Der Erde droht eine Katastrophe, und die Mächtigen in Politik und Wirtschaft machen: nichts – oder jedenfalls zu wenig, um den Planeten zu retten. So sehen es zumindest hunderttausende Schüler weltweit und gehen unter dem Motto Fridays for Future für eine konsequentere Klimapolitik auf die Straße. Mit ihren wöchentlichen Schulstreiks hat die globale Jugendbewegung durchaus das Potential, die Gesellschaft zu verändern – und zwar grundlegend, nachhaltig und mit Blick für nachfolgende Generationen.
Sie sind hochmotiviert, international vernetzt und sehen keine Alternative: Seit Wochen gehen Schülerinnen und Schüler weltweit jeden Freitag auf die Straße anstatt in die Schule. Mit kreativem Protest und einer klaren Botschaft kämpfen sie für eine andere, eine konsequentere Klimapolitik. Mittlerweile haben die wöchentlichen Schulstreiks über 100 Länder erfasst und junge Menschen zwischen Buenos Aires und Tokio, zwischen Turin und Kiel mobilisiert. Die Botschaft, die sie vor die Parlamente tragen, ist dabei so einfach wie eindeutig: Tut endlich was, bevor es für uns zu spät ist! Wenn die Klimapolitik nicht endlich ernst genommen wird, gibt es für nachfolgende Generationen keine lebenswerte Zukunft mehr. Wozu dann noch zur Schule gehen?
Wie kam es zu den Protesten?
Die Geschichte der Fridays-for-Future-Proteste ist vor allem die Geschichte von Greta Thunberg. Die schwedische Schülerin setzte sich als damals 15-Jährige am 20. August 2018 erstmals vor das Parlament in Stockholm. Mit ihrem Streik wollte sie für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens protestieren. Mit ihrem selbstgebastelten Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik für das Klima) sorgte sie schnell für mediale Aufmerksamkeit. Nach kurzer Zeit schlossen sich der Tochter einer Opernsängerin und eines Schauspielers weitere Schüler an, erst in schwedischen Gemeinden, dann auch in anderen Ländern. Mittlerweile ist die junge Klimaschutzaktivistin das Gesicht der weltweiten Initiative.
Unterstützung von der prägenden Figur der Bewegung: Greta Thunberg (Mitte) bei einer Fridays-for-Future-Demonstration in Berlin.
Greta Thunberg als gefragter Gast
Mit dem Anwachsen der Protestbewegung wuchs auch das Interesse an ihrer Person. Greta Thunberg ist ein gefragter Gast auf Veranstaltungen rund um das Thema Umweltschutz und Klimaentwicklung. Ein Video ihrer Rede vor der UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice im Dezember 2018 trendete in den Sozialen Netzwerken. Es inspirierte Schüler überall auf der Welt dazu, sich den Protesten für einen engagierteren Klimaschutz anzuschließen.
Ich möchte, dass ihr in Panik geratet. Ihr sollt die Angst spüren, die ich jeden Tag spüre.
Greta
Ihren Besuch auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar nutzte die junge Schwedin mit den markanten Zöpfen, um den versammelten Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Botschaft nahezubringen: Die Klimakrise sei „die größte und komplexeste Herausforderung, der die Menschheit je gegenüber stand“. Dabei sei die Lösung so einfach, dass sie jedes Kind verstehen könne: „Wir müssen den Ausstoß von Treibhausgasen stoppen.“ Je größer die Organisation, desto größer sei auch die Verantwortung. „Ich möchte, dass ihr in Panik geratet. Ihr sollt die Angst spüren, die ich jeden Tag spüre. Und ich möchte, dass ihr handelt“, sagte Greta in ihrem Appell.
Die Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland
Auch in Deutschland nimmt die Bewegung immer mehr Fahrt auf. Die Zahl der Schüler, die Woche für Woche dem Unterricht fernbleiben, wächst stetig. Sie tragen die Debatte von der Straße in die Klassenzimmer und an die Esstische der Familien. Dass eine als unpolitisch verschriene Generation plötzlich mit der Wucht jugendlicher Euphorie den Aufstand probt, rüttelt offenbar auch viele Erwachsene wach. Mit den „Parents for Future“ und den „Teachers for Future“ haben sich jetzt auch erste Eltern und Lehrer organisiert, um die Schülerproteste zu unterstützen. Weiteren Auftrieb erhalten die Klimaaktivisten durch eine Erklärung von rund 12.000 Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie unterstützen die Forderung der Demonstranten und sagen: „Wir sind die Profis und wir sagen: Die junge Generation hat recht.“
Doch es gibt nicht nur Befürworter der wachsenden Klimaschutzbewegung. Mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und FDP-Chef Christian Lindner haben sich die ersten Spitzenpolitiker medienwirksam gegen die jungen Demonstranten gestellt. Das Echo auf ihre Twitter-Kritik an Fridays for Future und Greta Thunberg fiel deutlich negativ aus. Der Angriff der Politprofis dürfte den Protestlern eher weiteren Zulauf beschert haben.
