Dass er einmal Lehrer werden würde, hätte Marc Perry in seiner Jugend noch nicht gedacht. Weder als er in der zwölften Klasse ein fünfminütiges Gespräch mit einem Berufsberater führte, noch als er während seiner darauffolgenden Bankenlehre im Anzug am Schalter stand. Nur, dass er diesen Beruf nicht bis zur Rente ausüben möchte, das fühlte er bereits damals. Die Zeit bei der Bundeswehr ermöglichte ihm den nötigen Abstand, um über seinen beruflichen Werdegang zu reflektieren und so wurde der Entschluss, Lehramt zu studieren, geboren. Heute möchte Marc Perry Schülerinnen und Schülern eine möglichst breit gefächerte Berufsorientierung bieten und hat auf der diesjährigen JobNight einen bunten Strauß regionaler Betriebe eingeladen. So können sich die jungen Besucherinnen und Besucher dieses Mal auf über siebzig Aussteller freuen, Kontakte knüpfen und sich beruflich inspirieren lassen. Mit ME2BE sprach der engagierte Beauftragte für die Berufs- und Studienorientierung über die aktuelle Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die Vielfalt der Berufsorientierung an der Gemeinschaftsschule Bredstedt und die kommende Ausbildungsmesse.
Den Bereich Berufsorientierung verantworten Sie schon geraume Zeit. Was macht einen guten BO-Unterricht aus?
Guter BO-Unterricht ist begleitet von möglichst vielen Praktika. Am Ende der Stufe Sieben durchlaufen die Schülerinnen und Schüler einen Stärkenparkours. Dabei werden anhand eines Stationstrainings individuelle Stärken und Schwächen identifiziert. In Stufe Acht besuchen wir die Werkstatttage der Bildungsarbeitswerkstatt. Dort lernen die Jugendlichen binnen zehn Tagen drei Berufe kennen. Zum Ende der achten Klasse gibt es ein einwöchiges Praktikum, in der neunten Klasse wartet ein zweiwöchiges Praktikum und sehr viele Schülerinnen und Schüler entscheiden sich zusätzlich für ein freiwilliges Praktikum. Praxisnähe und konkrete Einblicke in den beruflichen Alltag sind enorm wichtig. Daher stellt Berufsorientierung fast ein eigenes Fach innerhalb des WiPo-Unterrichts dar.
Der Arbeitsmarkt hat sich stark gewandelt – so auch Bewerbungsverfahren. Bereiten Sie Schülerinnen und Schüler heute anders auf die Berufswelt vor?
Früher haben wir den klassischen Bewerbungsablauf mit Lebenslauf, Anschreiben und beigefügten Dokumenten gelehrt und geübt. Hinzugekommen ist das Bewerbungsverfahren per E-Mail. Große Unternehmen der Region arbeiten mit dieser Methode. Kleine Unternehmen, beispielsweise einige Handwerksunternehmen der Region, rechnen noch eher mit der analogen Bewerbung oder man schaut einfach persönlich bei ihnen vorbei. Bei vielen Betrieben ist ein Praktikum jedoch Voraussetzung. Wenn die Chemie stimmt, erhalten viele am Ende des Praktikums den Rat, noch ein freiwilliges Praktikum anzufügen oder eine Bewerbung für einen Ausbildungsplatz abzugeben. Inzwischen erwarten viele Betriebe auch schon für ein Praktikum eine Bewerbung. Diese Entwicklung befürworte ich.
Durch die Digitalisierung werden auch weiterhin Berufe wegfallen, andere werden entstehen. Ist das ein Thema im BO-Unterricht?
Vor Kurzem behandelten wir das Thema Mittelalter und in diesem Zusammenhang auch alte Berufe wie Schuster und Kürschner, die (fast) ausgestorben sind. Da haben wir auch über derlei Entwicklungen in der heutigen digitalen Zeit gesprochen. Gerade während des Praktikums nimmt man ein wachsendes Interesse an Schülerinnen und Schülern wahr, die in den IT- und Medienbereich reinschauen. Wir haben an der Schule auch ausgebildete Medienscouts, junge Menschen, deren Aufgabe es beispielsweise ist, Senioren die Scheu vor dem Smartphone zu nehmen oder sie im Umgang mit Tablets zu schulen.
Warum ist BO-Unterricht noch so wichtig in Zeiten, in denen Unternehmen geradezu um Auszubildende buhlen?
Die Zeiten können sich auch wieder ändern. Viele Jugendliche sind sich jedoch bewusst, dass sie es heute leichter haben, einen Ausbildungsplatz zu finden als zu anderen Zeiten. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass sie gedanklich die Arme verschränken, ihnen ihre Noten egal sind und sie denken, eine Ausbildung falle ihnen in den Schoß. Zudem ist die Anzahl an Unternehmen und Ausschreibungen unübersichtlich und kann überfordern. Das macht uns umso dankbarer für die vielen Praktika, in denen sich die Schülerinnen und Schüler erproben können. Auch unsere Berufsberaterin steht fast wöchentlich mit ihrer Expertise für Fragen zur Verfügung und wird vielfach aufgesucht.
