Neuer „World Ocean Review“ fasst das aktuelle Wissen zu marinen CO2-Entnahmeverfahren zusammen
Wie soll der Mensch den Klimawandel wirkungsvoll begrenzen? Oberste Priorität haben sicherlich Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen. Fakt ist mittlerweile aber auch, dass wir der Atmosphäre in den kommenden Jahrzehnten viel Kohlendioxid entnehmen und sicher einlagern müssen. Kann oder sogar muss uns der Ozean bei dieser Aufgabe helfen? Der neue „World Ocean Review“ (WOR) Nr. 8 erläutert diese Frage anhand der Rolle des Ozeans im Kohlenstoffkreislauf der Erde und stellt Vorteile, Risiken und Wissenslücken zu den wichtigsten meeresbasierten Verfahren zur Kohlendioxid-Entnahme vor. Dürfen und wollen wir Menschen den Ozean zu Klimaschutzzwecken tatsächlich noch tiefgreifender verändern? Die achte WOR-Ausgabe liefert Antworten und kann ab heute kostenlos bestellt und heruntergeladen werden. Zudem gibt der neue WOR den Startschuss für die bislang fehlende öffentliche Debatte über die Frage, ob wir Menschen den Ozean zu Klimaschutzzwecken tatsächlich noch tiefgreifender verändern dürfen und wollen.
Der Ozean hat in den zurückliegenden Jahrzehnten rund ein Viertel der vom Menschen freigesetzten Kohlendioxid-Emissionen aufgenommen, in seinen Tiefen eingelagert und den Klimawandel so maßgeblich gebremst. Diese natürliche CO2-Aufnahme des Meeres zu verstärken, ist das Ziel mariner Kohlendioxid-Entnahmeverfahren (engl. Carbon Dioxide Removal, CDR). Forschende untersuchen derzeit in verschiedenen Projekten die Machbarkeit, Kosten, Vorteile, Risiken und Nachhaltigkeit dieser Entnahmeverfahren. Was allerdings fehlt, ist eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, ob wir Menschen zum Zwecke des Klimaschutzes gezielt in die Abläufe des Ozeans eingreifen dürfen, auch wenn nicht alle Risiken und Folgen von Anfang an absehbar sein werden. Gegnerinnen und Gegner verweisen auf den ohnehin schon schlechten Zustand der Meere und fehlendes Wissen über die Folgen von CDR. Befürworterinnen und Befürworter hingegen betonen, dass wirksame Klimaschutzmaßnahmen alternativlos sind, und wir durch den Einsatz meeresbasierter CDR-Verfahren Zeit gewinnen könnten, die wir brauchen, um Alternativen für ein emissionsfreies Leben zu entwickeln.
Aufgrund dieser Brisanz und der anstehenden schwierigen Entscheidungen im Rahmen des Klimaschutzes, widmet sich der achte WOR ausschließlich dem Thema „Kohlendioxid-Entnahme“. Unterstützt von mehr als 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erläutert er die Dringlichkeit wirksamer Klimaschutzmaßnahmen und erklärt, wie der Ozean Kohlendioxid aufnimmt und für lange Zeit speichert. Er beschreibt das CO2-Aufnahmepotenzial der Landvegetation, diskutiert, warum das Meer in Sachen Klimaschutz in den Fokus gerückt ist und stellt im Anschluss vielversprechende marine CO2-Entnahme- und Speicherverfahren im Detail vor, angefangen von der Wiederherstellung und Ausweitung artenreicher Küstenökosysteme über Eingriffe in die Meereschemie (Alkalinitätserhöhung) bis hin zur CO2-Speicherung im tiefen Meeresuntergrund. Zum Abschluss geht er auf wichtige Leitprinzipien und Regeln ein, die nach Ansicht der Wissenschaft etabliert werden müssen, sollte sich die Gesellschaft eines Tages für einen Einsatz mariner CDR-Verfahren entscheiden.
Ein Beitrag, um notwendige Maßnahmen und deren Konsequenzen besser zu verstehen
„Erwärmt sich die Erde weiter in der bisherigen Geschwindigkeit, ist ein Kollaps von Natur und Gesellschaft unabwendbar. Um unser Klimaziel einzuhalten, müssen wir zu Methoden greifen, die wirkmächtig und existenziell sind, denn ein Stopp vermeidbarer Emissionen allein wird nicht ausreichen. Ich hoffe deshalb sehr, dass der neue ‚World Ocean Review‘ dazu beiträgt, leider notwendige Maßnahmen besser zu verstehen und deren Konsequenzen zu erkennen“, sagt WOR-Initiator und maribus-Geschäftsführer Nikolaus Gelpke. Die maribus gGmbH gibt den „World Ocean Review“ in Zusammenarbeit mit dem Konsortium Deutsche Meeresforschung, dem Kieler Future Ocean Netzwerk und dem International Ocean Institute heraus.
„Der WOR 8 beschreibt Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden (könnten), und solche, die als Option bezüglich ihres Nutzens, aber auch wegen möglicher Risiken noch bewertet werden sollten. Alle Einrichtungen und Institute der deutschen Meeresforschung sind an entsprechenden Projekten beteiligt und belegen so einmal mehr, wie eine Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen der Meeresforschung dazu in der Lage ist, schnell tragbare und nachhaltige Beiträge zu Lösungen eines globalen Problems zu entwickeln. Eindrucksvoll präsentiert der WOR 8 hier ein Kaleidoskop der aktuellen Forschung im Jahr 2023, zeigt aber auch, welches Wissen noch fehlt, um noch verlässlichere Empfehlungen an umsetzende Akteure auszusprechen“, schreibt Professor Dr. Ulrich Bathmann, Vorsitzender des Konsortiums Deutsche Meeresforschung in seinem Vorwort.
Professor Dr. Martin Visbeck, Co-Sprecher des Kieler Future Ocean Netzwerks führt weiter aus: „Die Themen des WOR 8 werden uns noch viele Jahre begleiten. International sind sie Teil der Klimaverhandlungen zum Erreichen des Pariser Abkommens und in der im Jahr 2021 gestarteten UNDekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung verankert, die sich mit der Schnittstelle zwischen Ozean und Klima ebenso beschäftigt wie mit dem notwendigen gesellschaftlichen Transformationsprozess. Forschung zu diesem Thema ist daher Zukunftsforschung, und der neue WOR gibt wichtige Impulse für dieses Forschungsfeld.“
Der WOR erscheint alle zwei Jahre in deutscher und englischer Sprache und wird weltweit von Interessierten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelesen. Er liefert aktuelles Hintergrundwissen zu relevanten Meeresthemen und richtet sich an alle, die in Sachen Meeresschutz und -nutzung mitreden wollen.
Die achte WOR-Ausgabe mit dem Titel „Klimaretter Ozean? Wie das Meer (noch) mehr Kohlendioxid aufnehmen soll“ erschien gestern und kann über die Webseite kostenlos als Druckexemplar bestellt oder als PDF-Version heruntergeladen werden.
Kiel, den 15.11.2023
TEXT Eva Sittig Presse, Kommunikation und Marketing, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
FOTO Shutterstock