Kommt jetzt Power ins Parlament? Ein Interview mit Jakob Blasel

Kommt jetzt Power ins Parlament? Ein Interview mit Jakob Blasel

Jakob Blasel (20) aus Kronshagen bei Kiel ist einer der Gründer der deutschen Protestbewegung „Fridays for Future“ (FFF). Jetzt will der Klimaaktivist und Jurastudent für die Grünen in den Bundestag, um dort mit anderen jungen Abgeordneten für das entscheidende Thema seiner Generation zu kämpfen: den Klimaschutz! Ein unaufschiebbares Ziel in einer politischen Landschaft, die bei der Umsetzung von Gegenmaßnahmen in der Vergangenheit Vieles hat schleifen lassen. Das möchte Jakob Blasel ändern und dort mitreden, wo die Entscheidungen getroffen werden. Für ihn ist Klimapolitik und Engagement mehr als eine Herzensangelegenheit, und er sieht diese Wahl als die letzte Chance, die drohende Katastrophe noch aufhalten zu können. Er möchte die Power, die er auf der Straße erlebt hat, ins Parlament bringen – hat allerdings auch schon Erfahrungen mit schwerfälligen politischen Strukturen gemacht…

ME2BE hat nach einem ersten Interview vor zwei Jahren zum Thema FFF nun kurz vor der Wahlentscheidung wieder mit ihm gesprochen.

Herr Blasel, noch eine Woche bis zur Bundestagswahl. Wird das jetzt die aufregendste Woche Ihres Lebens?

Das wird auf jeden Fall eine sehr aufregende Woche, aber ich schaue jetzt nur noch nach vorne und gebe alles dafür, dass wir ein gutes Ergebnis in unserer Region einfahren. Letztendlich entscheiden die Wählerinnen und Wähler am 26. September – ich bin sehr gespannt.

Sie sind bekannt geworden mit Fridays for Future, aber noch länger Mitglied bei den Grünen. Sie kennen also beide Seiten ganz gut. Was ist für Sie der größte Unterschied zwischen Bürgerbewegung und etablierter Politik?

Ich denke, dass Bürgerbewegung und Protest viel mehr Fragen stellt und Politik viel mehr Antworten geben muss, als es manchmal möglich erscheint. Das ist das Schwierige. In der Politik geht es um die Bündelung vieler Interessen. Als Privatperson kann ich mich, wenn ich beispielsweise auf die Klimapolitik wütend bin, in einer Bewegung dafür engagieren, dass es besser läuft, und muss nicht auf alle Interessensgruppen innerhalb der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Das ist in der Politik ganz anders.

Die Pariser Klimaziele zu erreichen, wenn möglich sogar zeitlich zu unterbieten, ist eine der Hauptforderungen der Grünen. Was genau bedeutet das für den Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde, in dem Sie antreten?

Hier vor Ort ist es unser Ziel, ein deutliches Wachstum der Windbranche und die damit verbundene Schaffung von mehr Arbeitsplätzen zu erreichen. Gerade vom Ausbau der erneuerbaren Energien können der Klimaschutz und wir in der Region stark profitieren. Zusätzlich muss sich in Fragen der Mobilität Vieles bewegen. Als Bewohner eines ländlichen Raums sind viele Menschen mangels Alternative mit dem Verbrenner-Auto unterwegs. Das muss sich schnell ändern. Dafür müssen sich aber einerseits die Angebote des öffentlichen Verkehrs dahingehend verändern, dass man ohne eigenes Auto von A nach B kommt, und andererseits muss die Ladeinfrastruktur ausreichend ausgebaut werden, damit die Antriebswende Richtung E-Autos vorangetrieben wird.

Haben Sie in diesem Zusammenhang auch spezielle Ideen für pendelnde Studenten und Azubis?

