An der Toni-Jensen-Schule ist Ann-Kathrin Wille seit ihrem Referendariat und seit 2021 als feste Deutsch- und Wipolehrerin für die Sekundarstufe zwei tätig. Zusätzlich bekleidet sie bereits im dritten Jahr das Amt der BO-Koordinatorin und bringt als solche noch mehr Schwung in die ohnehin lebhafte Berufsorientierung der Gemeinschaftsschule. Im Gespräch mit ME2BE verrät sie, was sie dazu motiviert hat, bereits als Grundschülerin Lehrerin werden zu wollen, wie vielfältig sich die Berufsorientierung an der „Toni“ zeigt und welche aktuellen Bildungstrends sie als besonders relevant erachtet.
Frau Wille, was hat Sie dazu motiviert, BO-Koordinatorin zu werden?
Während meiner eigenen gymnasialen Laufbahn habe ich keine Berufsorientierung erlebt und mich immer gefragt, warum dem so war. Denn ich sehe es als Querschnittsaufgabe von Lehrkräften an, Schülerinnen und Schüler auf ihre Zukunft vorzubereiten. Auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel sah ich bereits früh viel Potenzial in der schulischen Berufsorientierung und fand, dass es endlich Zeit wird, dass Schulen und die ersten Arbeitsmarkterfahrungen in Interaktion treten. Wie sollen die Kinder wissen, was sie werden wollen, wenn sie sich während ihrer Schullaufbahn nie damit beschäftigen, außer im Rahmen überschaubarer Praktika? Zudem erhält nicht jeder junge Mensch von Zuhause diesbezüglich die gleiche Unterstützung und manch einem mangelt es an geeigneten Vorbildern.
Die BO-Koordination ist mit Mehrarbeit verbunden. Was gibt Ihnen diese Zusatztätigkeit im Gegenzug?
Die Arbeit lohnt sich, da es schön ist zu sehen, wenn Schülerinnen und Schüler eine Ahnung von ihrer eigenen Zukunft entwickeln und begreifen, dass sie diese selbst gestalten können. Dadurch, dass wir mit der Berufsorientierung früh beginnen, ist den Kindern relativ schnell klar, welche Schritte sie gehen müssen, um einen bestimmten Job erhalten zu können. Auf der anderen Seite können Berufsorientierung und Praktika dabei helfen, verkehrte Annahmen über gedachte Traumberufe abzulösen. Dazu kommt es häufiger, wenn wir den Studieneignungstest in der zwölften Jahrgangsstufe in Kooperation mit der Agentur für Arbeit durchführen. Immer wieder stellen einige Schülerinnen und Schüler verwundert fest, dass ein Studium womöglich doch nicht die erste Wahl für sie ist. Ich unterstütze sie gerne und finde es wichtig, sie gerade dann nicht alleine zu lassen, wenn sie merken, dass ein Beruf doch nicht zu ihnen passt. Dann mache ich weiter und ermutige sie zu Beratungsgesprächen, um ihre individuelle Perspektive zu entwickeln.
Was macht die Toni-Jensen-Schule für Sie aus?
An der Toni-Jensen-Schule schätze ich vor allem den ausgezeichneten kollegialen Austausch. Wir sind eine Gemeinschaft, ein Team. Zudem mag ich den Mix aus pädagogischem und fachlichem Arbeiten. Mit meiner gymnasialen Ausbildung hatte ich stets die Idee, einmal am Gymnasium tätig zu sein. Doch dann bin ich an der Toni angekommen und habe Schule als lebendigen Ort der Vielfalt erlebt. Das spiegelte sich auch in der Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern wider. Dort zeigte sich, dass ich für sie nicht bloß eine Lehrerin in Form einer Art Dienstleisterin bin, sondern eher ein Coach. Fällt es einer Schülerin oder einem Schüler beispielsweise schwer, einen Praktikumsplatz zu erhalten oder eine Bewerbung zu formulieren, bin ich aktiv für sie da.
