Dass bei Heide im Kreis Dithmarschen eine Giga-Fabrik für die Produktion von Batterien für Elektroautos entsteht, ist maßgeblich Landrat Stefan Mohrdieck zu verdanken. Wir baten ihn zum Interview und wollten wissen, wie es dazu kam – und was das für seine Region bedeutet.
ME2BE: Herr Mohrdieck, Sie sind seit dem 1. Juni 2018 Landrat des Kreises Dithmarschen und haben maßgeblich mitgewirkt, dass das schwedische Unternehmen Northvolt die Giga-Fabrik bei Heide baut. Was haben Sie dafür alles in die Wege geleitet?
Mohrdieck: Ich bin seit rund zweieinhalb Jahren an dem Thema dran. Damals war der Northvolt-CEO Peter Carlsson zu Besuch. Dem ganzen ging ein Suchprozess der Firma voraus. Sie hatte sich ja verschiedene Standorte in ganz Europa angesehen. Auch in Deutschland waren mehrere Standorte im Gespräch.
Was brachte denn den letztendlichen Ausschlag zu Gunsten der Fabrik bei Heide?
Zuletzt war nur noch ein Standort in der Nähe von Köln im Rennen und eben wir in Dithmarschen. Northvolt hat Standortanforderungen formuliert und dabei festgestellt, dass die meisten Faktoren bei uns erfüllt sind.
Und welche waren das konkret?
Das ist im Wesentlichen die Verfügbarkeit der erneuerbaren Energie, die ja gebraucht wird, um die grünste Batteriezelle zu fertigen, die man im Moment herstellen kann. Das passte gut zu unseren Überlegungen, grün und sauber in die Zukunft zu gehen.
Die Verfügbarkeit von Windstrom war also der große Bonus?
Ja, definitiv. Uns hat ja ursprünglich die Situation angetrieben, dass wir Strom im Überfluss haben. Hier wird ja viel Strom abgeschaltet, weil die Stromtrassen die ganze Energie an windigen Tagen gar nicht abtransportieren können. Uns war stets klar: Mit dem Strom kann man etwas anfangen. Das ist das Label der Energieküste.
Die letzte Hürde wurde am Montag, 22. Januar genommen. Da hat die Gemeinde Norderwöhrden zugestimmt.
Ja, was die politische Willensbildung angeht, ist die letzte Hürde genommen. Jetzt folgen nur noch Verwaltungsvorgänge.
Was hätte es denn für die Region bedeutet, wenn sich Norderwöhrden quer gestellt hätte?
Das ist für Außenstehende schon eine skurrilere Situation, dass eine Kleinstkommune über solche Vorhaben entscheidet. Man muss aber respektieren, dass sie die Planungshoheit hat. Wäre das nicht gelungen, wären viele Menschen sehr enttäuscht gewesen. Das hätte wohl auch soziale Spannungen bedeutet. Aber solche demokratischen Ergebnisse müsste man auch respektieren. Auf der anderen Seite haben wir ja auch eine Verantwortung für die regionale Entwicklung.
Die Kleinstgemeinde, wie Sie sagen, hätte also das gesamte Projekt blockieren können?
Das ist ja das Besondere an diesem Beschluss gewesen, dass die Gemeinde eigentlich nur über einen Bebauungsplan abgestimmt hat – im Kern aber über das gesamte Vorhaben. Das war das Außergewöhnliche.
Ging ja nochmal gut aus. Wie ist die Stimmung jetzt?
Wir sind sehr froh, dass das geglückt ist. Ich war ja auch einige Male in Schweden, beruflich und privat. Mir war aber immer klar, dass das gut passt, zwischen den Schweden und uns. Wir ticken ähnlich, sind ruhig, besonnen und besitzen ein Verständnis fürs Gemeinwohl. Das Unaufgeregte hat den Schweden gut gefallen.
Und was ist/war ihr Part bei der Realisierung des Projekts?
In erster Linie die Koordination und Kommunikation.
Schauen wir uns das große Bild an. Was bedeutet denn der Bau einer so großen Fabrik mit 3000 direkten und 6000 indirekten Arbeitsplätzen für einen recht kleinen Kreis mit rund 134.000 Einwohnern?
Eine gesamte Region ist betroffen: Das gilt für den Wohnungsbau, weitere Gewerbeansiedlungen, für Schulen sowie den Ausbau der Infrastruktur. Das betrifft ebenso die Gastronomie, den Einzelhandel, aber auch den kulturellen Bereich. Da wird Wertschöpfung durch Nachfrage geschaffen. Insgesamt erwarten wir rund 15.000 neue Einwohner.
Dithmarschen ist eine recht strukturschwache Region. Ändert sich das zukünftig?
Ja, ganz klar. Wir können unsere Strukturschwäche ausgleichen und bekommen einen Impuls für wirtschaftliches Wachstum. Bislang haben wir ja die höchste Arbeitslosenquote in Schleswig-Holstein. Da ist jede Firma, die kommt, wertvoll. Nach so einer Chance haben wir lange gesucht. Das Unternehmen Northvolt ist ein Schlüssel, eine Ankerinvestition, die Wellenbewegungen auslöst, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Das hat enorme Auswirkungen.
Die Ansiedlung ist aus Ihrer Sicht also ein echter Glücksfall.
Absolut. Wir haben hier die höchste Quote an Schulabbrechern und die geringste Abiturientenquote. Das sind soziale Eckdaten, die einen nicht gerade fröhlich stimmen. Es ist eine Riesenchance. Hier entsteht Wohlstand. Wir können viele Situationen verbessern: mehr Ärzte, Lehrer, Polizisten, mehr Studenten und Schüler.