Auch hier muss es mehr Angebote geben. In den meisten Bundesländern gibt es Tickets zur kostenlosen Beförderung von Studenten und teilweise auch für Auszubildende. Leider profitieren meist nur die davon, die in einer Stadt leben. Diejenigen, die auf dem Land wohnen, haben das Nachsehen. Das ist unfair! Es sollte ein kostenloses Ticketsystem für Auszubildende oder FSJler (Freiwilliges Soziales Jahr) geben, die nicht die gleichen Privilegien wie Studierende haben. Der ÖPNV muss also deutlich besser werden, und gleichzeitig müssen die direkten Lademöglichkeiten an Ausbildungsstätten und Unis ausreichend vorhanden sein.

In unserem Interview 2019 vor dem Abitur konnten Sie sich auch noch ein Freiwilliges Soziales Jahr vorstellen oder eine Tätigkeit in einer Non-Government-Organisation oder bei einer nachhaltig wirtschaftenden Firma – nun ist es Jura geworden?

Das sind auch heute noch alles Möglichkeiten, die mich interessieren. Ich trete momentan zur Bundestagswahl an, und sollte ich gewählt werden, übernehme ich diese Aufgabe für die nächsten vier Jahre. Aber mein Leben ist ja damit nicht zu Ende, und nichts ist in Stein gemeißelt. Wie es dann weitergeht, wird man sehen. Einen genauen Plan habe ich noch nicht.

Der Anteil an Akademikern im Bundestag überwiegt laut einer Studie der Zeitung ‚Die Welt‘. Derzeit sind allein 147 der über 700 Abgeordneten Juristen. Ist das für eine Volksvertretung Ihrer Meinung nach repräsentativ?

Zunächst mal trete ich nicht als Jurist, sondern als Vertreter einer jungen Generation an, die über entscheidende Probleme unserer Zukunft mitentscheiden will. Dass es im Bundestag viele Juristen gibt, finde ich grundsätzlich logisch. Im Bundestag wird Recht geschrieben, und von daher ist eine Expertise von Rechtswissenschaftlern notwendig. Was ich aber glaube, ist, dass im jetzigen Bundestag verschiedene Perspektiven fehlen. Mit Perspektiven meine ich die Sichtweisen von zum Beispiel mehr jungen Menschen, von Frauen oder von Menschen mit Migrationsgeschichte. Hier ist es Aufgabe der Parteien, diversere Listen für die Wahlen aufzustellen. Wir als Grüne stellen zur Hälfte Frauen auf, und auch die Jungen bekommen, wie man unter anderem an mir sieht, ihre Chance. Im Bundestag sollte es nicht darum gehen, was die Leute gelernt haben, sondern dass alle Menschen, die sich für Staat und Gesellschaft einsetzen möchten, ihre Meinungen und Interessen vertreten können.

Viele Ihrer Mitstreiter und Mitstreiterinnen bei Fridays for Future werfen den Grünen vor, selber schon viel zu etabliert zu sein. In Baden-Württemberg zum Beispiel werden nach fast zehn Jahren grüner Regierung bundesweit mit die wenigsten Windkrafträder gebaut. Was entgegnen Sie dann?

Erstmal ist es ja nichts Schlechtes, wenn wir mit grünen Ideen ‚etabliert‘ sind. Aber dann muss ja auch was passieren, und gerade in Baden-Württemberg hat man gemerkt, dass die Umsetzung der Klimaziele durch Koalitionspartner gelitten hat. Aber wenn ich mir die Beschlüsse im jüngsten Koalitionsvertrag von 2021 zwischen den Grünen und der CDU ansehe, verspricht dieser – gerade im Klimabereich – viel Bewegung. Die Idee, den Staatswald mit für den Ausbau der Windkraft zu nutzen, um die festgelegten Ausbauziele für die Windenergie schneller zu erreichen, finde ich beispielsweise super.

Wie treten Sie Zeitgenossen gegenüber, die offenbar gar nicht mehr zu erreichen sind? Etwa Querdenkern oder Klimawandelleugnern?

