„Marken sind immer positive Vorurteile“ – Ein Gespräch mit Prof. Arnd Zschiesche

„Marken sind immer positive Vorurteile“ – Ein Gespräch mit Prof. Arnd Zschiesche

Ein Gespräch mit Prof. Arnd Zschiesche über die Macht der Marken, Donald Trump und warum Chinesen bei Volvo unsichtbar sind.

Schon rein äußerlich ist Prof. Arnd Zschiesche eine Marke: Farblich abgestimmter Gürtel, Weste, Armband, Digitaluhr. Kragen des Poloshirts hochgeklappt. Aber: keine Markennamen, nirgends. Er lehrt an der FH Westküste in Heide, lebt in Hamburg schreibt Bücher – unter anderem über den Umgang mit Marken in der DDR.

ME2BE: Herr Prof. Zschiesche, was würden Sie mir als Firmeninhaber empfehlen, wenn ich wie Sie heißen würde? Zschiesche mit zweimal „sch“?

Prof. Arnd Zschiesche: Wenn Sie wie ich heißen, haben Sie als Firmeninhaber ein Problem. Aber ich würde dann sagen, es gibt auch Marken wie Umckaloabo. Unaussprechlich, aber unaussprechlich gut. Machen Sie diese Schwierigkeit des Namens zu einer Stärke. Machen Sie es zu einem Thema – oder der leichtere Weg: suchen Sie sich einen anderen Namen, aber dann bitte einen Namen, der passend zu Ihrer Leistung ist. Der Ihre Leistung idealerweise noch stärker als der Name Zschiesche nach vorne bringen kann.

Was unterrichten Sie an der FH Westküste genau?

Ich unterrichte Einführung ins Marketing. Man kann sich auch auf grüne Markenführung und grünes Marketing spezialisieren – oder mit Konsumentenforschung etwas zahlen- und datenlastiger befassen. Sie bekommen von mir und den Kollegen ein breites Potpourri an Marketing-Know How.

Was kann ich damit werden?

Sie werden damit Marketingleitung – wenn Sie es gut machen. Wenn Sie Markenführung machen, können Sie durchaus noch aufsteigen, weil in den großen Konzernen Markenführung immer auf Geschäftsführungsebene angesiedelt ist. Da sehe ich viele zukünftige Berufschancen. Marketing und Markenführung werden sicherlich auch in Zukunft sehr relevante Themen bleiben. Ich persönlich kämpfe dafür, dass die Marke als soziales Phänomen ein noch größeres Thema wird und von einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet wird.

Was meinen Sie mit ganzheitlicher Perspektive und sozialem Phänomen?

Ich meine damit, dass viele Fehler in der Wirtschaftswelt passieren, weil Verantwortungsträger vielleicht die perfekte Managementausbildung haben, aber nicht das soziale Phänomen dahinter begreifen. Es ging gerade durch die Presse, dass Automobilhersteller Jaguar alles abgeschafft hat, was einmal Jaguar war. Jetzt ist alles rosa und divers. Es geht gar nicht mehr um das Auto, sondern um eine bestimmte Lebenshaltung. Vor zwei Wochen hat Odol seinen ikonischen Flakon abgeschafft und hat jetzt eine Flasche, die aussieht wie Listerine. Das sind für mich alles Verwerfungen. Ich muss als Manager verstehen, dass in dem Moment, wo ich Verantwortung für eine Marke habe, trage ich sie für ein soziales Phänomen. Weil viele Menschen sich eine Vorstellung darüber gemacht haben, was diese Marke zu sein hat. Und ich kann als Manager dieses soziale Phänomen nicht einfach abschaffen oder sagen, es passt mir nicht. Ich kann es natürlich machen, aber dann geht die Marke zugrunde.

Was macht denn Marken attraktiv?

