Ein digitales Bewusstsein schaffen – Im Gespräch mit zwei Lehrkräften der Goethe-Gemeinschaftsschule Kiel

Ein digitales Bewusstsein schaffen – Im Gespräch mit zwei Lehrkräften der Goethe-Gemeinschaftsschule Kiel

Andre Kruse ist Koordinator für die Klassen fünf bis sieben und damit Teil der Schulleitung. Er ist seit zwölf Jahren an der Goethe-Gemeinschaftsschule tätig und unterrichtet Mathematik, Biologie, NaWi und Verbraucherbildung. Martin Garske bereichert die Schule seit acht Jahren. Neben Mathematik und Physik unterrichtet er NaWi und ITG (Informationstechnische Grundbildung, die Grundlagen der angewandten Informatik lehrt). Wir von ME2BE haben mit den beiden über die digitalisierte Schule, Cybersicherheit, ChatGPT und Ethik im Zeitalter von Social Media gesprochen.

Die heutige Schülergeneration besteht aus Digital Natives. Welches Ziel verfolgt die Schule im Hinblick auf die Digitalität der Kinder und welche Kenntnisse besitzen sie bereits?

Martin Garske: In Klasse sieben haben die Kinder bei uns bereits Standard-Office-Anwendungen gelernt. Aufgabe ist es dann in Klasse acht, einen Imagefilm zu drehen. Dabei merkt man, dass Social Media in dem Alter bereits einen hohen Stellenwert besitzt. Wenn ich die Aufgabe stelle, setzen diese einige Schülerinnen und Schüler sehr beeindruckend um. In ITG lege ich bei den achten Klassen die Grundlagen für ein Verständnis von angewandter Informatik. So nehmen wir uns mit Hilfe der Programmiersprache Python zusammen kleine Programmierungen vor und programmieren zum Beispiel Legoroboter von Lego Mindstorms.

Andre Kruse: In einigen Klassenräumen haben wir einen Schrank mit Tablets oder Laptops, welche die Kinder zur Internetrecherche nutzen können und um Texte zu produzieren, die sie über die Schulplattform IServ hochladen können. Ab dem nächsten Jahr soll jede und jeder in Klasse fünf und sechs über ein eigenes Gerät im Klassenraum verfügen, das in der Schule genutzt werden kann. Die siebten und achten Klassen werden nächstes Jahr mit Geräten ausgestattet, die sie mit nach Hause nehmen dürfen. Perspektivisch hoffen wir, dass im Folgejahr auch die Klassen neun und zehn ausgestattet werden. Smartphones und PCs werden von den meisten bereits in der Grundschule genutzt, doch die Fähigkeiten beschränken sich auf Spiele, Youtube-Konsum und teilweise Social Media. Wir möchten zeigen, wie man digitale Endgeräte für den Wissenserwerb und die gezielte Arbeit nutzt.

Wie sieht der Einstieg beim Umgang mit Laptops in der Schule aus?

Garske: Zunächst lernen die Kinder grundlegende Schritte, zum Beispiel wie sie sich bei der Plattform IServ anmelden und sich auf dem Desktop und innerhalb von Ordnerstrukturen orientieren können. Dann lernen sie, sich von Zuhause aus anzumelden. Des Weiteren lehren wir sie die Grundlagen der Internetrecherche. Sie lernen zu hinterfragen, was eine Aufgabenstellung von ihnen erwartet und was man bei Google und der Stichwortsuche beachten sollte. Auch das Unterrichten im Zehn-Finger-Tippen z.B. im Methodikunterricht wäre durchaus angebracht.

Dürfen die Kinder ihr Smartphone auf dem Schulgelände nutzen?

Garske: Nur die neunten und zehnten Klassen dürfen ihr Smartphone in den Pausen in einem bestimmten Handybereich nutzen. Zu Beginn des Schuljahres hatten wir einen Testlauf, bei dem auch die unteren Stufen das Smartphone nutzen durften – davon sind wir nun allerdings ab.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie bislang aus dem ITG-Unterricht mit?

Garske: In der achten Klasse programmiere ich mit den Kindern. Zum Teil programmieren wir eigens kreierte Zeichnungen und animieren sie. Schülerinnen und Schüler können sich heute mehr und mehr in diese Welt hineindenken. Selbst mit einem Quellcode auf Englisch funktioniert das sehr gut. Das bekomme ich auch von den Englischkolleginnen und -kollegen mit: Der Umgang der Kinder mit Sprache, gerade der Englischen, wird besser. Einige Kinder sprechen heutzutage aufgrund des Internets ein sehr gutes Englisch.

Kruse: Mein Unterricht thematisiert vor allem die Grundlagen der Recherche und den Umgang mit Office-Paketen. Das Grundverständnis, dass man Rechtschreibfehler macht, spielt in dieser Generation kaum mehr eine Rolle, da Kinder durch den Umgang mit Messengern gewohnt sind, fehlerhafte Inhalte zu verschicken und dennoch verstanden zu werden. Wenn die Aufgabe lautet: Erstellt eine Präsentation mit zehn Folien zu einem selbst gewählten Thema und sprecht frei, dann scheitern viele daran, die Präsentation überhaupt fertigzustellen. Da mangelt es am Recherchieren, an der Selektion, an der Überprüfung des Wahrheitsgehalts, der Textproduktion und dem Wissen um das Recht am eigenen Bild. Daher muss man diese Aspekte wiederholt thematisieren. Hierzu vergleichen wir verschiedene Nutzungsvereinbarungen unterschiedlicher Social-Media-Anbieter und recherchieren, welche Rechte habe ich als Nutzer, welche gebe ich ab.

