Nach einer dreijährigen Pause aufgrund der Coronapandemie kehrt die Spieleentwicklerkonferenz Baltic Dev Days nun zurück. Die Veranstaltung fand am 1. und 2. Juni im Atlantic Hotel in Kiel statt, über 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 20 verschiedenen Nationen waren vertreten.
Die Baltic Dev Days werden von der Seal Media GmbH organisiert. Sie sind eine Non-Profit-Veranstaltung, bei der eventuelle Überschüsse an die gemeinnützige Organisation If (game) SH gespendet werden. Als Botschafter der Spieleindustrie ist es das Ziel der Baltic Dev Days, die Gamesbranche im Norden zu stärken. Die Konferenz bot eine einzigartige Gelegenheit für Mitglieder der Games-Branche, Studierende und Vertreter der Wirtschaft, sich persönlich auszutauschen.
Prominent wurde die Konferenz eröffnet von Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen und dem Kieler Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer. Auch die Speakerliste der Konferenz war beeindruckend, mit Branchenlegenden wie Kate Edwards und Fawzi Mesmar, die unter anderem über die Themen Spieledesign und Kulturalisierung referierten. Mehr als 50 Expertinnen und Experten, die sich professionell mit Spielen befassen, waren an den beiden Tagen vor Ort. Informative Vorträge und praxisnahe Workshops vermittelten den Anwesenden wertvolles Wissen. Zusätzlich bot eine Indie Expo 15 Entwicklern aus Deutschland und weiteren Ostsee Anrainerstaaten die Möglichkeit, ihre Spiele vorzustellen.
Wir von ME2BE haben uns am zweiten Tag, dem Business Day, unter die Spieleenthusiasten gemischt und die Konferenz vor allem unter dem Blickwinkel Gamification und Künstliche Intelligenz verfolgt.
Höhepunkte zwischen Talk und Play
Eröffnet wurde der Freitag unter dem Motto „Level Up your Business“.
Johannes Hartwig, Ministerialdirigent im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, und Boris Zander, CEO von SEAL.GAMES, sprachen zum Auftakt zunächst grundsätzliche Themenaspekte an:
„Die Digitalisierung treibt uns alle um. Nichts ist mehr ohne Digitalisierung denkbar”, betonte Hartwig und mahnte, dass auch Schleswig-Holstein seinen Teil zur weltweiten Bewegung beitragen müsse. Auch die besondere Bedeutung von Games und Gamification ordnete er ein: „In Deutschland haben wir einen Umsatz von zehn Milliarden Euro in der Gaming Industrie. Jeder Zweite in Deutschland spielt Videospiele. Wir sind eine spielende Gesellschaft.”
Als Gastgeber moderierten Sven Röhl, Referatsleiter im Wirtschaftsministerium, Regine Schlicht, Leiterin des Kompetenzzentrums Forschungs- und Entwicklungszentrum Fachhochschule Kiel GmbH, Johannes Ripken, Projektleiter für die Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein, und Thomas Balk, Geschäftsführer des IHK zu Kiel Arbeitskreises Digitalwirtschaft & Digitalisierung, die verschiedenen Vorträge.
Sabine Wojcieszak, Enthusiastic Agile & Devops Enabler bei getNext IT, und Sven Peters, Dev Ops Advocate bei Atlassian. Pty Ltd, präsentierten in ihren Vorträgen neue Ansätze, wie spielerische Elemente genutzt werden könnten, um Themen zu erkunden, zu lernen und gemeinsame Erlebnisse zu schaffen. Unter dem Motto „Und wenn schon Spielen im Unternehmenskontext, dann muss es wenigstens ‚serious‘ sein“, betrachteten sie den ernsthaften Einsatz von Spielen und Gamification, um den Arbeitsprozess und die Zusammenarbeit in Unternehmen zu verbessern. Dabei betonten sie, dass Spiele die Nutzer auf einer anderen Ebene miteinander kommunizieren ließen und neue Möglichkeiten des Austauschs und der Zusammenarbeit eröffnen könnten. „Spielen ist etwas, was wir alle einmal intensiv betrieben haben. Es ist die natürliche Form des Lernens!”, erklärte Wojcieszak. Dabei sei Kreativität eine perfekte Fähigkeit, Probleme zu lösen. „Komplexe Zusammenhänge oder innovative Ideen fallen uns leichter, wenn man Meetings mit spielerischen Ansätzen beginnt: Stichwort ‚Icebreaker‘!”, ergänzte Peters.
In seinem Vortrag widmete sich Michael Zillmer, COO und Mitgründer von InnoGames, dem Thema Recruiting und Onboarding. Er stand dem Thema Gamification eher kritisch gegenüber und hinterfragte, ob es tatsächlich erforderlich sei, Bewerber und neue Mitarbeiter wie Kinder zu behandeln, und ob es nicht ausreiche, sie stattdessen als Kunden zu betrachten. „Es soll einfach, schnell und wenig komplex sein: Informationsdichte vorab bieten, Gehaltstransparenz ist wichtig, Anschreiben sind überbewertet, Feedback so schnell wie möglich liefern”, konstatierte Zillmer. „Bewerbung ist ein ernstes Thema. Der Bewerber will sein Leben verändern und viel Zeit in einem Unternehmen verbringen. Das Unternehmen wiederum ist auf einen kompetenten Mitarbeiter angewiesen. Für Spielereien bleibt hier kaum Platz”, resümierte er. Mit seiner provokanten Aussage forderte Zillmer die Zuhörer heraus, ihre bisherigen Ansätze im Recruiting und Onboarding zu überdenken. Viele Wortmeldungen aus dem Publikum sorgten für eine lebhafte Diskussion.