Das ist tatsächlich total individuell. Das ist, was meinen Job so spannend macht. Jede Marke ist ein komplett individuelles System. Das, was für die eine Marke genau richtig ist, kann für die andere Marke genau falsch sein. Es hat sehr viel mit Demut zu tun. Ich muss mir anschauen, was Dinge sind, die dieses System stark gemacht haben. Denn meistens waren die Menschen, die sich dieses System vor 200, vor 100 Jahren ausgedacht haben, keine dummen Menschen. Im Gegenteil, die haben sich ja etwas dabei gedacht und ich muss erst mal verstehen, warum dieses System so erfolgreich ist. Wenn es zum Beispiel bei Automarken nur darum ginge, mit einem Auto von A nach B zu kommen, dann würde eine günstige Marke, eine mittelpreisige, eine teure und meinetwegen noch eine sportliche Marke ausreichen. Aber es gibt Hunderte von Automarken, und alle haben ihr ganz eigenes Versprechen, wie sie den Menschen von A nach B bringen. Citroen hatte vor vielen Jahren mal den Claim „Nichts bewegt sie wie ein Citroen“. Und das trifft es. Es gibt 100 Automarken, aber jede bewegt ihre Kundschaft auf eine ganz individuelle Art und Weise.

Da fällt mir Toyota ein den berühmten Affen ein und dem Spruch „Nichts ist unmöglich – Toyota.“ Das hat gar nichts mit einem Auto zu tun.

Genau dieses Beispiel bespreche ich mit meinen Studenten. Wenn Sie mir den Claim „Nichts ist unmöglich“ vortragen würden, würde ich Ihnen sagen, was für ein schlechter Claim. Vollkommen austauschbar. Den können Sie für einen Computer oder jede andere Automarke nehmen. Wenn ich jetzt aber die Marke als soziales Phänomen betrachte, dann gucke ich mir die Geschichte an, und Toyota hat das vor über 30 Jahren eingeführt. Und es ist zu einem Bestandteil der Marke geworden. Ich kann mich vor eine Masse Menschen stellen und sagen „Nichts ist unmöglich“. Und als Antwort kommt „Toyota“. Es heißt, dass dieser aus dem Jetzt betrachtete schlechte Claim ein guter Claim ist, weil er zu den bekanntesten Claims in diesem Bereich gehört und mit dieser Marke assoziiert wird. Das hat sich über die Historie entwickelt. Das ist, was man als Markenführung begreifen muss. Gerade in der Wirtschaft gibt es immer wieder Menschen, die sagen: Alles nach vorne, Zukunft. Was schert mich, was wir in der Vergangenheit gemacht haben? Wenn Sie gutes Marketing und gute Markenführung betreiben, dann ist die Historie der Ausgangspunkt für alles, was Sie in die Zukunft entscheiden. Das ist in der heutigen Wirtschaftswelt manchen Menschen schwer beizubringen.

Welchen Zahn müssen Sie Ihren neuen Studierenden als Erstes ziehen?

Ich hatte neulich Schüler, die hoffentlich bald bei uns studieren und habe eine Probevorlesung gehalten, um sie für das Thema Marketing zu begeistern. Dann habe ich gefragt: Sie sind jetzt alle freiwillig hergekommen. Warum interessieren Sie sich denn für Marketing? Ein junger Mann meldete sich und sagte „Ich will Macht über andere Menschen haben“. Ich habe gedacht, wow, das ist wenigstens mal eine ehrliche Antwort. Und in gewisser Weise hat er recht. Man kann mit Marketing durchaus Macht ausüben. Aber sie dürfen im guten Marketing niemals lügen. Im Endeffekt geht es nur darum, immer wieder auf die Besonderheit einer Leistung hinzuweisen. Da kommen wir auf „den Zahn ziehen“ zurück. Denn das kann durchaus langweilig werden, in einer gut geführten Marke macht das Marketing über die Zeit sehr ähnliche Sachen. 

Ich hatte mal einen Workshop mit Marketingmanagern, da kam die Marketingleiterin, eine schon etwas ältere Frau auf mich zu und sagte, Herr Zschiesche, wissen Sie, ich leite seit 32 Jahren das Marketing dieses Unternehmens und wir haben immer nur einen kleinen Plüschbären, der hat eine Milchkanne in der Hand. Er beugt sich nach vorne und gießt die Milch aus. Alle zehn Jahre wechseln wir mal das Fell und dann ist es vielleicht eine Nuance brauner. Ich träume von diesem Bären. Ich kann ihn nicht mehr sehen. 

Aber jeder weiß, welche Marke gemeint ist. Wenn man im Marketing anfängt, denkt man häufig, ich kann die Welt aus den Angeln heben. Ich sage meinen Studierenden, es geht nur darum, ein bestimmtes positives Vorurteil am Laufen zu halten. Das könnt ihr kreativ machen, da könnt ihr euch tolle Sachen ausdenken. Marken sind an sich nur positive Vorurteile in den Köpfen. Für die Kunden, die in den Supermarkt gehen und diesen Joghurt kaufen, ist eine Marke nur ein kleiner Punkt in ihrem neudeutsch „Mindset“ und löst ein Problem. Denn die eigentliche Aufgabe für Marken ist, dass sie für uns als Kunden die Komplexität unseres Alltags fokussieren.

