Die Streitschlichter der Isarnwohld-Schule in Gettorf setzen auf Ehrlichkeit, Verständnis und den Willen, sich zu verzeihen. Dazu gehört der Mut aller Beteiligten.
Wo immer Menschen Beziehungen eingehen, kann es zu Streit kommen. Dabei bildet die Schule keine Ausnahme! Natürlich haben auch Kinder und Jugendliche unterschiedliche Perspektiven, Werte und Hintergründe, die innerhalb der „Schicksalgemeinschaft-Schule” aufeinandertreffen und manchmal zu Problemen führen können. Wenn aus Kleinigkeiten oder Missverständnissen ein größeres Problem wird, sind an der Isarnwohld-Schule die Streitschlichter zur Stelle. ME2BE hat mit den projektverantwortlichen Lehrerinnen und Schülerinnen und Schülern über Ziele, Aufgaben und Erfolge gesprochen.
Die Lehrerinnen Meike Dainat und Güde Hecht leiten schulformübergreifend das Projekt ,Streitschlichter’ an der Isarnwohld-Schule Gettorf.
Was bedeutet das Projekt ,Streitschlichter’ genau?
Dainat: Das pädagogische Konzept fußt auf der Erfahrung, dass Schülerinnen und Schüler mithilfe der Streitschlichter in der Lage sind, kleinere Konflikte selbstständig zu lösen. Hier begegnen sich die Jugendlichen auf Augenhöhe und können Probleme, die für uns als Lehrkörper manchmal schwerer nachvollziehbar sind, aufgrund ihrer Nähe zueinander schneller beilegen. Streitschlichter sind speziell ausgebildete Schülerinnen und Schüler der 8. und 9. Klassen, die in den Pausen eine Anlaufstelle für die Jüngeren bilden und diesen helfen, Konflikte eigenständig und gewaltfrei zu lösen – unter der Voraussetzung, dass die Streitparteien lösungsbereit sind.
Hecht: Die Schülerinnen und Schüler übernehmen durch dieses Projekt Verantwortung füreinander und die Größeren kümmern sich um die Kleineren. Das stärkt einerseits die Schulgemeinschaft und andererseits die Selbsteffizienz jedes Streitschlichters. Wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer merken, dass sie selbst etwas bewirken können und weder Lehrkörper noch Eltern brauchen, um Probleme beizulegen, ist das für alle ein großartiges Gefühl.
In welchem schulischen Rahmen läuft die Ausbildung für das Amt des Streitschlichters ab?
Hecht: Das ist in beiden Schulzweigen etwas anders geregelt. Am Gymnasium ist die Ausbildung im Fach Religion, basierend auf dem theoretischen Überbau des christlichen Wertesystems, im Curriculum verankert. Das bedeutet natürlich nicht, dass Schülerinnen und Schüler aus dem philosophischen Bereich nicht auch als Quereinsteiger teilnehmen können, aber die Ausbildung findet bei uns in der Jahrgangsstufe 8 im Rahmen des Religionsunterrichts statt.
Dainat: An der Gemeinschaftsschule beginnen wir mit der Ausbildung zum Streitschlichter in der 7. Klasse. In der darauffolgenden Klassenstufe werden uns von der Schulleitung zwei Projekttage zur Verfügung gestellt, an denen wir uns intensiv diesem Thema widmen. Wir fokussieren uns auf die praxisnahe Anwendung. Mithilfe von Rollenspielen und simulierten Situationen sollen die Schülerinnen und Schüler deeskalierende Gesprächsführungen erlernen, verinnerlichen und sicher in deren Anwendung sein.
Gibt es Gemeinsamkeiten in der Ausbildung?
Dainat: Wir bilden den unterschiedlichen Schulformen entsprechend aus, aber die Inhalte sind die gleichen, wir verknüpfen uns miteinander und entwerfen darüber hinaus ganz praktisch einen gemeinsamen Zeitplan für die Besetzung des Streitschlichterbüros. Somit bieten wir eine Anlaufstelle für die gesamte Schülerschaft und natürlich insbesondere für die Neuzugänge aus den Klassen 5 und 6. Das Büro ist in jeder Pause besetzt und neben regelmäßigen Feedbackgesprächen findet ein bis zweimal im Jahr ein größeres Treffen statt.
Welche Voraussetzungen sollte man als Streitschlichter mitbringen?
Dainat: Es gibt keine definierten Voraussetzungen oder erforderlichen Grundeigenschaften. Was zählt, ist der Wille, sich auf das Amt einzulassen und den Aufgaben offen zu begegnen. Ich habe schon öfters die Erfahrung gemacht, dass gerade Schülerinnen und Schüler, die in ihrem gewohnten Sozialverhalten eher unbequem sind, gerade in der Rolle als Streitschlichter aufblühen. Sie erhalten positive Anerkennung, was zu einer Veränderung ihrer alten Verhaltensmuster beiträgt.
Hecht: Das kann ich nur bestätigen. Kinder sind nun mal sehr unterschiedlich und durch die Übernahme von Aufgaben können sowohl aus ,frechen Jungs’ als auch aus ,schüchternen Mädchen’ (und umgekehrt) engagierte und selbstbewusste Streiter für die Sache werden. Wir brauchen diese bunte Mischung an Menschen, um das soziale Engagement voranzubringen.
Welche Konfliktbewältigungen müssen die Streitschlichter leisten?
Hecht: Meist geht es um Dinge wie Beschimpfungen oder gefühlte Banalitäten in Form von ,gemopsten’ Stiften. Trotzdem sind das alles Themen, die auch im Unterricht Raum greifen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich in einer Schule zunächst Fremde begegnen, denen insbesondere in den unteren Jahrgangsstufen oftmals noch die notwendige Sozialkompetenz fehlt und die sich erst noch als Gruppe zusammenfinden müssen. Durch die Unterstützung der Streitschlichter lernen sie, aus einem dauerhaften Streit auszubrechen und ein Ende der Streitspirale herbeizuführen.
Gibt es Bereiche, in die die Streitschlichter nicht eingreifen dürfen?
Dainat: Ganz klar im Bereich körperliche Gewalt oder Mobbing und wenn generell die Qualität des Streits die Zumutbarkeitsgrenze der Streitschlichterinnen und Streitschlichter übersteigt. Hier sind wir als Lehrkräfte zuständig.
Bietet das Amt des Streitschlichters auch Vorteile für die Jugendlichen?
Dainat: Neben den erwähnten Vorteilen für eine persönliche Weiterentwicklung wird die Ausbildung selbstverständlich auf dem Zeugnis vermerkt und wirkt sich erfahrungsgemäß auch positiv auf Bewerbungsgespräche aus.
Hecht: Das sehe ich genauso. Diese Aufgabe fördert die Teamfähigkeit. Man lernt mit Konflikten umzugehen, zu moderieren und im besten Fall zu lösen. Eine Fähigkeit, die im späteren Berufsleben enorm wichtig ist und Türen öffnen kann.
Dieser Artikel ist in der GET BIM 2023 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.
Mehr zur Isarnwohld-Schule: Portäts der Lehrkräfte Holger Fritsch-Dainat, Anna Lässig, Dr. Johanna Ehlers, Hans-Jürgen Krohn und Patrick Göth.
TEXT Anja Nacken
FOTO Henrik Matzen