„Schule kann nur gut sein, wenn sie sich stets weiterentwickelt.“ – Ein Gespräch mit Ute Freund, Schulleiterin an der Hans-Brüggemann-Schule

„Schule kann nur gut sein, wenn sie sich stets weiterentwickelt.“ – Ein Gespräch mit Ute Freund, Schulleiterin an der Hans-Brüggemann-Schule

Ute Freund leitet seit sechs Jahren die Hans-Brüggemann-Schule. Neben ihrem Unterricht treibt sie vor allem eines um: die zukunftsweisende Weiterentwicklung der Hans-Brüggemann-Schule. Wir von ME2BE haben mit ihr über Projekte, Schulzertifizierungen und die sich verändernden Herausforderungen heutiger Lehrkräfte gesprochen.

Frau Freund, wie sind Sie an diese Schule gekommen?

Ich beschritt einen klassischen Weg. So bin ich siebzehn Jahre lang an einer Gemeinschaftsschule mit Oberstufe in Pinneberg tätig gewesen. Danach war ich fünf Jahre an einer Schule in Neumünster. Und heute bin ich Schulleiterin der Hans-Brüggemann-Schule.

Was bringen die bevorstehenden baulichen Veränderungen?

Der Neubau ist für die Jahrgänge neun und zehn vorgesehen und ist der erste nachhaltig errichtete Schulbau in Schleswig-Holstein. Er erhält auch noch eine Photovoltaikanlage, ein Gründach, verfügt über viele Grünflächen, eine moderne Lüftungsanlage und setzt sich aus recyceltem Beton und der alten Eingangsfassade zusammen, die neu eingebaut wird.

Wie haben Sie selbst Schule als Schülerin wahrgenommen, und was hat sich verändert?

Meine eigene Schullaufbahn passt dazu, weshalb ich Verfechterin der Gemeinschaftsschule bin. In der Grundschule mussten wir damals noch einen Test schreiben, zu dem ich jedoch wenig Lust verspürte. Meine generellen Noten waren gymnasiale Noten, doch der Test sagte aus, ich solle eine Hauptschule besuchen. So schickten mich meine Eltern auf die Realschule, und danach wechselte ich auf ein Gymnasium. Doch die Akzeptanz war gering, leider wurde ich aufgrund meines Realschulabschlusses von den Lehrkräften gehänselt. Das hat mich geprägt. Die damaligen Lehrkräfte, die guten wie die weniger guten, motivierten mich letztlich dazu, selbst Lehramt zu studieren. Ich konnte damals lediglich ein zweiwöchiges Praktikum absolvieren, und zusätzliche Berufsorientierung gab es an meiner Schule nicht. Daher schätze ich heute die Anzahl an Praktika, die Schülerinnen und Schüler bei uns erleben und den vielfältigen Berufsorientierungsunterricht.

Mit welcher Vision sind Sie die Schulleitung angetreten?

Das ist letztendlich meine Vision: eine gute Schule für jedes Individuum zu leiten. Für mich gibt es nur ein Schulsystem und das ist nicht dreigliedrig, sondern eine Gemeinschaftsschule mit Oberstufe, auf der man von Klasse fünf bis dreizehn jeden und jede individuell fördern und fordern kann.

Warum ist Sport an Schulen heutzutage so wichtig?

Einmal aufgrund des gesundheitlichen Aspekts, aber auch wegen des Integrationsaspekts. Allem voran während der Flüchtlingswelle im Jahr 2015, aber auch heute, leistet der Sport einen ganz erheblichen Beitrag. Denn gerade im Sport, fällt Integration besonders leicht. Dazu gehört Bewegung ebenso wie das soziale Miteinander. Für mich müsste es die tägliche Sportstunde an Schulen geben. Es gibt immer mehr Kinder mit Adipositas – hier könnte eine tägliche Sportstunde als Ausgleich dienen. Zudem könnte ein solches Angebot Kinder und Jugendliche dazu animieren, am organisierten Sport zu partizipieren.

Was verbindet Sie persönlich mit dem Thema Sport?