Das heißt, die Marke ist ein Vehikel für einen viel längeren Prozess. Man kauft etwas Komplexes, aber man muss sich die Komplexität nicht merken. Es reicht, wenn man weiß, wie sie heißt.

Ein tolles Beispiel dafür ist die Marke Volvo, die seit 1927 existiert und in ihrer Kommunikation seit den 1950er Jahren nur ein einziges Thema kennt: Sicherheit. Sie beschäftigen sich mit immer anderen Aspekten von Sicherheit. Im Moment beschäftigen sie sich mit weiblichen Crashtest-Dummies, weil sie herausgefunden haben, dass eine Frau deutliche Nachteile hat, wenn sie nicht in einem Volvo, sondern einem anderen Auto sitzt. Ein einziges Thema über 70, 80 Jahre immer wieder neu zu bespielen, das ist die Aufgabe.

Das hat Volvo nicht davor bewahrt, an Chinesen verkauft zu werden.

Ich würde umgekehrt argumentieren. Sie sind so attraktiv geworden als eine im Vergleich kleine Automarke, dass die Chinesen gesagt haben, die kaufen wir! Und dass die Chinesen verstanden haben, diese Marke muss so schwedisch bleiben, wie sie ist. Das ist ein positives Beispiel für Respekt gegenüber der eigenen Marke, der Markenführung, der Bewahrung eines Markennamens.

Warum hat Elon Musk Twitter zu X umbenannt? War das ein Fehler?

Aus Sicht der Marke Elon Musk war es kein Fehler. Wenn ich mich für die größte Marke im Universum halte, wenn ich mein eigenes Kind X nenne, wenn ich alles X nenne. Aus Sicht seiner Marke war es eine richtige Entscheidung, aus Sicht der Marke Twitter kann es natürlich keine richtige Entscheidung gewesen sein, denn sie wurde ja de facto abgeschafft, inklusive aller möglichen Mitarbeiter.

Wie begegnen mir Marken bei Social Media?

Also wenn sie gut geführt sind, dann begegnen ihnen die Marken in den sozialen Medien genauso, wie sie ihnen in Ihrem Geschäft begegnen würden oder in ihrem Callcenter oder was auch immer. Das ist eine spannende Herausforderung in der Markenführung. Wie schaffe ich es, ein soziales Phänomen, das bisher vielleicht analog war, zu erhalten? Ein Bekleidungsgeschäft hat immer Bekleidung verkauft, vielleicht gab es noch einen Bekleidungskatalog dazu, und jetzt kommen auf einmal die sozialen Medien und jetzt ist die Kunst, diesen Flair, diese Art und Weise, die Kultur dieses Bekleidungsgeschäftes in die sozialen Medien zu übertragen. Idealerweise sollten Sie mir dort genauso gegenübertreten, dass ich als Kunde sage: Oh ja, das ist hier meine Marke, das erkenne ich wieder.

Gibt es Zahlen, wie vielen Marken ich im Laufe eines Tages oder im Laufe einer Stunde begegne?

Ich kenne nur unterschiedliche Statistiken, die besagen, wie viele Werbungen mir im Laufe eines Tages begegnen. Die schwanken zwischen 300 und 3000 Werbungen, mit denen wir jeden Tag konfrontiert werden. Und das führt mich wieder zu diesem Punkt: Marke ist nur ein „positives Vorurteil“. Wir werden den ganzen Tag mit Marken in irgendeiner Form konfrontiert. Und sie kommen nur durch, wenn sie ganz stringent ein bestimmtes positives Vorurteil über alle Kanäle befeuern.

Das klingt für mich politisch. Ich sehe Donald Trump vor mir: Ich bin der Größte” ist seine Markenbotschaft und er ist sehr erfolgreich. Sind Marken auch Politik?

Marke bedeutet Zusage, Verlässlichkeit. In der Politik ist eine gewisse Zusage, Verlässlichkeit gefragt. Ob man aus europäischer Sicht Herrn Trump mag oder nicht, ist für mich als Markenexperte erstmal vollkommen egal. Aber dass er in Bezug auf Markenführung einiges richtig macht, ist vollkommen unbestritten.