Und die andere Seite der Medaille?
Veränderungen gefallen nicht jedem. Es gibt immer auch gewisse Vorbehalte; ich denke aber, dass unsere Leute offen und gelassen sind. Wir müssen Beteiligungsformate etablieren und den Menschen erklären, was sich verändern wird – ohne ihnen Angst zu machen. Wir müssen die Chancen aufzeigen.
Was bedeutet das alles für die jungen Leute und die Ausbildungschancen?
Es ist ein Glücksfall, dass wir schon einiges vor Ort haben: die Ausbildung für Batteriezellen-Technologie existiert ja zum Beispiel bereits in Itzehoe. Die gesamte Achse Husum-Hamburg verändert sich, wird attraktiver. Was früher das Ruhrgebiet und die Kohle waren, kann in Zukunft die erneuerbare Energie hier bei uns werden. Das sind innovative Zukunftsthemen.
Eine ganze Region stellt also die Weichen für die Zukunft?
Ja. Da geht es um Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Klimawandel. Die Transformationsprozesse finden bei uns statt. Investitionen hier, statt lediglich die Energie zu erzeugen und abzuleiten, wie bisher. Wir produzieren in Dithmarschen mit unserer Windkraft die dreifache Menge an Energie gegenüber dem, was wir selbst brauchen. Zudem kommt hier die Energie auch von den Offshore-Windanlagen an. Das ist unser Bonus.
Dithmarschen wird also systemrelevant für die ganze Republik?
Im Prinzip schon. Die Batterien werden für die Energie- und die Mobilitätswende benötigt. Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie. Sie wird ja dadurch am Leben erhalten. Sonst würden die Batterien aus Korea kommen. Da wären dann die Ansprüche an Nachhaltigkeit und Qualität nicht so leicht zu erfüllen. Zukünftig kommt ein wichtiger Teil für die Elektroautos aus dem Norden. Das dient dem Wohlstand aller in Deutschland und in Europa. So halten wir auch Knowhow im Land.
Daniel Günther freute sich: „Jetzt haben wir die cooleren Jobs.“
Das sehe ich genauso. Das ist unsere große Chance. Hinzu kommt ja noch die Wasserstoffwirtschaft. Drumherum braucht es auch wieder neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Das besitzt eine Sogwirkung.
Spielen Sie auf den Süden an? Hat man dort zu lange energetisch aufs falsche Pferd gesetzt?
Bayern und Windkraft geht ja nicht so gut zusammen. Lange wurde dort auf Atomkraft gesetzt. Deren Wohlstand basiert letztlich auch auf einer sicheren Energieversorgung. Da sind wir im Norden schon ziemlich weit.
Auch was die Ausbildung der Fachkräfte angeht?
Wir werden natürlich Leute anziehen, bilden aber auch in der Region selbst aus: mit der FH-Westküste, mit einem technisch-wirtschaftlichen Bereich, der eine hohe Qualität mitbringt. Dazu haben wir die praktische Ausbildung in Itzehoe und in unserem BBZ. Da sind wir bereits sehr gut aufgestellt.
Die Fördersummen, die geflossen sind (902 Millionen Euro), sind ja schon rekordverdächtig. Müssen Sie sich gegenüber Kollegen aus anderen Bundesländern rechtfertigen?
Natürlich, alle schauen mitunter auch argwöhnisch auf uns – auch in Schleswig-Holstein. Es wird hier sehr viel Geld gebunden, auch für die nächsten Jahre. Da sag ich ganz souverän und selbstbewusst: Das ist jetzt nicht nur in unserem, sondern auch im europäischen Interesse. Ich bin froh, dass Land und Bund sich positioniert haben und diese enormen Mittel aufwenden. Ohne die hätte sich Northvolt nicht für den Standort entschieden. Dann wäre es wohl doch USA geworden.
Am 8. Februar stehen in Dithmarschen Landratswahlen an. Was würde es für das Projekt bedeuten, sollten Sie nicht wieder gewählt werden?
Grundsätzlich ist jeder ersetzbar. Mein Nachfolger müsste sich allerdings ganz schön einarbeiten; ich habe ja wie gesagt seit zweieinhalb Jahren mit dem Projekt zu tun. Man muss erkennen, dass durch den Wechsel in dem jetzigen Projektstadium Störungen in der Zusammenarbeit aller Akteure entstehen könnten.
Blicken wir zum Schluss in die Zukunft. 2026 soll die Fabrik anfangen zu produzieren. Wo sehen Sie die Region im Jahr 2030?
Bis dahin wird der letzte Produktionsbereich von vieren fertig sein. Wir haben dann eine Stadt Heide, die gewachsen ist, die sich auf die 30.000 Einwohner zubewegt. Etliche Arbeitsplätze sind entstanden, zwei hochinteressante Wasserstoffprojekte in Umsetzung gebracht sowie ein Innovationsdreieck zwischen Itzehoe, Brunsbüttel und Heide geschaffen. Wir sind der führende Standort, was innovative Technologien angeht, und attraktiv für Arbeitskräfte aus ganz Deutschland geworden. Solche Transformationsprojekte triggern ja auch junge Leute auf der ganzen Welt.
Schönen Dank für das Gespräch!
TEXT Daniel Hautmann
FOTO Pressestelle Kreisverwaltung Dithmarschen, Sophie Blady