Aufgrund des wachsenden Angebots an Ganztags- und Offenen Ganztagsschulen verbringen Schülerinnen und Schüler immer mehr Zeit in der Schule. Wen sehen Sie beim Thema Berufsorientierung in der Pflicht? Die Schule oder das Elternhaus?
Ich empfinde Berufsorientierung als gemeinsame Aufgabe. Die Zusammenarbeit mit den Eltern gestaltet sich gut. Auch mit den Betrieben arbeiten wir erfolgreich zusammen und stehen in engem Kontakt. An unserer Schule empfinde ich im Bereich BO ein gutes Zusammenspiel von Eltern, Betrieben, Lehrerinnen und Lehrern und wir finden fast immer eine Lösung. Seit dem Jahr 2006 bin ich an dieser Schule tätig, zwei Jahre später übernahm ich den BO-Unterricht. Seitdem hat sich viel getan. Damals gab es ein Betriebspraktikum in Stufe Neun und davor und danach gab es nichts. Auch das Thematisieren im Unterricht war punktuell und nicht so breit gefächert wie heute. Heute findet Berufsorientierung vom ersten bis zum letzten Schultag statt. In den Schulen hat das Thema deutlich an Relevanz gewonnen, so auch von Seiten des Bildungsministeriums. Dieses sieht Berufsorientierung als eine permanente Säule des Unterrichts.
Wie verorten Sie die Messe im BO-Gefüge?
Die JobNight stellt neben den Praktika, dem Stärkenparkours und der Zusammenarbeit mit der Bildungsarbeitswerkstatt eine von vielen wichtigen Säulen dar. In der Region sind wir damals die erste Schule gewesen, die eine solche Messe ins Leben gerufen hat. Dieses Jahr freuen wir uns auf über siebzig Aussteller. Angefangen habe ich damals mit vierundzwanzig Betrieben. Jede Branche sucht Nachwuchskräfte und wir erhalten sogar E-Mail-Anfragen von Unternehmen, die nach Auszubildenden suchen. Unsere Zehntklässler waren dieses Jahr sehr früh mit Ausbildungsplätzen versorgt.
Wie bereiten Sie die Schülerinnen und Schüler auf so viele Aussteller vor?
Da hat sich in den letzten Jahren ein Automatismus eingestellt. Die Schule ist für die meisten Jugendlichen ihr zweites Zuhause, sodass die Hemmschwelle, in diesen Räumlichkeiten auf jemanden zuzugehen, geringer ist als auf einer Messe außerhalb der Schule. Im Außenbereich stellt sich die Kreishandwerkerschaft vor, ein Müllunternehmen fährt mit einem LKW vor, ein Landschafts- und Gartenbauunternehmen kommt mit einem Baumkletterer, der eine Baumkrone ein wenig stutzen wird. Auch die Polizei und der Rettungsdienst stellen sich vor. Die Schülerinnen und Schüler wissen, welches Unternehmen wo steht und wer wo Workshops zu Ausbildungsberufen anbietet, die sie interessieren. Im Unterricht erhalten sie vorher einen Fragebogen, um sich gezielt auf den Kontakt mit drei, vier Betrieben vorzubereiten. Die Messe ist ein zwangloses Aufeinandertreffen, das von den Schülerinnen und Schülern sehr gut angenommen wird. Auch Eltern und Großeltern sind herzlich eingeladen und bis einundzwanzig Uhr sind die Stände stets gut besucht. Wir laden auch Nachbarschulen aus Husum und Niebüll ein und sehen auf der JobNight regelmäßig ehemalige Schülerinnen und Schüler – entweder als Auszubildende auf Seiten der Betriebe oder weil sie eine weiterführende Schule besuchen.
Wie sah Ihre eigene Berufsorientierung aus?
Meinen Berufsberater habe ich damals in der zwölften Klasse fünf Minuten gesprochen. Ich habe dann auf meine Eltern gehört, die mir rieten, eine Banklehre zu absolvieren. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich den Beruf nicht bis zur Rente ausüben möchte. Bei der Bundeswehr hatte ich Zeit, nachzudenken und so schloss ich mit Mitte Zwanzig das Lehramtsstudium an. Ich bewundere Kinder, die mit vierzehn Jahren wissen, welche Ausbildung sie machen möchten und bin froh, ihnen mit Hilfe eines engagierten Teams mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Mein persönlicher Reifeprozess hat gedauert, aber ich bin auch froh um die Erfahrung der kaufmännischen Ausbildung, denn sie war sinnvoll und keine vertane Zeit.
Heute findet Berufsorientierung vom ersten bis zum letzten Schultag statt.
Dieser Artikel ist in der JobNight 2023 erschienen. Hier geht es zum E-Paper!
Mehr zur Gemeinschaftsschule Bredstedt: Eine erste Einschätzung des neuen BO-Lehrers Marcel Möller
TEXT Sophie Blady / Kristina Krijom
FOTO Reinhard Witt