Sport ist mein Leben. Ich unterrichte Sport und Geschichte; beides habe ich in Kiel für das Lehramt an Gymnasien studiert. Viele Jahre lang habe ich Handball gespielt, bin geschwommen und trainiere seit dreißig Jahren eine Show-Akrobatikgruppe, mit der ich an Weltmeisterschaften teilnehme. Tätig bin ich auch im Vorstand des Landessportverbandes als Beisitzerin für Gleichstellung.

Welches Schulfach würden Sie sich zusätzlich wünschen?

Neben der täglichen Sportstunde würde ich regelmäßige, fächerübergreifende Berufsorientierungsstunden ab Jahrgangsstufe fünf begrüßen. Auch mehr Praktika und ein Netzwerk zu hiesigen Unternehmen würde ich sinnvoll finden. An unserer Schule haben wir vor Kurzem ein Ehrenamtsengagement eingeführt. Das sieht vor, dass alle Schülerinnen und Schüler einmal pro Halbjahr ein ehrenamtliches Engagement ausüben. Sei es, dass sie eine AG besuchen, im Chor singen, ein Musikinstrument lernen oder dass die Älteren den Jüngeren mit der Hausaufgabenhilfe unterstützen. Es wäre wünschenswert, dass solche Tätigkeiten im Schulalltag fest verankert wären. Denn wenn man sich unsere gesellschaftliche Entwicklung ansieht, sind dieses Miteinander und das Füreinander-da-sein ganz wichtig.

Was verbinden Sie mit der Hans-Brüggemann-Schule?

Unser Leitmotiv ‚Wir sind bunt’ leben wir. Jede und jeder soll sich hier wohlfühlen und alle sollen nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten den für sie bestmöglichen Abschluss machen. Mit der Schule verbinde ich auch ein starkes soziales Miteinander. Wir fördern und fordern alle Schülerinnen und Schüler mit dem Ziel, dass sie sich zu engagierten, selbstbewussten jungen Menschen entwickeln. Deshalb sind wir Schule mit Courage, Schule gegen Rassismus und Zukunftsschule für Nachhaltigkeit. Wir müssen etwas für den Klimaschutz tun und legen daher großen Wert auf das Siegel Schule für Nachhaltigkeit. Besonders freuen wir uns in diesem Zusammenhang, über den ersten nachhaltig gebauten Schulneubau in Schleswig-Holstein zu verfügen – er besteht aus recyceltem Beton, der gar nicht so leicht zu bekommen war. Unsere Schule trägt zudem das Berufswahlsiegel, was bedeutet, dass uns sehr am Herzen liegt, für jeden Schüler und jede Schülerin bis zum Abschluss, ob ESA, MSA oder Abitur, den richtigen Weg für die Zeit danach zu finden.

Wie schaffen Sie es, all diese Themen in der Schule unterzubringen?

Unsere Schule besitzt ein unheimlich engagiertes Kollegium. Hier hat jeder sein Steckenpferd und unterstützt unsere Leitideen. Schule kann nur gut sein, wenn sie sich stets weiterentwickelt. Daher ist Schulentwicklung eines unserer Hauptthemen. Von der Schulleitung können nur Impulse kommen – getragen werden müssen diese von allen. Ich glaube, wir sind eine hervorragende Schulgemeinschaft, die viel auf den Weg bringt. Auch die Eltern und die starke Schülerschaft mit einer engagierten SV gehören. Nur, wenn alle gemeinsam die Schule weiterentwickeln, kann sie Lern- und Lebensort sein. Immerhin halten wir uns die meiste Zeit des Tages hier auf.

Wie profitieren die Schülerinnen und Schüler von der Schule?

