Willkommen, Welcome, ласкаво просимо

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Yana (17) aus Kiew und Lea (17) aus Handewitt über grenzenlose Freundschaft

Alle Stimmen verstummen. 36 Augen richten sich auf Yana. Die Neue in der 11c. Denn das 17-jährige Mädchen mit den nussbraunen Haaren, die in leichten Wellen ihre Schultern bedecken, ist nicht nur neu – sie bringt auch eine Geschichte mit, die ihre zukünftigen Mitschüler bislang nur aus den Nachrichten kennen: Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Hund Dusia floh sie aus der Ukraine, um sich vor den russischen Bomben in Sicherheit zu bringen.

Flucht

Bereits zwei Wochen nach Kriegsbeginn entschieden sich Yana und ihre Mutter dazu, ihre Heimatstadt Kiew zu verlassen. „Die Situation war sehr bedrohlich, also suchten wir im Internet nach einer Familie, die uns in ihrem Haus aufnehmen konnte. Wir fanden eine Anlaufstelle in Flensburg, die uns eine Wohnung bei einem jungen Ehepaar vermittelte und machten uns mitten in der Nacht mit Bus und Bahn auf die Reise. Eine Reise ohne Rückfahrtticket, eine Reise ohne ihren 30-jährigen Bruder und ihren Vater. Denn Männer sind nicht befugt, das Land zu verlassen. Sie werden gebraucht für einen Krieg, der keine Kompromisse kennt.

Wie gefährlich die Überfahrt nach Deutschland tatsächlich war, erzählt Yana erst auf Nachfrage. Sie erinnert sich, dass ganz in der Nähe des Bahnhofes eine Bombe einschlug und sie große Angst hatten, im Bahnhof übernachten zu müssen, da alle Züge ausfielen. Doch sie hatten Glück. Nach drei endlosen Stunden des Wartens und Bangens kam ein Zug und brachte sie über Polen in den nördlichsten Zipfel Deutschlands. „Keine große Sache”, fügt sie lächelnd hinzu.

Neuanfang in der 11c

Nicht einmal einen Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland betritt Yana den Klassenraum der 11c der Siegfried-Lenz-Schule in Handewitt. „Als der Lehrer mich den anderen Schülerinnen und Schülern vorstellte, hatte ich Angst, in die fremden Gesichter zu blicken. Ich war nervös, weil ich nicht wusste, wie sie darauf reagieren, dass ich aus der Ukraine komme. Über mein Schicksal zu sprechen, machte mir keine Angst. Viel mehr Sorgen bereitete mir, dass die anderen Hemmungen haben könnten, Fragen zu stellen und mich daher meiden könnten.”

Wie die Schülerinnen und Schüler der 11c die Ankunft von Yana wahrgenommen haben, erfahren wir von Lea: „Wir waren gar nicht auf unsere neue Mitschülerin vorbereitet. Als unser Lehrer in der ersten Stunde die Klasse betrat und Yana vorstellte, war ich daher sehr aufgeregt. Yana ist direkt mit einem Lächeln in die Klasse gekommen und hat uns angeboten, Fragen zu stellen, damit nahm sie uns viele Hemmungen.

Bisher hatte ich nur über die Medien von den geflüchteten Familien aus der Ukraine gehört. Dieses Mädchen verkörperte all die Geschichten, die Bilder und Nachrichten, die ich in den letzten Wochen mit Schrecken über den Krieg in der Ukraine vernommen habe. Als ich erfuhr, dass sie neben mir sitzen würde, hatte ich tatsächlich eine Gänsehaut.”

Schule ist Leben

Nachdem die erste Aufregung verflogen war, gewöhnt sich Yana schnell in ihrer neuen Klasse ein und lernt nicht nur ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, sondern auch viele Besonderheiten der deutschen Kultur kennen. Positiv fällt ihr das freundliche Miteinander ihrer Klassenkameradinnen und -kameraden auf. „Zur Schule zu gehen, ist für mich sehr wichtig, um andere Kinder kennenzulernen und ein Stückchen Normalität zurückzugewinnen”, erklärt Yana. Wann sie zurück in ihre Heimat reisen wird, weiß sie nicht. Der Krieg hat ihr gezeigt, dass die Zukunft unberechenbar ist. „Ich mache keine Pläne mehr. Ich überlege nicht, wann wir zurückkehren können. Ich lebe im Moment und versuche ihn trotz Unsicherheit und der großen Sorge um meinen Vater und meinen Bruder zu genießen.”

TEXT Sophie Blady

FOTOS Sebastian Weimar