Aus Kindern werden Weltbürger

Aus Kindern werden Weltbürger

Im Gespräch mit Oliver Chinnow (43), Ansprechpartner für das Programm: Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) an der Goethe-Gemeinschaftsschule

Nachhaltigkeit und die globalen Entwicklungsziele der UNO, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDG), sind derzeit in aller Munde. Was das mit Schule zu tun hat und inwieweit Schülerinnen und Schüler damit in Berührung kommen, ist Thema und Inhalt des Gesprächs mit Oliver Chinnow, Lehrer für Weltkunde, Deutsch und Technik an der Goethe-Gemeinschaftsschule. Herr Chinnow ist zudem seit 2024 Beauftragter für ‘Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)’ im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung des UNESCO-Weltaktionsprogramms.

Wer auf dem BNE-Portal des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) nachschauen möchte, was Bildung für Nachhaltige Entwicklung konkret bedeutet, findet folgende Information: „Entwicklung ist dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, gegenwärtig und in Zukunft würdig leben und ihre Bedürfnisse und Talente unter Berücksichtigung planetarer Grenzen entfalten können. Eine solche gesellschaftliche Transformation erfordert starke Institutionen, partizipative Entscheidungen und Konfliktlösungen, Wissen, Technologien sowie neue Verhaltensmuster.” (Quelle: BMBF)

„Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) befähigt Menschen zu einem zukunftsfähigen Denken und Handeln.”

Bildung für Nachhaltigkeit – warum ist das wichtig?

Das BMBF beschreibt weiter: „BNE befähigt Menschen zu einem zukunftsfähigen Denken und Handeln”. Womit wir dann mitten im Schulalltag angekommen wären. Denn hier sollen junge Menschen ja fürs Leben lernen. Aber können Schülerinnen und Schüler das denn schon? Können sie sich damit auseinandersetzen, wie heutige Entscheidungen die Menschen nachfolgender Generationen vor Ort und in der Welt beeinflussen? Oliver Chinnow ist überzeugt: „Das geht!”

Denn aus diesem Ansatz ergeben sich ja konkrete Fragen. Etwa: Welche Auswirkungen hat es, wie ich konsumiere, welche Fortbewegungsmittel ich benutze oder welche und wie viel Energie ich verbrauche? Welche globalen Mechanismen führen zu Konflikten, Terror und Flucht? Oder was können wir gegen Armut tun? Viele dieser Fragen betreffen und berühren die Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern unmittelbar. Manche Fragen könnten junge Menschen auch überfordern. Genau dafür, sagt Oliver Chinnow, sind Lehrerinnen und Lehrer ja da: „Schule ist in der Verantwortung, Schülerinnen und Schüler angemessen für die Zukunft vorzubereiten und die Inhalte didaktisch sinnvoll zu reduzieren.“ Lehrerinnen und Lehrer unterstützen sie dabei, indem sie Kompetenzen vermitteln, sie in ihrer Urteilskraft stärken und in Sachen Quellenstudium, Fakten-Sicherheit und Datenvergleich fit machen. Die Kinder und Jugendlichen sollen, unterstützt durch die Nachhaltigkeitserziehung, erkennen: „DU machst den Unterschied!”

In welchem Fach kommt Nachhaltigkeit vor?

Schülerinnen und Schüler setzen sich an der Goethe-Gemeinschaftsschule unterrichts- und projektübergreifend mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Das Unterrichtsfach ‘Nachhaltigkeit’ gibt es nämlich nicht. BNE findet als Querschnittsthema in der Schule statt. Nachhaltige Entwicklung ist beispielsweise ein Thema für das Unterrichtsfach Geografie. Dort lernen Schülerinnen und Schüler das Nachhaltigkeits-Dreieck kennen. Das bedeutet, dass nur dann etwas als nachhaltig angesehen werden kann, wenn ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander Beachtung finden.

