Das Nordlicht Ove Petersen und den Bayer Heinrich Gärtner verbinden gleich mehrere Stränge: die Landwirtschaft, das Studium und die Faszination für Energie. Seit mehr als 13 Jahren leiten sie gemeinsam einen der innovativsten Player auf dem deutschen Energiemarkt – und suchen ständig neue Hände, die anpacken und die Energiewende umsetzen.
Wer auf den Hof von GP Joule im schleswig-holsteinischen Reußenköge fährt, könnte meinen, er sei auf einem gewöhnlichen Bauernhof gelandet. Zwischen Feldern und Windrädern, kurz vor der Waterkant, ragen gelb gestrichene Stallungen auf, dahinter ein grün bedachter Silo und silbern glänzende Schornsteine. Wer genau hinschaut, dem fallen vielleicht die vielen Elektrofahrzeuge auf, die an dicken Kabeln hängen. Und wer zwischen den Gebäuden hindurch läuft, erkennt spätestens jetzt: Das ist keine gewöhnliche Landwirtschaft.
Die Schweineställe wurden zu schicken Büros umgebaut. Es könnten auch hippe Co-Working-Spaces in Hamburg oder Berlin sein. Über die langen Gänge eilen junge Männer und Frauen, unterwegs zum nächsten Meeting. Hier und da eine loungige Ecke, Körbe mit Obst, Automaten, die Kaffee-Spezialitäten zaubern, Bilder von Windturbinen, Photovoltaikanlagen oder Biogaskraftwerken schmücken die Wände. Gerade erst wurde eine großzügige Mensa eingeweiht – hell, einladend.
In Reußenköge wird unmissverständlich klar, wo die Wurzeln von GP Joule liegen: in der Landwirtschaft. Genauso einleuchtend wird hier, worum es heute geht: Regenerative Energie in all ihren Facetten. „Wir sind mittlerweile rund 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hier in Reußenköge“, sagt Gründer Ove Petersen.
Wurstpappentag
Heinrich Gärtner und Ove Petersen, die beiden Gründer, lernten sich Anfang der 2000er-Jahre an der Fachhochschule Weihenstephan in Bayern kennen. Dort studierten sie Agrarwissenschaften. Auf ihren Höfen in Reußenköge und Buttenwiesen bei Augsburg hatten sie bereits Photovoltaik-Projekte umgesetzt – und teilten eine Vision: „100 Prozent erneuerbare Energie für alle. Also für die Industrie, den Verkehr und die Gesellschaft“, sagt Petersen.
2009 beschlossen die beiden, ihr Wissen und ihre Erfahrung zu bündeln, und gründeten GP Joule: G für Gärtner. P für Petersen. Und Joule? Na klar, das ist die international gültige Einheit für Energie.
Dass die beiden Humor haben, beweisen sie alljährlich am „Wurstpappentag“. Die Gründer entwarfen ihre Geschäftsidee am Augsburger Bahnhof – und notierten die wesentlichen Zahlen auf einer Wurstpappe. „Ausgiebig feiern tun wir das nicht. Aber wir erinnern uns gern daran, es ist ein schöner Anker für uns, wie wir gestartet sind“, sagt Petersen.
Im Zentrum geht es natürlich um Energie. „Allerdings bedeutet die Energiewende für uns sehr viel mehr als Strom!“, ergänzt Petersen. „Es geht auch um Wärme, Wasserstoff und Mobilität. Alle Bereiche unseres Lebens und Arbeitens müssen mit Energie aus erneuerbaren Quellen versorgt werden. Das ist das Ziel.“ Letztlich ist es ein Credo. Und das klingt regelrecht poetisch: Wenn Du etwas erhalten willst, musst Du etwas verändern. „Wenn man an der Küste wohnt und als Kind bei Sturmflut die Gischt schon über die Deichkrone spritzen gesehen hat, dann gibt einem das viel Motivation für die Energiewende.“
Schlag auf Schlag
Das Unternehmen startet beeindruckend: 2010 werden Solar- und Biogasanlagen mit einer Gesamtleistung von über 100 Megawatt (MW) installiert. Im Jahr darauf entsteht mit 140 MW der damals größte Solarpark Deutschlands. Und zwar auf der Abraumhalde eines ehemaligen Braunkohletagebaus im ostdeutschen Meuro.
2012 geht der erste von GP Joule geplante Windpark ans Netz. Zeitgleich entstehen erste Solarparks in Italien und Frankreich. Die Expansion setzt sich fort: Kanada und USA kommen hinzu, später Irland. Dort werden ebenfalls Solarparks konzipiert, realisiert und betrieben.
