Lehrerin Julia Westphal erzählt, wie sie Kinder stark machen will
Julia Westphal, Lehrerin für Deutsch und Biologie, ist die Präventionsbeauftragte an der Goethe-Gemeinschaftsschule. Prävention – das heißt zunächst einmal Aufklärung und Vorbeugen. Um was für eine Art von Gefahr es sich dabei handeln kann? Das hängt immer davon ab, was die Lebensrealität in der Schule sowie außerhalb der Schule den Kindern abverlangt. Mal geht es um Mobbing und das Sozialverhalten untereinander in der Klasse. Dann aber auch um Gesundheitsthemen, um Suchtprävention und auch um sehr schlimme Dinge wie häusliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch.
Frau Westphal, was macht eine Präventionsbeauftragte? Wofür sind Sie zuständig?
Ich bin jetzt seit 2010 an der Goethe-Gemeinschaftsschule und habe das Amt der Präventionsbeauftragten seit etwa 10 Jahren inne. Der Begriff Prävention ist – insbesondere für die Schülerschaft – nicht ganz so griffig. Daher zur Erklärung: Wir bringen die Schülerinnen und Schüler mit Themen in Kontakt, die für sie relevant sind oder die für sie relevant werden könnten. Mit dieser Aufklärungsarbeit möchten wir sie nicht nur für die Zeit in der Schule stark machen, sondern ihre Resilienz auch für Situationen außerhalb der Schule und für die Zeit danach schulen.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Uns liegt natürlich zunächst mal das aktuelle Wohl unserer Schülerinnen und Schüler sehr am Herzen.
Also das, was die Kinder im Hier und Heute miteinander erleben. Prävention kann da ganz viel bewerkstelligen und vor allen Dingen bewirken. Als ich diesen Posten übernahm, habe ich mit Tobias Blank, unserem Schulsozialarbeiter, ein Präventionskonzept entwickelt, das sich für unsere Schülerschaft stimmig anfühlt. Tobi und ich arbeiten da ganz eng zusammen. Er als Sozialpädagoge nimmt nochmal eine ganz andere Rolle ein. Die Kontaktaufnahme zu ihm ist für die Kinder absolut freiwillig. Er unterliegt zudem einer Schweigepflicht. Und ich komme eben von der schulischen Seite her. Ich bin auch ihre Lehrerin, kann unter Umständen disziplinarische Konsequenzen aussprechen und muss sie mit Schulnoten bewerten. Tobi und ich verzahnen uns da ganz gut. Das ist bis heute eine wertvolle Zusammenarbeit.
Um welche Präventions-Maßnahmen und Themen geht es da beispielsweise?
Prävention ist ein unheimlich weites Feld. Ganz, ganz weiträumig, sehr vielfältig. Deswegen haben wir auch viele Experten, mit denen wir kooperieren, um diese ganzen Themen, die ich Ihnen gleich nenne, überhaupt entsprechend anbieten zu können. Ich kann da zum Beispiel die Stadtmission Mensch nennen, die Polizei, dann Krankenkassen wie die AOK, Barmer, KKH. Wir haben Schauspielerinnen, mit denen wir kooperieren. Wir haben das Stadtmuseum, das uns eine Historikerin zur Seite stellt.
Und das alles findet nebenbei im Unterricht statt?
Ja, sicher. Ich erzähle Ihnen mal, was für Bausteine wir aufgestellt haben. In der fünften Klasse kommen ja alle Kinder aus unterschiedlichen Grundschulen zusammen. Da muss erst mal eine Klassengemeinschaft gebildet werden. Und eine Gemeinschaft ist eine ganz wichtige Basis, quasi wie beim Hausbau, das Fundament für das, was dann später entstehen kann. In dieser Phase kann man präventiv schon ganz viel bewirken, weil unerwünschtes Verhalten eingedämmt werden kann, wenn das Gruppengefühl, das Gemeinschaftsgefühl gut ausgeprägt ist. Aus diesem Grund legen wir im fünften Jahrgang ganz viel Wert auf die Bildung der Klassengemeinschaft.
Und welche Themen sind für die älteren Schülerinnen und Schüler dran?
In Klasse 6 geht es weiter mit einem Projekt namens ‚Gemeinsam Klasse sein‘. Das ist ein Anti-Mobbing-Projekt. Sie lernen, wie man Mobbing erkennt und erlernen Techniken, wie man dagegen vorgehen kann. Stopp sagen zum Beispiel. Dann bieten wir noch Medienerziehung an, die auch in der 6. Klasse vorgesehen ist. Hier arbeiten wir mal ganz anders: es kommen Schauspielerinnen in die Schule und bringen ein Medien-Stück auf die Bühne. Dazu holen wir die Eltern auch ins Boot und bieten Info-Abende an.
Geht das nicht zu Lasten des Fachunterrichts?
