Mehr Roboter im Alltag?

Mehr Roboter im Alltag?

Das Leben mit künstlicher Intelligenz – heute und in Zukunft

Computerprogramme schlagen ihre menschlichen Gegner längst beim Schach, Sprachassistenten beantworten unsere Fragen und Suchmaschinen sortieren für uns die Welt. Künstliche Intelligenz gehört längst zu unserem Alltag. Wie wir mit ihr schon heute umgehen, wie sie die Welt besser macht und welche Gefahren sie birgt, erklärt Professor Jürgen Tchorz von der Technischen Hochschule Lübeck.
Wir sprechen viel über Künstliche Intelligenz – auch ohne ganz genau zu wissen, was eigentlich dahintersteckt. Was verstehen Sie als Forscher unter Künstlicher Intelligenz?

Ich wünschte, es gebe darauf eine kurze und eindeutige Antwort. Aber selbst in der Psychologie ist der Begriff der Intelligenz nicht eindeutig gefasst. Ich glaube, es hilft vielleicht von schwacher und starker künstlicher Intelligenz zu sprechen. Eine schwache Künstliche Intelligenz kann klar definierte Probleme unseres täglichen Lebens lösen. Sie erkennt unsere Sprache und beantwortet Fragen, sie filtert SPAM-Mails heraus oder liefert passende Antworten auf unsere Suchanfragen. Eine starke künstliche Intelligenz könnte dagegen selbst Entscheidungen treffen, größere Ziele verfolgen und ganz verschiedene Arten von immer neuen Problemen lösen. Von ihr sind wir noch weit entfernt. Vielleicht wird es sie niemals geben.

Wo in unserem Alltag begegnet uns schon heute Künstliche Intelligenz?

Wenn wir etwas im Internet suchen, liefert die KI von Suchmaschinen wie Google oder Bing die passenden Treffer. Auch die Empfehlungen von Streamingdiensten wie Netflix, YouTube oder Spotify basieren auf unseren Seh- oder Hörgewohnheiten, analysiert von künstlicher Intelligenz. Gleiches gilt für Empfehlungen beim Onlineshoppen. Viele von uns nutzen auch Sprachassistenten wie Siri oder Alexa. Auch dahinter steckt KI, die das Gesagte erkennt, interpretiert und eine passende Antwort liefert oder den Musikwunsch abspielt.

Die meisten KI-Anwendungen lernen stetig dazu und verbessern sich. Wie funktioniert das?

Das Lernen ist ein wichtiger Teil von Künstlicher Intelligenz. Wir sprechen dabei auch vom maschinellen Lernen. Das ist kein neuer Ansatz, die Grundlagen dafür sind bereits viele Jahrzehnte alt. Der Durchbruch kam allerdings erst durch immer leistungsfähigere Rechner und die immer schnellere Verarbeitung von immer mehr Daten. Sie sind nämlich der Schlüssel für maschinelles Lernen. Nur durch immer mehr Informationen lernt Künstliche Intelligenz dazu. Ein Beispiel ist der Spam-Filter. Mit jeder E-Mail, die ich bekomme, lernt der Filter mehr über für mich seriöse Absender und verdächtige Textbausteine. So kann der Filter zuverlässiger SPAM ausfindig machen. Gleiches gilt auch für Sprachassistenten. Die lernen immer mehr über uns und unsere Stimme und können immer besser antworten. Ein tolles Beispiel für ganz anders lernende KI sind Schachcomputer. Früher wurden sie mit den Daten von alten Schachpartien gefüttert. Inzwischen lernen sie selbständig dazu, indem sie gegen sich selbst spielen. Heute kann die Programme kein menschlicher Spieler mehr schlagen – selbst Weltmeister sind chancenlos.

Ein wichtiges Thema der digitalen Welt ist ‚Mündigkeit‘. Man sollte idealerweise die neuen Möglichkeiten nicht nur anwenden, sondern auch verstehen. Wie kann ich Künstliche Intelligenz besser verstehen?

Ein erster Schritt dazu ist aus meiner Sicht die Erkenntnis, wo überall in unserem Alltag Künstliche Intelligenz genutzt wird und welchen Einfluss sie hier hat. Wenn ich mir bewusst bin, dass Suchmaschinen oder Video-Empfehlungen auf persönlichen Informationen und Algorithmen basieren, kann ich vielleicht auch mit meinen Daten besser umgeben und leichter entscheiden, wann ich sie preisgebe und wann nicht. Maschinelles Lernen in all seinen technischen Details zu verstehen, ist für Laien oft ziemlich schwierig. Gut vermitteln lässt sich dagegen einen Grundverständnis für Programmiersprachen und Algorithmen – auch an Kinder und Jugendliche.