Für viele bietet die Durchlässigkeit des Gemeinschaftsschulsystems eine große Chance. Denn als Schülerin oder Schüler beginnt man in Klasse fünf und entwickelt sich. Viele kommen ohne eine gymnasiale Empfehlung zu uns und legen später dennoch ein gutes oder sogar sehr gutes Abitur ab. Bei uns gibt es spezielle Wahlmöglichkeiten. So beginnt man in Klasse sieben – je nach Neigung – nicht zwangsläufig mit der zweiten Fremdsprache, sondern kann stattdessen die Fächer Technik, Darstellendes Spiel oder Bewegung und Gesundheit wählen. Wenn man sich dann weiterentwickelt und doch das Abitur anstrebt, kann man immer noch im neunten Jahrgang im WPU 2 oder auch im elften Jahrgang die zweite Fremdsprache belegen. Das ist ein Vorteil gegenüber Gymnasien, in denen die Kinder ab Jahrgang sieben die zweite Fremdsprache lernen müssen. Bei uns kann man zwischen Spanisch und Französisch auswählen. Wenn einem beispielsweise Mathematik nicht so liegt, kann man hier auf einem niedrigeren Anforderungsniveau lernen und in anderen Fächern auf einem höheren. Und dennoch besteht die Möglichkeit, in die Oberstufe zu wechseln. Das Niveau kann man nicht nur jährlich, sondern letztlich bei jeder Klausur und jedem Test ändern. Wenn wir merken, das Kind kann mehr, ermutigen wir es aktiv, die sogenannte Drei-Sterne-Aufgabe anzugehen. Ein Schulwechsel ist immer ein frustrierendes Erlebnis, dem die Gemeinschaftsschule mit Oberstufe vorgreift. Man hat immer wieder aufs Neue Chancen, den individuell besten Abschluss zu erreichen und das ist es, was die Gemeinschaftsschule auszeichnet.

Was muss die Schule heute alles leisten, welche Aufgaben sind hinzugekommen?

Schule ist definitiv keine reine Wissensvermittlung. Sie hat leider immer mehr Erziehungsaufträge, da die Eltern das nicht mehr leisten können. Sie muss auf das Berufsleben vorbereiten, soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit vermitteln. Nach Corona haben viele unter sozialer Einsamkeit gelitten, die wir als Schule auffangen müssen. Und das neben den mannigfachen Verwaltungstätigkeiten, die wir auch leisten. Wir sollen und wollen die Eltern einbinden, aber auch Unternehmen. Unsere Schulsozialarbeit ist voll ausgelastet, und wir sind eine Schule mit offenem Ganztagsangebot. Die ganztägige Betreuung von Kindern spielt eine immer größere Rolle, das gilt auch für das Thema Integration. Wir sind DaZ-Zentrum mit aktuell drei DaZ-Basisklassen, mit Kindern, die keinerlei Deutschkenntnisse mitbringen, teilweise Analphabeten sind oder vorher nie eine Schule besucht haben. Auch das ist heute eine Aufgabe der Schule. Bei der ersten Welle der Ukraine-Flüchtlinge haben wir die Eltern am Nachmittag zudem in Deutsch unterrichtet.

Warum kommen der Schule heute mehr Aufgaben zu als früher?

Viele Aufgaben hatte sie schon immer, aber wir leben heute in Krisenzeiten: Von der Energiekrise bis hin zu Kriegen und Konflikten gibt es viele Herausforderungen, die sich durch die Medien und die sozialen Medien ganz anders verbreiten als früher. Zu meiner Schulzeit haben die Eltern auf weltpolitische Ereignisse hingewiesen und wenn sie dies nicht taten, bekam man sie als Schüler und Schülerin kaum mit. Auch mit dem Einzug der KI wird sich die Schule samt ihrer Aufgabenstellungen wieder verändern müssen.

Wie reagiert die Hans-Brüggemann-Schule auf die digitale Transformation?

Der Digitalpakt wird bei uns zu hundert Prozent umgesetzt. Alle Klassen- und Fachräume sind mit digitalen Tafeln ausgestattet, wir haben mehrere Sätze Laptops und iPads, und alle Lehrkräfte verfügen über ein mobiles Endgerät. Zudem sind wir Pilotschule für Informatik, und viele Lehrkräfte unseres jungen Kollegiums haben sich in diesem Bereich schulen lassen. Informatik wird zum nächsten Schuljahr zu einem zwei Wochenstunden umfassenden Pflichtfach von Klasse sieben bis zehn, ebenso wie das Fach WiPo.