Wie schulen Sie die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf Cybersicherheit, Ethik und Datenschutz?

Garske: In ITG beschäftigen wir uns mit allen drei Themen. Das Thema Cybersicherheit besprechen wir im Rahmen des Datenschutzes. In der Praxis spielen wir dann beispielsweise durch, was man alles angeben sollte, um eine E-Mail-Adresse einzurichten und hinterfragen die abgefragten Daten. Wir möchten die Schülerinnen und Schüler dafür sensibilisieren, dass ihre Daten eine Form der Währung sind und ein Bewusstsein dafür schaffen, sorgsam mit ihnen umzugehen. In diesem Zusammenhang schauen wir den Film Social Dilemma, der veranschaulicht, was für Prozesse im Hintergrund ablaufen, während man Social Media nutzt.

Schüler an Computer

Die Schülerinnen und Schüler der Goethe-Gemeinschaftsschule Kiel sind Digital Natives.

Kruse: Was Ethik und in dem Zusammenhang Themen wie Mobbing betrifft, beginnen wir meist ab Klasse fünf, wobei Whatsapp häufig der Aufhänger ist. Dabei behandeln wir die Themen im Fach Methodik oder es findet ein Anti-Mobbing-Training innerhalb des Präventionskonzeptes in Zusammenarbeit mit unserer Schulsozialarbeiterin statt. Den Eltern bieten wir regelmäßig einen Elternabend an, an dem der Umgang mit sozialen Medien mit Hilfe externer Partner behandelt wird.

Wie gehen Sie an der Schule mit ChatGPT und den Begriffen Realität und Fake um?

Garske: Ich nehme wahr, dass die Frage nach wahr und falsch zu wenig bei den Schülerinnen und Schülern vorkommt. Wir als Schule versuchen, gegenzusteuern. Ich sehe ChatGPT als Chance, frage mich jedoch, inwiefern sich das Bewertungsraster ändern muss. Der Umgang mit KI wie ChatGPT setzt voraus, dass ich mich mit dem Thema, bei dem mich das Programm unterstützen soll, schon auskenne und die Parameter kennen, die meine Fragestellung ausmachen. Wenn junge Menschen jedoch ganze Texte damit generieren, stellt sich die Frage, wie können wir diese zukünftig noch bewerten? Im Deutschunterricht wurden mit den Schülerinnen und Schülern bereits Texte damit produziert, um den Wert und die Bewertung des Textes anschließend mit den Kindern zu thematisieren. Die Frage ist: Können die Kinder ChatGPT als Hilfestellung nutzen, ohne zu plagiieren?

Wie geht die Lehrerschaft mit dem Thema Social Media um?

Kruse: Der Fokus der Schule liegt vorrangig auf dem Umgang mit digitalen Endgeräten der Schülerinnen und Schüler und digitalen Tafeln. Was den Umgang mit Digitalität und Social Media betrifft, ist die Lehrerschaft unterschiedlich weit. Ich glaube, dass vielen Lehrkräften der Spagat aus digital und analog weiter wichtig ist. Neben der Digitalität sollte der direkte Kontakt zu Menschen wichtig sein. Das ist eine Herausforderung, da manche Kinder dazu neigen, sich in die digitale Welt zurückzuziehen. Viele Eltern wünschen sich weniger Digitalität an der Schule, da sich ihre Kinder schon im Privaten viel damit beschäftigen.

Die Digitalisierung kann klassische Berufe gefährden, aber auch neue entstehen lassen. Welche Auswirkungen hat das auf die Berufsorientierung an der Goethe-Gemeinschaftsschule?

Kruse: Ab der achten Klasse spielt das Thema Berufsorientierung eine zentrale Rolle an unserer Schule. In etlichen Fächern findet es Platz, wird jedoch überwiegend im Fach WiPo behandelt. Dabei ist der Wandel des Arbeitsmarktes auch Thema, wobei man sagen muss, dass es nicht jeden jungen Menschen heutzutage in den Informatikbereich zieht. Vor einigen Jahren waren auch noch einige Schülerinnen und Schüler von dem Beruf des Influencers angetan – das spielt heute keine große Rolle mehr. Ich glaube, dass die Begeisterung der Erkenntnis gewichen ist, dass man als Influencer nicht mal eben erfolgreich werden kann und der Markt überlaufen ist.

Was ist perspektivisch im Hinblick auf die Digitalisierung der Schülerinnen und Schüler geplant?

Kruse: Einige junge Menschen an unserer Schule arbeiten bereits komplett papierlos am Tablet. Das wird sicherlich mal die Zukunft sein, aber kann noch nicht mit den ganz Kleinen funktionieren, da es viele Kinder gibt, die zunächst grundsätzlich lernen müssen, Struktur und Ordnung zu halten. Daher werden Mappen gerade in den unteren Stufen noch eingesammelt und kontrolliert. In den oberen Klassen werden die Hausaufgaben dann z.T. auch via IServ hochgeladen.

Garske: Perspektivisch sollten die Schülerinnen und Schüler die Schulbücher zuhause nutzen und in der Schule auf digitale Versionen zurückgreifen. Langfristig könnte man den Rücken dann komplett durch den Umgang mit rein digitalen Schulbüchern entlasten. Manch ein Buch ist im Hinblick auf sein Wissensstand zudem schnell überholt, das macht digitale Ausgaben zusätzlich attraktiv.

Mehr zur Goethe-Gemeinschaftsschule:
Die Lehrerin und Schulsanitätsdienst-Verantwortliche Julia Westphal und die ‚Schulsanis‘ Anton und Tim-Nicolas berichten über die Ausbildung als Schulsanitäter.

TEXT Sophie Blady / Kristina Krijom
FOTO Henrik Matzen