Um junge Menschen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern, wurde vor 15 Jahren an der Technischen Hochschule Lübeck der JuniorCampus gegründet. Welche Angebote in Sachen Programmiersprachen oder Robotik gibt es dort?

Wir wollen den Kindern und Jugendlichen mit einfachen Mitteln die Grundlage von Programmiersprachen und Algorithmen näherbringen und das möglichst spielerisch. Zum Glück gibt es dafür viele tolle Angebote. In wenigen Schritten und mit Symbolen statt komplizierten Code-Zeilen können selbst Grundschülerinnen und Grundschüler schon einfache Spiele erstellen oder einen kleinen Roboter bauen, der sich dank Sensoren durch ein Labyrinth bewegt. Früher musste man sich für solche Programme noch sehr gut mit Technik auskennen. Heute geht das quasi ohne größere Vorkenntnis – vor allem dank immer mehr Robotik-Baukästen auf dem Markt. Deutlich schwieriger zu programmieren sind wirkliche KI-Anwendungen. Dafür gibt es auch noch keine, kindgerechten Lernkästen. Aber vielleicht ändert sich das ja in den nächsten Jahren noch. Aber auch schon jetzt macht ein grundlegendes Verständnis von Algorithmen und Programmiersprachen junge Menschen zu mündigeren Nutzern in der digitalen Welt.

Roboter sind ein gutes Stichwort. Durch mein Wohnzimmer saugt und wischt inzwischen ein Roboter. Das ist aber erst der Anfang. Wie weit sind wir noch echten Haushaltsrobotern und treuen Robo-Begleitern entfernt?

Ich glaube, wir werden in Zukunft mehr Roboter im Alltag erleben, allerdings nicht wie in Filmen wie Star Wars. Zum Beispiel könnten Roboter in der Alten- und Krankenpflege die Pflegekräfte unterstützen. Sie könnten bei schweren körperlichen Tätigkeiten wie dem Umlagern von Menschen helfen oder einfache Arbeiten wie die Ausgabe von Essen und Trinken übernehmen. Auch Modellversuche, in denen eine Roboter-Robbe demenzkranken Menschen emotionale Nähe gegeben hat, waren sehr erfolgreich. Wir werden Roboter aber auch in anderen Bereich unseres Lebens sehen. Zum Beispiel könnten sie uns durch Einkaufszentren leiten oder Bestellungen im Restaurant aufnehmen. Das wird sicher in den nächsten Jahren noch mehr werden. Worauf wir noch etwas warten müssen, sind echte Begleiter im Alltag.

Professor der TH Lübeck und Experte für künstliche Intelligenz, Jürgen Tchorz

Ihr Spezialgebiet ist unter anderem die Akustik. Wie groß waren denn die Fortschritte in Sachen Spracherkennung durch KI?

Spracherkennung war über Jahrzehnte eine harte Nuss, an der viele Experten verzweifelt sind. Inzwischen sind wir da viel weiter und können eigentlich sagen, dass automatische Spracherkennung nicht weit weg von menschlichen Fähigkeiten ist. Das ist eine rasante Entwicklung. Auch die automatische Übersetzung von Gesprochenem oder Geschriebenen wird immer besser. Vor ein paar Jahren haben wir uns noch alle über die Übersetzungsprogramme und ihre kruden Vorschläge lustig gemacht. Heute gibt es automatische Simultanübersetzer für Videokonferenz-Programme.

Werden wir also bald nicht mehr unterscheiden können, ob wir mit einer Maschine oder mit einem Menschen sprechen?

Ich hatte unlängst eine Frage zu meiner Autoversicherung. Antworten bekam ich auf der Webseite des Versicherers im Chat mit einem Mitarbeiter. Ich bin mir aber bis heute nicht sicher, ob ich wirklich mit einem Menschen geschrieben habe oder mit einem Chatbot, also einem KI-Programm. Das funktioniert auch im Gespräch. Google hat unlängst einen automatischen Terminservice für Restaurants und Friseure getestet. Die Menschen haben am Telefon mit einer künstlichen Intelligenz gesprochen und Termine vereinbart. Der Unterschied war kaum hörbar, die automatische Stimme hat sogar Denkpausen eingelegt und ‚Äh oder ‚Mh mitgesprochen, um natürlicher zu wirken. In solchen Services steckt großes Potential, weil wir bald nicht mehr für jedes kleine Problem lange in der Hotline warten müssen, sondern immer prompt eine Lösung bekommen.