Gibt es im Kollegium einen Konsens, was die Nutzung von KI betrifft?

Bei uns herrscht der Konsens, dass KI samt ihrer Chancen und Herausforderungen mit den Schülerinnen und Schülern problematisiert werden muss. Um eine Nutzung von KI kommt man nicht herum, jedoch muss man der Schülerschaft beibringen, wie KI zu nutzen ist, dass sie nicht frei von Fehlern ist. Die Herausforderung für die Lehrkräfte besteht hingegen darin, die Aufgabenstellungen so zu formulieren, dass KI sinnvoll nutzbar ist.

Wie kann Schule junge Menschen auf den Arbeitsmarkt von morgen vorbereiten, wenn sich die Anforderungsprofile von Berufen ändern?

Es geht noch immer um die Vermittlung von Kompetenzen, nur verschieben sich diese. Es geht nicht mehr um das Auswendiglernen von Geschichtszahlen, stattdessen müssen Schülerinnen und Schüler wissen, wo man Informationen findet, wie man Zusammenhänge erkennt und komplexe Anwendungen versteht. Das sind heute neben Grundkenntnissen in kanonischen Fächern die wichtigsten Inhalte. Die jungen Menschen auf den Arbeitsmarkt von morgen vorzubereiten, ist ein ständig fließender Prozess.

Sie sind Pilotschule für Informatik, auf der anderen Seite haben Sie eine herausragende Bibliothek. Wie nutzen Sie diese beiden Pole?

Wir sind stolz auf unsere Bibliothek. Sie bietet auch Belletristik, doch in erster Linie ist sie eine Fachbuchbibliothek. Wir haben die wechselnde Lesestunde eingeführt, das bedeutet, jede Klasse im Jahrgang fünf bis sieben einmal pro Woche eine Lesestunde hat, in der ein Buch gelesen wird, das die Fachschaft Deutsch vorgibt. In Bezug auf die heutige Lesekompetenz gibt es teilweise enormen Handlungsbedarf. Doch die Bibliothek verfügt auch über Filme und Hörbücher. Informatikanwendungen und analoge Buchkultur müssen meiner Ansicht nach parallel genutzt werden, und es gilt, keines von beiden auszugrenzen. Ich erachte die Lesekompetenz vermittelt durch Bücher noch immer als genauso wichtig wie die Nutzung digitaler Medien. Unsere Bibliothek verfügt für Recherchen auch über mobile Endgeräte.

Ihre Schule engagiert sich in vielen Projekten und verfügt über einige Siegel. Gibt es ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Besonders liegen mir unsere Schulbienen und die Imkerei am Herzen. Die jungen Schülerinnen und Schüler lernen durch sie das Imkern kennen, die älteren Schülerinnen und Schüler den Vertrieb, indem sie den Honig verkaufen. Auch unser Schulhund, der beruhigend auf bestimmte Kinder wirkt, ist mir wichtig. Unsere Schülerzeitung schätze ich ebenso wie den Chor, bestehend aus Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften, Eltern und Ehemaligen. Unsere Schulmensa bietet zweimal die Woche über das Projekt Schüler für Schüler eine Salatbar. Unsere älteren Schüler laden die jüngeren auch regelmäßig zu Abenteuertagen ein, und es gibt die MINT-Tage für Kinder aus der Grundschule. Einmal im Jahr findet unser Aktionstag für Courage und gegen Rassismus statt. Wir pflegen schöne Traditionen und fördern Innovationen, die unsere Schule zu einem angenehmen Lern- und Lebensraum machen.

Wie wichtig ist Ihnen der internationale Austausch mit anderen Schulen?

Es gibt einen regelmäßigen Schüleraustausch mit unseren Partnerschulen in Lettland, Frankreich und neuerdings Chile. Zukünftig planen wir zudem einen Austausch im englischsprachigen Raum. Dieses Heraustreten aus der Komfortzone und Entdecken anderer Kulturen gehört zum Leben dazu, und die Globalisierung macht da einiges möglich.

TEXT Sophie Blady, Kristina Krijom
FOTO Caren Detje