Es folgen weitere Windkraft-Projekte. Etwa der Bürgerwindpark Wittbek in Schleswig-Holstein. Seit September 2015 ist der Park am Netz, GP Joule stellt den kaufmännischen und technischen Betrieb der vier Windräder sicher.
Dann kommt die Wärme hinzu: Im bayerischen Mertingen installiert GP Joule 2017 eine Großwärmepumpe und ein Nahwärmenetz. Auch dies ein Projekt mit Pioniercharakter, das mit seinem deutschlandweit einzigartigen Ansatz von sich reden macht: Die Großwärmepumpe wird direkt mit Strom aus einem Solarpark gespeist.
Mobilität und Wasserstoff
Später folgen Mobilitätsprojekte, inklusive ganzer Fahrzeugflotten und der dazugehörigen Ladeinfrastruktur. Teils sogar mit zukunftsweisendem Wasserstoff. So vereinbart man bei Europas größtem Küchenhersteller „Nobilia“ am Standort im nordrhein-westfälischen Verl 2022, gemeinsam mit GP Joule eine emissionsfreie Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen, inklusive Wasserstoffproduktion, Tankstelle und Fahrzeugbereitstellung.
Das Argument, dass Wasserstoff zu aufwendig in der Herstellung sei, lässt Petersen nicht gelten: „Bisher müssen wir noch viel zu oft Wind- und Solaranlagen abstellen, weil das Netz überlastet ist. Da geht viel Energie verloren, die wir viel besser nutzen könnten. Wasserstoff ist also kein Luxusgut wie Champagner. Er ist eher wie Leitungswasser: unkompliziert und absolut notwendig.“
Energiewende-Macher
So viel Engagement braucht viele gut ausgebildete Menschen. Die Jobprofile im Unternehmen sind vielfältig. Entsprechend werden Fachkräfte mit unterschiedlichen Qualifikationen gesucht. Für den Bereich Personalentwicklung ist bei GP Joule Petra Scherweit zuständig: „Wir bieten Praktika in kaufmännischen und technischen Berufsfeldern an. Zudem vergeben wir immer wieder Abschlussarbeiten, sowohl im Bachelor als auch im Master.“ Auch Werkstudentinnen und -studenten können sich in vielen Unternehmensbereichen etwas dazuverdienen. Und neuerdings könne man in Kooperation mit der Nordakademie Elmshorn auch ein duales Studium im Fach Wirtschaftsingenieurwesen absolvieren.
Qualifizierte junge Menschen findet das Unternehmen auf unterschiedlichen Wegen: „Wir haben gute Kontakte zu umliegenden Schulen, Unis und Hochschulen. Wir sind auf Messen präsent und besuchen Schulklassen direkt an der Schule, um sie über die Berufsbilder zu informieren. Zudem schalten wir klassische Anzeigen in Printmedien und nutzen Social-Media, um auf uns aufmerksam zu machen. Aktuell haben wir neun Azubis im Unternehmen und 67 Praktikantinnen und Praktikanten sowie Werkstudentinnen und -studenten“, sagt Scherweit.
Den Mitarbeitern etwas bieten
Damit die jungen Leute an die Waterkant kommen, legen sich die Nordlichter ganz schön ins Zeug. Viele der Mitarbeitenden wohnen an entlegenen Orten oder in der Nähe von größeren Projekten. Sie freuen sich über die Flexibilität, die ihnen GP Joule bietet. Das Unternehmen hat zudem Büros in größeren Städten wie Flensburg, Augsburg, Hamburg oder Berlin. „Schon vor Corona war es bei uns möglich, von zuhause aus zu arbeiten und nur für zwei bis drei Tage ins Büro zu kommen“, sagt Petersen. Diejenigen, die von weiter weg kommen, können in Reußenköge im Gästehaus übernachten.
Überhaupt sei Teamkultur wichtig, betont Petersen: „Wir gestalten unsere Büroräume bewusst so, dass man gern hierherkommt, um zu arbeiten und sich auszutauschen. Gleichzeitig unterstützen wir unterschiedliche Arbeitsmodelle mit Remote Work und Vertrauensarbeitszeit, damit jeder möglichst so arbeiten kann, wie er oder sie es sich wünscht. Und dann bleiben wir in Kontakt über das Intranet, über einen internen Podcast und bei firmenweiten Zusammenkünften wie Konferenzen oder Feiern. Das schafft eine gute Verbindung. Darüber hinaus ermöglichen wir unseren Mitarbeitenden Zugang zu deutschlandweit 8000 Fitness- und Wellnessmöglichkeiten, es gibt ein Fahrradleasing und aktuell testen wir die 36-Stundenwoche. So können wir unsere offenen Stellen bisher sehr gut besetzen.“
Sektoren koppeln
Das Hauptziel bleibt die Vernetzung der Sektoren, um eine umfassende Dekarbonisierung zu erreichen. Zu diesem Zweck gründete GP Joule die Sparte „Connect“, in der sich alles um Elektromobilität und Ladelösungen dreht. Das revolutionäre Wasserstoffprojekt „eFarm“ wird vorangetrieben – und 2022 mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet.