War es schon immer Ihr Wunsch, Lehrerin zu werden?
Den Wunsch, Lehrerin zu werden, trage ich seit der Grundschule in mir. Begründet ist dies sowohl in Positiv- wie auch in Negativbeispielen. Ich fand den Gedanken schon immer spannend, Schülerinnen und Schüler dabei zu begleiten, erwachsen zu werden und sie für etwas zu begeistern.
Welchen Stellenwert besitzt die Berufsorientierung an der Toni-Jensen-Schule?
Berufsorientierung besitzt bei uns an der Schule eine tragende Rolle – unterstützt von der Schulleitung, die unsere Lehrkräfteaufgabe darin sieht, junge Menschen auf das Leben nach der Schule vorzubereiten. Nachdem die neue Landesverordnung veröffentlicht wurde, formulierte ich für unsere Schule ein neues Curriculum. So beginnt die Berufsorientierung bei uns niedrigschwellig in der fünften Klasse, damit die Kinder sich über die gesamte Schulzeit immer wieder mit unterschiedlichen Aspekten auseinandersetzen. Dazu gehört die Vorbereitung auf die Berufsorientierung, die Fragen nach Stärken und Interessen beinhaltet. In der zweiten Phase, in Klasse acht geht es um die Einführung, die Vorbereitung auf das Praktikum und praktische Workshops beispielsweise zu den Themen: Wie telefoniere ich mit dem Arbeitgeber, wie schreibe ich eine Bewerbung oder den Gang zum Vorstellungsgespräch. Ab Jahrgangsstufe neun beginnt das individuelle Entscheiden und Entscheidungen prüfen. Das geht einher mit dem ersten anerkannten Schulabschluss und in diesem Zusammenhang auch darum, den individuellen Anschluss zu sichern.
Wie werden diese Inhalte im Unterricht eingebunden?
Da Berufsorientierung an unserer Schule eine Querschnittsaufgabe bildet, setzen viele Lehrkräfte dieses Thema in verschiedenen Fächern um. Im mich als Lehrerin betreffenden Fach Deutsch umfasst es beispielsweise das Erstellen der Bewerbungsunterlagen. Dies wird jedoch auch im Weltkundeunterricht thematisiert. Die Praktika werden ebenfalls durch die Weltkundeunterrichtslehrkraft betreut. In der siebten Klasse findet zudem der Stärkenparcours statt. Zusätzlich werden die Achtklässler von unserer Berufsberaterin Frau Gronau beraten und lernen Online-Plattformen wie die der Agentur für Arbeit oder DIGI:BO kennen und haben Workshops zum Thema Vorstellungsgespräch. In der achten Klasse steht des Weiteren ein Tagesausflug ins BIZ, dem Berufsinformationszentrum und der Jugendberufsagentur an.
Welchen Stellenwert nimmt die erste Berufsorientierungsmesse ein?
Ich freue mich sehr darauf. Vor allem darüber, dass wir die Messe für die Mittelstufenschüler, aber auch für unsere Oberstufe anbieten. Es ist sehr wertvoll, die jungen Menschen rechtzeitig mit den Unternehmen in Kontakt zu bringen; da manch einer sich für das Fortführen der Schullaufbahn in der Oberstufe weniger aus Überzeugung als aus dem Gefühl der Alternativlosigkeit entscheidet. So bieten wir eine größere Vielfalt an, denn wir laden unter anderem Unternehmen ein, die duale Studiengänge anbieten. Wir nehmen mit unseren Schülerinnen und Schülern auch an den Schnuppertagen der Fachhochschule Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel teil, um ihnen mögliche Wege aufzuzeigen. Wir möchten junge Menschen ermutigen, ihren Schutzraum zu verlassen und ihnen vermitteln: Du hast alles, was du brauchst, und kannst darauf vertrauen, dass du die Kompetenzen besitzt, um zurechtzukommen. Zudem möchten wir ihnen aufzeigen: Das Berufsleben ist heutzutage nicht mehr linear und Wege können sich ändern. Dennoch raten wir auch hier dazu, erst einmal eine abgeschlossene Berufsausbildung in der Tasche zu haben.