Wenn nur junge Leute wählen dürften, hätten wir jetzt ein Parlament, das in großen Teilen aus Linken und der AfD bestehen würde. Haben diese beiden Parteien ihre Marken richtig geführt und etabliert?

Wenn ich im politischen Raum unterwegs bin, werde ich häufig von Politikern nach dem Vortrag angesprochen und die sagen mir: Das ist ja alles ganz nett. Aber der Wähler von heute ist ein Wechselwähler, der wählt einmal CDU, dann wählt er SPD. Und wenn es ihm um seinen Garten geht, vielleicht mal die Grünen, die Linken, wen auch immer. Das ist aber ein typisches Markenproblem: die Verwechslung von Ursache und Wirkung. Wenn es heute ganz viele Menschen gibt, die die Linken oder die AfD wählen, dann könnte es ja sein, dass die anderen ihren Markenkern vernachlässigt haben. Diese Menschen erkennen nicht mehr, was CDU, was SPD ist. Die Linke und die AfD profitieren ja davon. Und die AfD hat es natürlich verdammt leicht, zu sagen: Wir gucken uns das alles an und sagen erstmal: Nein, nein, nein. 

Ohne mich politisch zu äußern: Es ist viel einfacher, „Ausländer raus“ zu sagen, als das Ganze differenziert zu erklären. Hinter einem starken Nein können sich Menschen leicht versammeln. Donald Trump funktioniert so. Man kann aus einer ethischen Perspektive sagen, er vereinfacht Komplexität auf eine unerträgliche Art und Weise. Aber die extremen Parteien, vollkommen egal, auf welchem Flügel sie stehen, profitieren davon, dass sie erstmal nur ein Nein anbieten müssen und noch keine Lösung. 

Aber aus meiner Sicht ist diese Entwicklung ein Ergebnis davon, dass die etablierten Parteien ihre Markenkerne vernachlässigt haben und den Menschen kein klares Bild mehr vermitteln können von dem, wofür sie stehen. 

Ich würde behaupten, dass die jetzige Generation, die bei Ihnen studieren will, mit derart vielen Marken konfrontiert ist wie keine Generation davor. Gibt es so etwas wie eine Markenmüdigkeit?

Nein, im Gegenteil. Der „Fundamentalphilosoph“ Wolfgang Joop hat mal gesagt: Je mehr Marken, umso individueller das Ich. Je mehr Marken es gibt, umso individueller kann ich mich darstellen. Wenn wir das auf die ganz große Ebene heben: Die wenigsten Menschen gehen noch jeden Sonntag in die Kirche usw. Aber das Verrückte ist, was Marken für einige Marken Menschen sind. Achten sie mal, wie manche ihre Rolex-Uhr oder ihr iPhone zelebrieren. Marken stoßen in eine Lücke, die viele Menschen empfinden, ob sie das jetzt bewusst oder unterbewusst empfinden.

Als Ersatzreligion?

Wir reden zum Beispiel vom Apple-Jünger. Und wenn ich zwei Menschen beobachte, die keinerlei technische Ausbildung haben, sich aber in einer Kneipe darüber zoffen, ob ein Samsung-Gerät oder ein Apple-Gerät besser für diesen Preis ist, Das ist wie eine Doktrin und manche Marken sind wie eine Monstranz. Wenn ich manchen Menschen begegne, möchte ich ihnen am liebsten sagen: Ich hab dich auch lieb, ohne dass du mir dieses Markenzeichen ins Gesicht hältst. In den meisten Fällen sind Marken auch nur Krücken, die anderen signalisieren: Ich bin erfolgreich, ich bin gut situiert. Und das sind zutiefst menschliche Bedürfnisse. In Unternehmen ist heute noch eine beliebte Frage: Was fährt der Vorstand? Darf der das? Das sind alles im weitesten Sinne Markenfragen.

Was fahren Sie?

Smart.

Dies alles können Studierende bei Ihnen lernen.

Dies alles können Studierende bei mir lernen und dann hoffentlich später in der Praxis durchsetzen und anwenden. Es ist meine feste Überzeugung, dass es mehr Menschen mit einer solchen Ausbildung in der Wirtschaft braucht. Ich halte es manchmal nicht mehr aus, wie Wirtschaft zerstört wird. Denn Marken werden immer von innen zerstört, niemals von außen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Text: Christian Bock
Foto: Fachhochschule Westküste