E-Farm ist Deutschlands größtes nachhaltiges Wasserstoff-Mobilitätsprojekt, realisiert im Verbund mit 19 weiteren Gesellschaftern. Die Ziele sind:
- gemeinschaftliches, nachhaltiges Wirtschaften
- gemeinsam Grünen Wasserstoff produzieren und vermarkten
- erneuerbare Energien systemdienlich speichern und effizient nutzen
- Akzeptanzförderung für erneuerbare Energien dank lokaler Wertschöpfung.
GP Joule-Gründer Petersen ist stolz darauf: „E-Farm ermöglicht es uns, eine komplette Wertschöpfungskette aus erneuerbaren Energien aufzubauen und diese für alle in der Region direkt nutzbar und erlebbar zu machen. Wir schaffen zusätzliche Wertschöpfung vor Ort. Das stärkt die Akzeptanz für den weiteren Ausbau von Windkraft und Solarenergie und zeigt, dass alle in der Region direkt von der Energiewende profitieren können.“
Im Rahmen des Projekts „eFarm“ entstehen in der Nähe bestehender Windparks zwischen Husum und Niebüll fünf Wasserstoff-Produktionsstandorte mit mehr als einem MW Gesamtleistung. Zudem zwei Wasserstoff-Tankstellen. Auf die Straße kommen zwei Brennstoffzellenbusse für den öffentlichen Nahverkehr und 30 Brennstoffzellen-PKW. Im Laufe des Jahres soll das Projekt ausgebaut werden und die Anzahl der Fahrzeuge steigen.
Back to the Roots
Für Petersen liegt das alles auf der Hand – und führt ihn gewissermaßen zurück zu seinen Wurzeln: „Der Name eFarm baut die Brücke zur Landwirtschaft, in der genossenschaftlich Milch erzeugt wird. Hier machen wir das mit Wasserstoff. Im Vordergrund steht das gemeinsame Wirtschaften.“
Aktuell beteiligt sich GP Joule an einem der größten Solarparks Deutschlands: in Klettwitz in der Lausitz, einem Ort, der einst für die Braunkohleförderung bekannt war. Diesmal wird die Anlage eine Leistung von beeindruckenden 300 MW erzeugen.
Die GP Joule Gruppe wächst stetig, ohne dabei ihre Ursprünge zu vergessen. Die beiden Hauptsitze der Gruppe befinden sich nach wie vor auf den Höfen der Gründer in Nord-und Süddeutschland. Allerdings hat sich die Art und Weise, wie neue Mitarbeiter begrüßt werden, dann doch der neuen Zeit angepasst: „Auch das Onboarding hat zunehmend an Bedeutung gewonnen, seit wir jeden Monat rund 30 neue Mitarbeitende bei uns begrüßen dürfen“, sagt Petersen.
Fit für die Zukunft
Und laufend entstehen zwischen Reußenköge im Norden und Buttenwiesen im Süden neue Ideen und Projekte. Aktuell plant man auch die Industrie miteinzubeziehen und einen flexiblen Stromtarif anzubieten. Gleichzeitig sollen die großen Betriebe mit ihren großen Verbräuchen als Speicher genutzt werden und in Zeiten knappen Stromangebots ausgleichend dienen, etwa indem Kühlhäuser gedrosselt gefahren werden oder indem Warenhäuser als Stromlieferant fungieren, indem sie kinetische Energie zur Stromerzeugung nutzen.
Während die ersten Solaranlagen, die von Gärtner und Petersen geplant wurden, weiterhin Energie liefern, bietet GP Joule inzwischen die Möglichkeit, sich an der Energiewende zu beteiligen. Im Rahmen eines Crowd-Investings kann jeder mitmachen – und gleichzeitig profitieren, sagt Petersen: „Wir wollen die Menschen mitnehmen und beteiligen.“
TEXT Daniel Hautmann
FOTO GP Joule