Wie Sven Tode an der Hochschule Flensburg mit Antisemitismus umgeht

Wie Sven Tode an der Hochschule Flensburg mit Antisemitismus umgeht

Sven Tode hat die Präsidentschaft an der Hochschule Flensburg in einer Zeit angetreten, in der Antisemitismus den deutschen Wissenschaftsbetrieb erschüttert. Im Interview erklärt Tode, wie er in Flensburg damit umgeht – und welche Ziele er sich für seine Amtszeit gesetzt hat.

Herr Tode, kaum eine Woche vergeht, ohne dass von irgendeiner deutschen Hochschule oder Uni antisemitische Vorfälle gemeldet werden. Wie erleben Sie das in Flensburg?

Bei uns ist Derartiges bislang nicht vorgekommen. Auch von anderen Hochschulen in Schleswig-Holstein kenne ich keine Fälle, die mit denen vergleichbar wären, die man beispielsweise in Berlin sieht. Das mag zum einen der Tatsache geschuldet sein, dass das politische Klima in Schleswig-Holstein insgesamt weniger aufgeheizt ist als an manchen anderen Orten. Zum anderen spielt vermutlich das Profil unserer Hochschule eine Rolle: Wir sind eher technisch als gesellschaftspolitisch ausgerichtet.

Trotzdem schreiben auch Sie sich demokratische Wertebildung auf die Fahnen. Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt, wenn man an Fächer wie Maschinenbau oder Informatik denkt?

Ein technischer Fächerkanon bedeutet ja nicht, dass wir uns in einem politikfreien Raum bewegen würden. Wir sind an der Hochschule Flensburg sehr international aufgestellt. Schon deshalb stehen unsere Forschenden und Studierenden im Austausch mit Menschen aus anderen politischen Systemen und Kulturen oder mit anderen Wertvorstellungen. Wir haben zum Beispiel Windräder in Nepal und in der Türkei gebaut oder Start-ups in Afrika begleitet, immer gemeinsam mit Menschen vor Ort. Wenn wir solche Projekte angehen, sprechen wir mit den Botschaften und mit politischen Stiftungen, um uns für die jeweiligen Gegebenheiten zu sensibilisieren.

Aber genügt das? Müsste man demokratische Bildung nicht auch direkt im Studienalltag verankern?

Es ist klar, dass es auch an technischen Hochschulen und Fachhochschulen einen stärkeren gesellschaftlichen Diskurs geben muss. Die Aufgabe sehe ich insbesondere bei ethischen und philosophischen Fragen. Ein Beispiel ist die KI-Forschung, die manche Menschen als Chance sehen und andere mit Sorge betrachten. Das ist ein Thema, das man nicht allein technisch betrachten und lösen kann, sondern dass man gesellschaftlich begleiten muss, um zu klären, was die Forschung tun kann und darf.

In welchem Rahmen könnten solche Diskussionen stattfinden?

Ich finde sehr interessant, was etwa die Fachhochschule Darmstadt oder die Leuphana in Lüneburg tun. Dort gibt es Formen wie das Studium generale oder auch verpflichtende Module in ingenieurwissenschaftlichen Fächern, die sich mit gesellschaftlichen oder philosophischen Fragen befassen oder in den Bereich Ethik Folgenforschung hineinragen. Es ist wichtig, dass beispielsweise jemand, der Algorithmen entwickelt, sich darüber klar ist, was seine Arbeit für Folgen haben kann. Solche Module zu Fragen der gesellschaftlichen Relevanz von Studiengängen kann ich mir sehr konkret auch für unsere Hochschule vorstellen. Wir werden damit zunächst auf freiwilliger Basis starten, aber später womöglich auch verpflichtende Module implementieren.

Wie nehmen Sie die Studierenden wahr – gibt es ein Interesse an solchen Fragen jenseits der Kernthemen ihrer jeweiligen Fächer oder sehen sie darin eine zusätzliche Belastung?

