Dummes Geld und Glaubenskrieger

Dummes Geld und Glaubenskrieger

Deutschland ist Weltmeister im Kapitalexport, bei der Rendite aber nur Kreisliga. Großbanken sind ineffizient und China gängelt seine Schuldner. Mit teils spektakulären Forschungsbefunden macht das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) auf sich aufmerksam. Auch bei wirtschaftspolitischen Debatten kommen oft Kommentare aus Kiel.

Die Forscher des direkt an der Förde gelegenen Instituts sind weltweit renommiert, machen sich mit ihren Analysen in der Politik und am Finanzmarkt allerdings nicht immer beliebt. Wenig schmeichelhaft für deutsche Investoren ist zum Beispiel die Studie, die das Wall-Street-Klischee des „Stupid German Money“ unter die Lupe nimmt. Der Spott über das dürftige Geschick beim Geldanlegen hat es sogar in den Bestseller The Big Short über die erste Finanzkrise des Jahrtausends geschafft – und ist offenbar berechtigt. Denn deutsche Vermögensverwalter, Unternehmen und Anleger erzielen deutlich weniger Rendite im Ausland als Finanz-Experten aus anderen Nationen.

Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Untersuchung, die Franziska Hünnekes, Moritz Schularick und Christoph Trebesch veröffentlicht haben. Schularick ist seit Juni 2023 Präsident des IfW Kiel, Trebesch leitet dessen Forschungszentrum für Internationale Finanzmärkte und Makroökonomie. Mehr als 300 Milliarden Euro investieren heimische Anleger demnach Jahr für Jahr im Ausland. Damit liegen sie weltweit an der Spitze. Das Problem: Seit 1975 lagen die Erträge jährlich fast drei Prozentpunkte unter denen von anderen europäischen Ländern, bei Aktien waren es sogar vier Prozentpunkte weniger.

Das Fazit der Studienautoren:

„Es kommt uns als (Kapital-)Exportweltmeister teuer zu stehen, dass wir als Investor nur in der Kreisliga spielen.“

Den Deutschen sind enorme Gewinne entgangen, wie ein Langzeitvergleich zeigt. Aus 100 Euro, die im Ausland investiert wurden, haben US-Investoren in vier Jahrzehnten 6.000 Euro gemacht, deutsche Anleger dagegen nur 700 Euro. Trotz der hohen Verluste in der Finanzkrise 2008 hat Deutschland in den zehn Jahren danach weitere 2,7 Billionen Euro exportiert. Solange die Ursachen für die mageren Erträge nicht klar sind, halten die Autoren es für klüger, das Geld im Inland zu investieren. In Deutschland seien die Renditen im internationalen Vergleich durchaus ordentlich. Und es gebe dringenden Bedarf an Investitionen etwa bei der Bahn, den Schulen, der digitalen Infrastruktur oder der Energiewende.

Auch bei anderen Themen mischen sich die Ökonomen in aktuelle Debatten ein. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde zum Beispiel kontrovers diskutiert, ob Deutschland kurzfristig auf Gaslieferungen des Aggressors verzichten kann. Der Dissens wurde unter dem Hashtag Ökonomenstreit ausgetragen. In der Talkshow von Anne Will polterte Bundeskanzler Olaf Scholz im März 2022, dass es unverantwortlich sei, „irgendwelche mathematischen Modelle zusammenzurechnen, die dann nicht wirklich funktionieren.“ Wenn die Gasimporte von einem Tag auf den anderen ausblieben, müssten ganze Industriezweige ihre Tätigkeit einstellen. Der Kanzler verwies auf Warnungen von Unternehmen, Industrieverbänden, Gewerkschaften und Think Tanks.

Die dramatischen Prognosen erwiesen sich jedoch als unzutreffend. Das zeigt eine Analyse, die Schularick mit zwei weiteren Ökonomen kurz vor seinem Amtsantritt beim IfW Kiel veröffentlichte. Als die russischen Gasimporte später tatsächlich endeten, konnte die deutsche Wirtschaft ohne eine Rezession standhalten, die kurzfristigen Kosten erwiesen sich als handhabbar.

„Die Bundesregierung hat ihre Politik bezüglich eines Ausstiegs aus den russischen Gaslieferungen also auf Vorhersagen gestützt, welche die wirtschaftlichen Folgen eines Wegfalls russischer Gaslieferungen erheblich überschätzten“

heißt es in der Zusammenfasssung. Die Daten zu Energielieferungen und Speicherständen zeigen, dass Industrie und Haushalte auch bei einem Ende der russischen Gasimporte schon Ende März gut durch den Winter gekommen wären.

Welche Wirtschaftswissenschaftler am Ende richtig oder falsch lagen, lässt sich im Nachhinein leicht feststellen. Doch in der Politik sind weitreichende Entscheidungen auch dann zu treffen, wenn sich Ökonomen alles anderes als einig sind. Grundsätzlich sei die Ampelregierung für forschungsbasierte Politikberatung aufgeschlossen, erklärte Schularick gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Nach der großen Gasdebatte hat sie noch stärker erkannt, dass sie die Wissenschaft braucht, auch um Fehler nicht zu wiederholen.“ Es gebe enge Kontakte, sowohl auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene.