Denn eines haben die streikenden Schüler deutlich gemacht: Weder warme Worte noch Spott werden sie zurück in den Unterricht treiben. Das hat auch Wirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) zu spüren bekommen, der vor den Demonstranten eine Rede halten wollte – und eine Abfuhr erhielt. Er möge doch lieber ins Büro zurückkehren und seine Arbeit machen. Die Kundgebungen wären schließlich hinfällig, wenn er seine politischen Hausaufgaben zuvor richtig gemacht hätte.
Weltweite Jugendbewegung
Dass die Proteste innerhalb weniger Monate zu einer weltumspannenden Jugendbewegung werden konnten, hat viel mit der Klarheit ihrer Botschaft zu tun. Während die mutmaßlichen Folgen des Klimawandels seit Jahren bekannt sind und zunehmend sichtbar werden, verliert sich die Politik in Debatten, langfristigen Maßnahmen oder ignoriert die offensichtlichen Gefahren schlicht. Die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung sind dagegen unmissverständlich. Die Schüler nehmen die Sache jetzt in die Hand und wollen die Generation ihrer Eltern und Großeltern dazu zwingen, die drängenden Probleme endlich anzugehen.
Wir erwarten von Politikern und allen anderen Entscheidungsträgern, sich bedingungslos für den Klimaschutz einzusetzen
Jakob
Um ihre Ziele durchzusetzen, organisieren sich die jungen Menschen weltweit vor allem über Messenger-Dienste wie WhatsApp und Telegram. In Deutschland ist Jakob Blasel (18) aus Kronshagen an der Spitze der Bewegung dabei. Der angehende Abiturient gehört mit der Göttinger Studentin Luisa Neubauer (22) und dem Schüler Linus Steinmetz (15) zur den Hauptorganisatoren der Schülerstreiks in Deutschland. „Wir erwarten von Politikern und allen anderen Entscheidungsträgern, sich bedingungslos für den Klimaschutz einzusetzen“, sagte Jakob. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern will er die Proteste fortsetzen „bis endlich gehandelt wird und bis es einen verbindlichen Klimaschutzplan gibt, dessen Ziele auch eingehalten werden.“
Alles nur für einen freien Vormittag?
Obwohl die Gefahren des Klimawandels mittlerweile weiten Teilen der Gesellschaft bewusst sind, wird die Debatte über Fridays for Future oft an einer Frage festgemacht: Dürfen die jungen Menschen vom Unterricht fernbleiben, um für ihre politischen Ziele zu streiken? Die rechtliche Antwort hat Landesbildungsministerin Karin Prien (CDU) für die Schüler in Schleswig-Holstein bereits gegeben: Wer streikt, fehlt unentschuldigt. Eine verständliche Entscheidung für die oberste Bildungsverantwortliche im Land. Aber welchen Wert hätten die Proteste ohne den Regelbruch? Braucht wirksamer Widerstand vielleicht ein gewisses Maß an Ungehorsam? Zumindest ist die Debatte über die Schulpflicht geeignet, die eigentliche Diskussion um den Klimawandel zu überlagern: Wer darüber streitet, ob das Fernbleiben vom Unterricht gerechtfertigt ist, muss sich inhaltlich nicht mit dem Kernproblem befassen.
Sie machen das nicht nur für einen freien Vormittag: Schüler bei der Fridays-for-Future-Demo in Berlin.
Doch gerade für Politiker könnte es sich als Bumerang erweisen, wenn sie die Protestbewegung auf eine Frage des Schulrechts reduzieren. Wer annimmt, dass sich die streikenden Schüler unter dem Deckmantel des Klimaschutzes einen freien Vormittag erschleichen wollen, unterschätzt die Energie der Fridays-for-Future-Bewegung. Offenbar erkennt gerade eine Generation, dass sie es selbst in die Hand nehmen muss, die globale Herausforderung des Klimawandels in den Fokus zu rücken. Und hier liegt auch das Potential, das Fridays-for-Future zu einer prägenden Initiative dieser Zeit machen könnte: Es betrifft jeden Einzelnen – aber die Jungen ganz besonders.
TEXT Lutz Timm
FOTOS Florian Kolmer