Wir arbeiten natürlich mit den Fachlehrkräften zusammen. Ab der 7. Klasse ist beispielsweise das Thema Suchtprävention vorgesehen. Im Rahmen des NaWi-Unterrichts bieten wir einen Alkoholpräventions-Workshop an. Wie plane ich eine Party ohne Alkohol? Damit werden Schülerinnen und Schüler herausgefordert. Es wird aber auch besprochen, was passiert, wenn jemand zu viel getrunken hat. Was wären Erste-Hilfe-Maßnahmen? Wann sollte man einen Notruf absetzen? Gegen Ende der 8. Klasse findet dann der Cannabis-Parcours statt. Bei diesem Termin ist übrigens nur unser Schulsozialarbeiter dabei. Wir Lehrkräfte müssen draußen bleiben, da es für Schülerinnen und Schüler sonst schwierig sein könnte, sich zu öffnen und sich mit ihrem Konsumverhalten auseinanderzusetzen.
Was ist mit Präventionsmaßnahmen gegen Ausgrenzung und Extremismus?
In der 10. Klasse ist das Thema Antisemitismus an der Reihe. Hier begeben sich die Schülerinnen und Schüler in Begleitung einer Historikerin auf einen Stadtrundgang durch die umliegenden Stadtteile. Sie wandeln auf den Spuren jüdischen Lebens und halten die Erinnerung an ermordete Juden wach, indem sie sich mit den Stolpersteinen beschäftigen. Diese Präventionsmaßnahme lässt sich ganz wunderbar in den Unterricht zu Gesellschaft, Politik und Geschichte einbetten. Die meisten Schülerinnen und Schüler sind beeindruckt von dieser bedrückenden Stadtführung durch ihr eigenes Viertel.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Präventionsarbeit gemacht? Was wirkt und was hat weniger gut geklappt?
Zurzeit befinden wir uns in einem Evaluationsprozess namens Schools That Care (STC), der insgesamt anderthalb Jahre dauern wird. Hier wird unser Präventionskonzept auf den Prüfstand gestellt. Dazu benötigen wir den Input sowohl von Schülerinnen und Schülern als auch von Eltern und Lehrkräften. Die Workshop-Atmosphäre am Nachmittag des Auftakt-Workshops war jedenfalls großartig!
Ist in den letzten 10 Jahren die Notwendigkeit von Präventionsarbeit gestiegen?
Als Lehrerin bekomme ich natürlich schon viel von den Schülerinnen und Schülern mit, aber nicht alles.
Tiefere Einblicke in das Privatleben und in den Seelenzustand von Schülerinnen und Schülern gewinnt eher unser Schulsozialarbeiter, dem die Kinder sich vorbehaltlos anvertrauen. Er unterliegt einer Schweigepflicht und darf grundsätzlich nichts darüber sagen, was Schülerinnen und Schüler ihm erzählen. Da wir jedoch im Austausch stehen, kann Tobi mit seiner Einschätzung über wichtige Themen für die aktuelle Präventionsarbeit sehr gut beraten. Wir sind beide der Meinung, dass die Fälle – also Schülerinnen und Schüler, die Probleme haben und solche, die Probleme verursachen – seit Corona exorbitant angestiegen sind.
Worum geht es da?
Nicht nur um Drogenexperimente und Alkoholexzesse (wie in jeder Schule). Sondern auch, dass sich beispielsweise die Medien und die Folgen des Medienkonsums in den letzten 10 Jahren enorm verändert haben, ist deutlich spürbar. Stichwort: Social Media. Wir müssen die Kinder stark machen gegen Angriffe von Hatern im Netz, sie auf reale Gefahren und Gewalt hinweisen, verzerrten Körperwahrnehmungen entgegenwirken und verschobene Realitäten gerade rücken.
Was sind die krassesten Themen, die Sie ansprechen?
Das ist schwer zu sagen. Da ist wie gesagt die Medienerziehung. Damit beschäftigen wir uns schon sehr intensiv. Andererseits gibt es in den digitalen Medien nichts zu sehen, was in der Realität keine analoge Entsprechung hätte. Und das kann manchmal brutal sein oder eben gefährlich werden. Wir müssen die Jugendlichen somit auch dahingehend begleiten. Und auf Täter im Darknet, auf Cyberkriminalität, auf Party-Drogen oder K.O.-Tropfen aufmerksam machen. Wichtig ist halt, dass wir mit den Schülerinnen und Schülern im Austausch bleiben. Dass die Verbindung nicht abbricht. Wir wollen keine Angst machen, nichts über-thematisieren, niemanden überfordern. Was wir möchten, ist: Aufklären.
Was war Ihr aktuellstes Präventions-Projekt?
Hier ging es tatsächlich um das Thema Gewalt. Unser Förderverein hatte uns freundlicherweise die Ausstellung ‘Echt Fair!’ vom Petze-Institut finanziert, in der der es um folgende Themen ging: sexuelle Gewalt und häusliche Gewalt, Missbrauch und Übergriffigkeit sowie um Hilfemechanismen und Fachberatungsstellen. Wohin kann ich mich wenden, wenn ich betroffen bin, wie helfe ich meiner Freundin, meiner Mutter, meinem Nachbarn oder meinem Cousin? Die interaktive Ausstellung mit sechs Stationen haben alle Klassenstufen besuchen können und kam bei Schülerinnen und Schülern auch sehr gut an. Jedenfalls kennen jetzt alle die Nummer gegen Kummer. Sie wissen, was zu tun ist. Und das ist gut so.
TEXT Natascha Pösel
FOTO Henrik Matzen