Politiker halten Sie sich gern an Institute, die ihre Grundannahmen teilen. So galt das IfW lange als Vertreter neoklassischer und angebotsorientierter Positionen. Institute wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) vertraten dagegen oft keynesianische und nachfragorientierte Positionen. Von diesen Schubladen hält der IfW-Chef allerdings wenig. Für Schularick gibt es zu viel Schwarz-Weiß-Denken in der Politikberatung:

Statt auf ideologischer Basis sollen ökonomische Fragen am IfW theoretisch fundiert und mit empirischen Methoden bearbeitet werden. Dabei nehmen die Forscher oft lange Zeitreihen in den Blick. Bis 1870 reichen die Jahresbilanzen von mehr als 11.000 Geschäftsbanken in 17 Ländern zurück, die Schularick als Mitautor untersuchte. Das Ergebnis: Die Konzentration im Bankensektor und die Anfälligkeit des Finanzsystems verstärken sich gegenseitig. Große Banken gehen in Boomzeiten mehr Risiken als kleinere Akteure ein, in Krisen schränken sie dagegen die Kreditvergabe stärker ein und machen höhere Verluste. Trotz dieser schlechten Leistungen gewinnen sie Marktanteile. Dieses paradoxe Ergebnis beruht darauf, dass die Großbanken „too-big-to-fail“ sind. Weil ein Bankrott weite Kreise ziehen würde, können sie darauf vertrauen, vom Staat gerettet zu werden. Jüngstes Beispiel: Die Zentralbank der Schweiz unterstützt die Übernahme der angeschlagenen Credit Suisse durch die UBS mit bis zu 100 Milliarden Schweizer Franken. Die fusionierte Bank verwaltet ein Vermögen in Höhe von fünf Billionen US-Dollar.

Ein regelrechter Coup war die Enthüllung, wie China mit dem Investitionsprogramm der sogenannten Neuen Seidenstraße viele Entwicklungsländer gängelt. Einem internationalem Team, zu dem IfW-Forschungsdirektor Trebesch gehört, gelang der Zugang zu 100 Originalverträgen mit 24 meist ärmeren Ländern. Die Kreditkontrakte enthalten ungewöhnliche Bestimmungen zur Geheimhaltung sowie Klauseln zulasten anderer internationaler Geldgeber. Die Studie How China Lends zeigt, dass chinesische Banken die Optionen der Schuldnerländer stark einschränken. Selbst eine neue Regierung kann bereits begonnene Projekte kaum in Frage stellen.

Später stellte eine IfW-Studie fest, dass 60 Prozent aller chinesischen Auslandskredite von einem Zahlungsausfall bedroht sind. „Dank unserer Daten können wir Chinas wachsenden Einfluss auf die internationale Finanzordnung verstehen. Bisher war nicht bekannt, dass China ein System zur Rettung von Krisenstaaten aufgebaut hat, geschweige denn das große Ausmaß und die Empfänger der Rettungskredite“, erklärt Trebesch in einem IfW-Beitrag. Wie die Großmacht ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen im Ausland durchsetzt, lässt sich anhand weiterer Analysen verfolgen. So wird etwa deutlich, wie die New Development Bank der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds zunehmend Konkurrenz machen.

Auch zu vielen anderen Themen, vom Krieg gegen die Ukraine über Klimafragen bis zum Spannungsfeld der Europäischen Union kommen aus dem Kieler Institut sowohl belastbare Daten als auch fundierte Interpretationen. Wer verstehen will, wie sich insbesondere die wirtschaftlichen Gewichte rund um den Globus verschieben, wird in den frei verfügbaren Studien des IfW Kiel fündig.

Globalisierung verstehen

Schwerpunkt des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) sind Fragen rund um die Globalisierung. Die Forscherinnen und Forscher beraten die nationale wie internationale Politik, die Weltbank ebenso wie die Bundesregierung. Der Anspruch lautet: Globale ökonomische Herausforderungen frühzeitig erkennen und umsetzbare Lösungsansätze entwickeln.
Als „Königliches Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel“ wurde es 1914 gegründet. Im ersten Weltkrieg lieferten die Wissenschaftler dem monarchistischen Deutschland Informationen über die Wirtschaft der gegnerischen Mächte. Auch während der NS-Zeit stellte sich das Institut in den Dienst des Regimes und der Kriegswirtschaft. In den ersten Jahren der Bundesrepublik gelang es, den ramponierten wissenschaftlichen Ruf wiederherzustellen.
Das Forschungszentrum ist ein sogenanntes An-Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und beschäftigt knapp 200 Mitarbeitende. Hinter dem weltweit vernetzten Institut steht eine unabhängige Stiftung, die vom Land Schleswig-Holstein und vom Bund gefördert wird. Es ist Mitglied der Leibniz Gemeinschaft.

TEXT Peter Ringel
Illustration ME2BE
FOTO © IfW Kiel