Wie stellt sich die Zusammenarbeit mit den Unternehmen dar?
Die Zusammenarbeit ist sehr erfreulich und die Unternehmen kommen gerne zu uns in die Schule. Das UKSH bietet nun zum ersten Mal Schnuppertage für unsere neunten Jahrgänge an, um auf medizinische und pflegerische Berufe aufmerksam zu machen. Wir stehen in Kontakt mit den Wirtschaftsjunioren, machen bei der Vocatium-Messe mit und beim Meet & Eat. So gehe mal ich auf Unternehmen zu oder sie auf uns. Dabei lege ich Wert darauf, dass eine Zusammenarbeit sich praktisch und nahbar für die Schülerinnen und Schüler gestaltet. So sind zum Beispiel Schnuppertage oder konkretes Nachspielen möglicher Situationen im Arbeitsalltag greifbarer als Frontalvorträge mit anschließendem Fragenstellen.
Welche Erfahrung nehmen Sie aus der ersten Vorhabenwoche mit dem siebten Jahrgang mit?
In der siebten Stufe findet der Stärkenparcours statt, den ich als pädagogisch äußerst wertvoll erachte. Jedoch sind die Ergebnisse rein positiv und nicht immer ganz realistisch. Im Dialog mit Axel von Kortzfleisch, Geschäftsführer von ME2BE, entstand die Idee, eine Ergänzung zum Stärkenparcours zu entwickeln, den wir am Ende der 7. Klasse durchführen. Heraus kam die Idee, zu Beginn des 8. Schuljahres eine Praxiswoche durchzuführen, die auf die Erkenntnisse des Stärkenparcours aufbaut, und den Berufswahlprozess einleitet. Es war eine wichtige Erfahrung, und wir nehmen sinnvolle Verbesserungen für das nächste Mal mit und wollen die Woche kommendes Mal noch praktischer gestalten, Elemente wie das Improvisationstheater wiederholt einsetzen und die Abläufe noch abwechslungsreicher gestalten. Womöglich siedelt man die Veranstaltung aber auch besser in der achten statt zu Beginn der siebten Klasse an und bereitet so noch gezielter auf das bevorstehende Praktikum vor. Die Schülerinnen und Schüler waren sehr angetan und fühlten sich nach dem Event besser über Berufe und digitale Berufsorientierungsseiten informiert. Zudem haben sie eine Ahnung davon erhalten, dass beispielsweise die Leidenschaft Fußball in verschiedenen Berufen münden kann.
Welche aktuellen Bildungstrends und Entwicklungen erachten Sie als besonders relevant?
Allem voran projektorientiertes und inklusives Lernen, bei dem die Schülerinnen und Schüler Erfahrungen sammeln, Problemlösungskompetenzen entwickeln und kritisches Hinterfragen geschult wird. Auch die inklusive Bildung erachte ich als besonders wichtig, denn die jungen Menschen sollten Vielfalt als Normalität begreifen. Eine große Herausforderung stellt die Aufgabe dar, inklusive Bildung mit dem Arbeitsmarkt zu verbinden. Hier sollten die Systeme des Arbeitsmarktes durchlässiger werden und Vielfalt als Chance begreifen. Zu guter Letzt erachte ich soziales und emotionales Lernen als sehr wichtig, damit junge Menschen emotionale Fähigkeiten entwickeln können, soziale Beziehungen aufzubauen und lernen, einen gesunden Umgang mit Stress und Konflikten zu entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch.
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TEXT Sophie Blady, Kristina Krijom
FOTO Sophie Blady