschiedene Philosophen bieten hierzu unterschiedliche Perspektiven, die wir besprechen, und letztlich kann jeder seine eigene Entscheidung treffen.
In den Jahrgangsstufen fünf und sechs behandeln wir vermehrt Alltagsfragen, um die Relevanz der Themen für die Schüler festzustellen.
Gibt es auch einen Bezug zur Berufsbildung?
Allgemein nehmen die Kinder aus dem Philosophieunterricht viel für das Leben mit. In Bezug auf die Berufswelt habe ich ein konkretes Beispiel: Wir besprechen die ‘Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral’ von Heinrich Böll und es stellt sich die Frage: ‘Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben?’ Das mit den Generationen, die jetzt heranwachsen, zu besprechen, ist spannend. Vielmehr als 2012, als ich an dieser Schule angefangen habe. Denn die Einstellung hat sich gewandelt und führt zu der Frage, warum wir eigentlich auf der Welt sind. Gerade bei solchen Themen merke ich, wie viel die Kinder aus der Schule mitnehmen.
Im Rahmen des Kant-Jahres: Welche Aspekte von Immanuel Kant schätzen Sie besonders?
Kant war sehr strukturiert und ein Aufklärer, das imponiert mir. Selbst wenn man ihn heute kontrovers diskutieren kann: Er ist ein Mann seiner Zeit, und der kategorische Imperativ bleibt relevant. Man sollte immer so handeln, wie man es sich als allgemeines Gesetz wünschen würde. Das sollte man sich immer vor Augen halten.
In unserem Unterricht orientieren wir uns, wie gesagt, an Themen und prüfen, wie der Mensch mit bestimmten Problemen umgehen sollte. Wenn Kant eine relevante Lösung bietet, beziehen wir ihn ein; wenn ein anderer Philosoph eine gegensätzliche Perspektive hat, betrachten wir auch diese. So können die Schüler unterschiedliche philosophische Positionen kennenlernen und anwenden.
Gibt es noch einen weiteren Philosophen, den sie persönlich schätzen?
Wir behandeln beispielsweise in den Jahrgangsstufen fünf und sechs das Thema Tierethik, das die Schüler sehr interessiert. In dem Zusammenhang schätze in die Philosophen: Peter Singer und Ursula Wolf.
Sie unterrichten auch Mathe, wie passt das zu Philosophie?
Viele Philosophen waren ebenfalls Wissenschaftler. Wenn sie nicht neugierig gewesen wären, und das sind Mathematiker und Philosophen gleichermaßen, dann wären sie keine Philosophen geworden. Und wenn sie nicht angefangen hätten, Fragen zu stellen, dann hätten sie bestimmte Entdeckungen nicht gemacht. Beispielsweise war Pythagoras, den ja alle aus der Mathematik kennen, auch Philosoph.
Philosophie ist eben die Mutter aller Wissenschaften, denn gerade in Philosophie schaut man über den Tellerrand. Mathematik ist mir ebenfalls sehr wichtig und ich versuche, alle Schüler mitzunehmen.
TEXT Hilke Ohrt
FOTO Hinrik Schmoock