Politik und Gesellschaft lebt meiner Meinung nach von einem engen Austausch, so dass auch Menschen, selbst wenn Sie nicht einer Meinung sind, doch zumindest die unterschiedlichen Positionen nachvollziehen können. Mir ist es viel wichtiger mit allen, die vielleicht skeptisch, aber trotzdem gesprächsbereit sind, im Austausch zu bleiben. So lässt sich Verständnis füreinander gewinnen. Wer sich aber vom Diskurs abkapselt, wie es Klimawandelleugner und Querdenker tun, ist anscheinend nicht mehr bereit, in den Dialog zu gehen. Da haben wir in der Politik zum Glück die Möglichkeit, keine Konsens- sondern Mehrheitsbeschlüsse zu treffen und damit die Mehrheit mitzunehmen.

Gab es in Ihrer Schule auch Querdenker oder Klimaleugner?

In meiner Schule kannte ich niemanden, der den Klimawandel oder Corona geleugnet hat. Meiner Erfahrung nach sind die Leugner eher unter den älteren Menschen zu finden, und da wird gerade im Bereich Klimakrise leider ein Generationenkonflikt deutlich.

Es sieht nicht nach einem Erdrutschsieg für die Grünen aus, sondern nach einem Regierungsbündnis. Das heißt, Kompromisse – auch frustrierende – sind an der Tagesordnung. Wie gehen Sie mit diesen Kompromissen um?

Es geht ums große Ganze nicht um meine selbstgesteckten Ziele. Es geht um irdische Grenzen unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns und darum, dass diese Grenzen zum Wohle aller eingehalten werden müssen. Das muss einfach zur Selbstverständlichkeit werden. Und falls das nicht klappt, werde ich sicherlich einen Umgang damit finden müssen, aber das darf aus meiner Sicht nicht passieren, ansonsten steht meine Zukunft und die meiner ganzen Generation auf der Kippe.

Wir als Ausbildungsportal können uns die Frage nicht verkneifen: Sollten Sie Ihren Wahlkreis gewinnen, wären Sie so etwas wie ein ,Berufspolitiker‘. Für immer als Job erstrebenswert oder doch lieber das Studium parallel fortsetzen?

Falls ich es in den Bundestag schaffe, werde ich mich in dieser Zeit nicht auf mein Studium konzentrieren. Das halte ich für falsch. Mit einer Wahl habe ich das Mandat übernommen, mich für die Gesellschaft einzusetzen. Das ist eine Verpflichtung, der ich nachkommen möchte. Ich sehe mich aber auch nicht als Berufspolitiker, sondern eher als Interessensvertreter einer Generation und einer politischen Richtung. Ob man dafür ein Leben lang im Parlament sitzen muss, wage ich zu bezweifeln, und das könnte ich mir auch ehrlich gesagt nicht vorstellen.

Sie haben sich schon früh engagiert und damit Weichen gestellt. Was raten Sie jüngeren Leuten, wenn sie das Bedürfnis haben, sich ebenfalls zu engagieren?

Wenn man sich gesellschaftlich engagieren will, gibt es – je nach Interessenslage – unglaublich viele verschiedene Orte und Institutionen. Es gibt lokale Vereine für den kulturellen Austausch, ehrenamtliches Engagement wie bei der freiwilligen Feuerwehr oder auch die Möglichkeit in einer Partei mitzumachen. Für mich war es eine gute Sache und ein guter Ort, um Politik hautnah zu erfahren und mir einen Einblick zu verschaffen.

Eine weitere Option sind natürlich auch soziale und gesellschaftliche Bewegungen. Sei es Fridays for Future, andere Umweltschutzorganisationen oder die ‚Seebrücke‘, die sich für menschenrechtsbasierte Migrationspolitik einsetzt.  Die Bandbreite der Möglichkeiten ist groß und ein Engagement, egal in welcher Hinsicht, halte ich für junge Menschen gewinnbringend.

Danke für das Gespräch. Wir bleiben am Thema dran und wer weiß, vielleicht führen wir das nächste Gespräch mit Ihnen als Kanzlerkandidat?

 

TEXT Anja Nacken
FOTO Sven Brauers