Im menschlichen Gespräch sind Emotionen ein wichtiger Faktor. Wie gut ist KI darin, Emotionen zu erkennen?

Es gibt tatsächlich viele Projekte, die an der automatischen Erkennung und Interpretation von menschlichen Emotionen arbeiten und dort große Fortschritte machen. Darin steckt großes Potential für die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen. Zum Beispiel könnte eine automatische Stimme an der Hotline auf verärgerte Kunden ganz anders reagieren als auf entspannte Anrufer. Auch Sprachassistenten könnten erkennen, wenn es uns gut oder schlecht geht und entsprechend reagieren.

Wir haben jetzt über KI in der Freizeit oder dem Service gesprochen. Gibt es denn auch noch Anwendungsgebiete, die nicht nur unseren Alltag erleichtern, sondern auch die Welt ein Stückchen besser machen könnten?

Ein gutes Beispiel dafür sind Anwendungen in der Medizin. Künstliche Intelligenz und die schnellere Auswertung des immensen Wissens der modernen Medizin kann in Zukunft dabei helfen, schneller Medikamente zu entwickeln oder Diagnosen zu stellen. Zum Beispiel ließen sich die Wirkungen der einzelnen Medikament-Inhalte besser voraussagen und sich so schneller Wirkstoff-Kandidaten ausmachen. Bei komplizierten Diagnosen könnten Computerprogramme Ärzten dabei helfen, ähnliche Fälle in der Fachliteratur zu finden und damit neue Ideen für eine Behandlung zu bekommen. Das würde vor allem Patienten mit sehr seltenen Erkrankungen helfen. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Auswertung von CT- oder Röntgenbildern. Hier müsste man nicht mehr „nur“ auf den fachkundigen Blick eines Arztes vertrauen. Eine Künstliche Intelligenz könnte mit Hilfe von sehr vielen Daten darauf trainiert werden, Tumore oder andere krankhafte Veränderungen auf den Bildern zu entdecken. Ganz wichtig: Es geht nicht darum Ärzte zu ersetzen, sondern sie besser bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

In vielen Science-Fiction-Filmen oder -Büchern wird die Künstliche Intelligenz irgendwann zum Feind des Menschen. Müssen wir davor Angst haben?

Ich glaube, wir müssen keine Angst haben, dass Maschinen in absehbarer Zeit die Weltherrschaft an sich reißen. Aber es gibt durchaus KI-Anwendungsbereiche, die strenge Regeln der Anwendung brauchen, weil sie in den falschen Händen große Schäden anrichten können. Ein solcher Bereich ist das Erkennen von Menschen und anderen Objekten. Für sie gibt es unzählige sinnvolle Anwendungen. Zum Beispiel funktioniert das autonome Fahren von Autos nur durch Kameras und das Sammeln von Informationen. Aber es gibt es kritische Anwendungen – zum Beispiel, wenn Staaten jeden Schritt ihrer Bürger überwachen. Gleiches gilt auch für die Nutzung von technologischem Fortschritt für die Entwicklung von Kampfdrohnen und -roboter, die autonom töten. Wir müssen dringend darüber diskutieren, was Künstliche Intelligenz darf und was nicht. Immerhin betrifft sie immer mehr Bereiche unseres Alltags und dafür braucht es eben klare Regeln und Gesetze. Auch deshalb sollten wir Kinder und Jugendliche früh mit den Themen Programmierung und Algorithmen in Kontakt bringen. Mit besserem Grundverständnis für die digitale Welt können sie sich selbst an den ethischen Debatten kompetent beteiligen. Immerhin betrifft es ihre Zukunft.

JuniorCampus Experiment

Über Jürgen Tchorz:

Jürgen Tchorz studierte Physik in Oldenburg und Galway. Nach einigen Jahren in der Hörgeräteindustrie wechselte er 2005 an die Technische Hochschule Lübeck. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Audiologie und der Signalverarbeitung für Hörsysteme. Als Leiter des JuniorCampus liegt ihm am Herzen, junge Menschen für Naturwissenschaft und Technik zu begeistern. Der JuniorCampus der TH Lübeck führt pro Jahr durchschnittlich mehr als 250 Veranstaltungen mit über 8000 Kita-Kindern sowie Schülerinnen und Schülern aus Lübeck und Umgebung durch.

TEXT Birk Grüling
FOTOS TH Lübeck