Frank Simoneit, Geschäftsführer des Start-up Level up! HR, der als passionierter E-Sportler und Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fachbereich Wirtschaft an der FH Westküste ebenfalls anwesend war, gab zu bedenken: „Wer ein klares Bewerbungsprofil vorliegen hat und sich selbst gut kennt, den muss man vielleicht nicht spielen lassen. Gerade junge Menschen sind aber in Assessmentcenter-Situationen sehr gestresst und im Spielen vergessen sie ihre Hemmungen und Personaler können dann beobachten, was wirklich wichtig ist.” Auch Denise Jungjohann von PCT digital GmbH machte sich stark für ein gutes Onboarding. „Ich finde es wichtig, dass Unternehmen ihren Bewerbern etwas bieten. Mit dem allseits bekannten Obstkorb ist es da nicht getan!”
Ein weiteres Highlight bei den Baltic Dev Days war das inspirierende Panel zum Thema „Spiele-Mechaniken im Business: Gamification und die Lektionen der Spieleindustrie“. Interessierte erhielten einen Einblick in die innovativen Methoden der Spieleindustrie und deren Anwendung in verschiedenen Sektoren, um Wachstum und Erfolg zu fördern. Die Spieleentwickler-Experten Jens Bahr und Sascha Reinhold von Off the Beaten Track, Marilena Cassetta von Crytek, Andreas Jablonski von NEOX und Alex Kenntemich von Fabspiel Interactive führten in die faszinierende Welt der Gamification und Serious Games ein. Sie erläuterten, wie Spiele-Mechaniken in anderen Branchen angewendet werden könnten und welchen Mehrwert sie bieten würden.
Auf dem Flur
Doch auch abseits der Panels und Workshops gab es einiges zu sehen. Indie-Spieleentwickler aus ganz Deutschland und den Ostsee Anrainerstaaten präsentierten ihre Spiele auf dem Flur des Atlantic Hotels: aus Schleswig-Holstein zum Beispiel die Spiele OrbWars – Rogue together! von Neox Games aus Flensburg und Northmen – Rise of the Vikings von Seal Games aus Kiel. CEO Léon-Lucas Kaniewski und Game Developer Jan Oliver Eylander der Crystal Fox GmbH stellten ihr Abenteuer-Ressourcenmanagement-Spiel namens Calling Home vor: „Man baut seine eigene Basis auf. Dies wird nur erfolgreich, wenn man die Welt erkundet, Ressourcen findet und sie kombiniert. Man bringt sich selbst bei, eine Optimierung von Prozessen durchzuführen. Ohne Logik und logistisches Verständnis geht es nicht”, erzählt Kaniewski, der neben der Spieleentwicklung auch als Dozent für Games Programming am SAE Institute in Bottrop tätig ist.
Der Lernwert durch ein solches Spiel sei dadurch etwas, was sich die Spieleentwickler als Bereicherung auch außerhalb des Spiels vorstellen könnten. Dabei sind die beiden noch nicht von Künstlicher Intelligenz abhängig. „Unser Spiel kommt noch ohne KI aus. Uns ist Game Design wichtig, und dafür braucht man handverlesene Entscheidungen, die von uns selbst getroffen werden”, betonte Eylander. „Eine KI feuert ins Blaue und trifft nur durch Wahrscheinlichkeiten ins Schwarze.” Sein Kollege stimmt ihm zu: „KI ist für viele eine Supermacht, vor der man Angst haben muss. KI ist aber eher wie ein Kleinkind, das lernt”, gab Kaniewski zu bedenken.
Die Baltic Dev Days ermöglichten zusammen mit ihrem Partner Neox Studios aus Flensburg Schulklassen die Möglichkeit, kostenlos an einem der beiden Konferenztage teilzunehmen. Zwei Schüler schienen besonders begeistert zu sein.
Johan und Finn gehen in die elfte Klasse des Heinrich-Heine-Gymnasiums und sind heute extra für die Baltic Dev Days von ihrem Unterricht befreit worden. Für beide ist klar: Es soll ein Job in der Informatikbranche sein. Spieleentwicklung steht dabei zwar nicht im Vordergrund, aber dass es digital sein müsse, stehe fest. Finn plant bereits die Zeit nach seinem Abschluss: „Ich möchte definitiv in der Anwendungsentwicklung ins Projektmanagement gehen und daher Wirtschaftsinformatik dual studieren.”
Gutes tun in Games-Branche und regionaler Wirtschaft
Gerade in Schleswig-Holstein, wo die digitale Wirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist eine solche Veranstaltung die Gelegenheit, auch junge Nachwuchskräfte für die vielfältigen beruflichen Karrierewege in diesem Bereich zu begeistern, denn die Baltic Dev Days boten nicht nur Schülern, Studierenden und Newcomern die Chance, sich mit etablierten Unternehmen und Fachleuten der Branche zu unterhalten und zu vernetzen, sondern auch wertvolle Einblicke in die aktuellen Trends und Anforderungen der digitalen Arbeitswelt zu bekommen.
Für alle, die sich darüber hinaus mit den Themen Gamification oder Künstliche Intelligenz beschäftigen möchten, empfehlen wir, unsere weiterführenden Artikel auf ME2BE.
Eure ME2BEs
TEXT und FOTO Patricia Rohde