Aber auch andere Fächer haben Berührungspunkte mit Nachhaltigkeit: Biologie, Weltkunde, WIPO, Technik, selbst im Sprachunterricht oder im Fach Deutsch kann ein Bewusstsein für das Thema geschaffen werden, zum Beispiel indem sich die Schülerinnen und Schüler mit Texten zu nachhaltigen Themen kritisch auseinandersetzen. BNE kann und sollte laut Oliver Chinnow überall verankert sein. Besonders gut lassen sich diese Bildungsziele im projektorientierten Arbeiten an der Schule umsetzen. Ideen dazu gibt es genug. Das Meer als Ressourcen- und Rohstoffquelle, Projekte zum Klima und zum Klimawandel, Beispiele für nachhaltiges Wirtschaften, das Projekt Klimawoche mit einem nachhaltigen Frühstück – all das sind Ideen, die zum Teil auch schon in die Umsetzung gelangt sind.

Projekt: Nachhaltige Gestaltung des Schulhofs

Wie komplex und doch wie einfach das mit der nachhaltigen Zukunft sein kann, schildert Oliver Chinnow anhand eines Beispiels: Es geht um die Gestaltung des Schulhofs. Denn dieser ist den Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern und nicht zuletzt den Schülerinnen und Schülern schon lange ein wichtiges Anliegen. Der Wunsch, den Schulhof als zentralen und bedeutenden Ort der Schulgemeinschaft in einen liebevoll gestalteten Platz mit hoher Aufenthaltsqualität zu verwandeln, besteht ja schon seit vielen Jahren. Aufgehalten wurde der Plan unter anderem durch die Corona-Pandemie. Nun aber hat die Planung für das Projekt endlich begonnen. Wie bei den “Großen” in der Stadtentwicklung ist eine professionelle Gestaltung des Prozesses mit Hilfe von kreativen Beteiligungsformaten angedacht.

Doch welche der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele werden berührt? Wohlstand, Umwelt, Gerechtigkeit – die großen Herausforderungen der Menschheit betreffen die Schülerinnen und Schüler ganz unmittelbar. Manche mehr, einige weniger. Bei der Ideenfindung zur Gestaltung des Schulhofs ist beispielsweise ein Schulgarten im Gespräch, der aufbereitetes Regenwasser zur Bewässerung nutzt. Dies wäre eine Maßnahme zum Klimaschutz (SDG 13), berührt aber auch SDG 12 (Nachhaltige/r Konsum und Produktion), wenn Kinder lernen, dass das Gemüse, das sie im Schulgarten anbauen, ressourcenschonend produziert wird. Aber auch unterschiedliche Nutzungszonen für Jüngere mit Bewegungsbedarf und ältere Schülerinnen und Schüler mit Free-WiFi-Zonen sind als Ideen gesammelt worden. Diese Maßnahme könnte sowohl auf SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen) einzahlen als auch SDG 4 (Hochwertige Bildung) und SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) berühren.

Das Ziel: Schule der Zukunft – GGS goes ‘Zukunftsschule’

Oliver Chinnow berichtet weiter, er habe sich das große Ziel gesetzt, dass die Goethe-Gemeinschaftsschule bis 2025 den Titel ‘Zukunftsschule’ verliehen bekommt. Um diesen Titel bewerben sich Schulen beim Wirtschaftsministerium mit geplanten und umgesetzten innovativen Projekten. Dann wird geprüft. Und wenn das Votum positiv ausfällt, bekommt die GGS den Titel ‘Zukunftsschule’ verliehen. Das Konzept: Zukunftsschule ist die Antwort von Schulen auf sich verändernde Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft. Dazu zählen vor allem „Lernsituationen, die es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, agil, flexibel und selbstständig zu arbeiten”, so die offizielle Definition. Nun aber mal persönlich gefragt, Herr Chinnow: Wie sieht Ihre Vision von der Zukunft der GGS aus? Herr Chinnow wirkt entschlossen: „Wir tragen den Titel ‘Zukunftsschule’, das Gebäude wird über regenerative Energien betrieben, wir leben einen Zero-Waste-Alltag, das Thema ist umfassend in den curricularen Vorgaben verankert und – last but not least – der Schulhof nimmt immer mehr Gestalt an!”

TEXT Natascha Pösel
FOTO Henrik Matzen