Das Interesse gibt es durchaus! Wir haben eine Generation an den Hochschulen, die nicht allein auf Gewinne schaut, sondern etwas zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen möchte, zum Klimaschutz oder zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Ich glaube, solche Diskurse werten die Studiengänge sogar auf, weil sie den Studierenden nicht einfach nur das technische Know-how vermitteln, sondern ihnen darüber hinaus klarmachen, welchen Einfluss sie mit ihrem Wissen auf eine positive Entwicklung der Gesellschaft ausüben können. Natürlich wird es auch Studierende geben, die sich im Vorfeld fragen, was ihnen diese Inhalte bringen, wenn sie doch eigentlich ‚nur’ Ingenieur werden wollen. Aber ich hoffe, dass auch sie am Ende den Wert erkennen. Vermutlich sind es weniger die Studierenden, die man davon überzeugen muss, sondern die Lehrenden, die fürchten, dass zu wenig Zeit für den Kernstoff bleibt.

Sehen Sie über Studienmodule hinaus weitere Möglichkeiten, wie die Hochschule zur demokratischen Wertebildung beitragen kann?

Ja, wir planen zum Beispiel gerade eine Aktion zum Thema ‚75 Jahre Grundgesetz’. Denkbar wären etwa Plakate, auf denen Hochschulangehörige ihre Lieblingsartikel im Grundgesetz vorstellen, sei es zur Meinungsfreiheit, zur Freiheit von Forschung und Lehre oder zur Freiheit von Diskriminierung. Wir wollen damit zeigen, dass der Hochschule egal ist, welche Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung Studierende mitbringen – was zählt, ist allein der Mensch.

Lassen Sie uns noch über ein anderes Thema sprechen. Sie haben Ihr Amt als Präsident vor gut einem Monat angetreten. Als promovierter Historiker führen Sie eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Passt das überhaupt zusammen?

Das ist eine Frage, die man im angelsächsischen Raum nie stellen würde! In den USA ist es gang und gäbe, dass Menschen in Bereichen arbeiten, die mit ihrem Studium direkt wenig zu tun haben: Historiker beschäftigen sich mit Finanzen, Ingenieure machen Politik. Was mich betrifft, setze ich mich schon lange mit Wissenschaft und Wissenschaftspolitik auseinander. Ich bin in der Community gut vernetzt und glaube, dass ich die Hochschule weiterbringen kann. Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, dass ich aus einem anderen Fachbereich komme, weil ich so eine zusätzliche Perspektive vermitteln kann. Ich kenne zudem Flensburg und die Menschen hier gut, weil ich seit 2015 als Privatdozent an der Europa-Universität gleich nebenan tätig bin.

Welche Schwerpunkte haben Sie sich für Ihre sechsjährige Präsidentschaft gesetzt?

Wieso sechs Jahre – das klingt ja, als wolle ich nicht wiedergewählt werden (lacht)! Im Ernst: Es geht mir zunächst darum, unsere Stärken weiter auszubauen, etwa die gute regionale Verankerung und die Zusammenarbeit mit den vielen kleinen und mittleren Unternehmen hier im Norden. Gleichzeitig setzen wir auf Internationalisierung. Wir sind zwar einerseits die nördlichste Hochschule Deutschlands, aber andererseits auch die zentralste Europas. Darauf lässt sich aufbauen. Dann wird es darum gehen, unsere Stärken fächerübergreifend zusammenzuführen, beispielsweise im Bereich der künstlichen Intelligenz, die in vielen Bereichen eine wachsende Rolle spielen wird. Wir richten zudem gerade einen neuen Pflegestudiengang ein und planen in dem Zusammenhang mit Studiengängen für weitere medizinische Berufe wie Logopädie. Außerdem überlegen wir uns, wie wir aus unserem großen Angebot heraus neue, passgenaue Studiengänge entwickeln können, etwa im Bereich Nachhaltigkeit. Das ist ein Feld, das sehr stark nachgefragt wird – was im Übrigen auch die bereits erwähnte These belegt: Die Studierenden heute wollen mit ihrer Arbeit einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen.

Zur Person:

Sven Tode (59) ist seit Februar Präsident der Hochschule Flensburg. Der promovierte Historiker war als Gymnasiallehrer und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten tätig. Seit 2015 ist Tode zudem Privatdozent an der Europa-Universität Flensburg.

TEXT Volker Kühn
FOTO Hochschule Flensburg