Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Insa Sjurts ist Präsidentin der Beruflichen Hochschule Hamburg (BHH). Zuvor hatte Sie Leitungspositionen an der Hamburg School of Business Administration, der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und der Hamburg Media School inne. Als BWL-Professorin war Sjurts unter anderem an den Universitäten Flensburg und Hamburg tätig.
Frau Sjurts, an der neu gegründeten Beruflichen Hochschule Hamburg läuft das dritte Studienjahr, die ersten Abschlüsse werden 2025 vergeben. Wie sehen die bisherigen Erfahrungen aus?
Wir können schon jetzt sagen, dass unser Modell der studienintegrierenden Ausbildung in der Praxis sehr gut funktioniert. Die kooperierenden Unternehmen stehen voll hinter der Idee und die Studierenden kommen gut klar. Das Modell verlangt allerdings ein hohes Engagement und ein gutes Zeitmanagement, weil unterschiedliche Lernerfahrungen an drei Lernorten zu kombinieren sind.
Studien zufolge legt die Generation Z großen Wert auf die Work-Life-Balance. Wie steht es um die Work-Life-Study-Balance, wenn man zugleich einen Ausbildungs- und Studienvertrag erfüllen muss?
Vielleicht verhält es sich bei dem Befund wie bei vielen Studien, die einen Trend beschreiben, aber nicht die Haltung aller einzelnen Personen. Die Unternehmen erleben unsere Studierenden als besonders engagiert. Es sind tolle junge Leute, die wissen, was sie wollen, und in der Tiefe lernen möchten. Deshalb sind sie bereit, die Anforderungen von Hochschule, Berufsschule und Unternehmen zu erfüllen – was tatsächlich anspruchsvoll ist.
Wie hoch ist die Abbruchquote?
Bei dieser Frage ist zunächst zu bestimmen, was als Abbruch gilt. Wer ein herkömmliches duales Studium abbricht, für den ist mit dieser Entscheidung die Reise zu Ende. Das ist bei unserem Modell anders. Es zeichnet sich dadurch aus, dass man sich nach eineinhalb Jahren entscheiden kann, statt beide Abschlüsse anzustreben, also Bachelor und Ausbildungsabschluss, nur einen Weg zu verfolgen. Wer merkt, dass der akademische Zweig nicht passt, kann dennoch die Ausbildung zu Ende führen. Wir wollen möglichst alle auffangen. Es gibt nur einzelne Fälle, in denen sich jemand gegen beide Optionen entscheidet und komplett abbricht. Was bei uns auch dazu beiträgt, dass kaum jemand aussteigt: Gelernt wird in kleinen Gruppen, unterstützt durch ein Coaching. Wir sind sehr um die einzelnen Studierenden bemüht und wollen ihnen auf ihrem Weg zur Seite stehen.
Wer entscheidet sich für ein duales Studium und wer für die BHH mit dem trialen Modell?
Wer ein duales Studium belegt, richtet den Ehrgeiz eher darauf, schnell in eine Führungsposition zu kommen. Viele sind ambitioniert und zielen auch von Anfang an auf einen internationalen Masterabschluss. Bei den jungen Menschen, die zur BHH kommen, gibt es im Wesentlichen zwei Motivlagen. Zum einen wissen manche noch nicht genau, ob eine Ausbildung oder ein Studium das Richtige für sie ist – und bei uns muss man sich nicht entscheiden. Zum anderen sind es diejenigen, die beides wollen und Lust auf ein wirkliches Miteinander der Lernorte haben. Es sind hochengagierte, fachlich interessierte Persönlichkeiten, die Problemstellungen in der Praxis mit beruflichem und akademischem Wissen angehen wollen.
Für welche Jobs bin ich mit der doppelten Qualifikation besser qualifiziert?
Nehmen wir das Beispiel Banken, in denen ein grundlegender Wandel stattfindet. Viele Fachfunktionen wurden durch die Digitalisierung aufgelöst. Das Geld kommt aus dem Automaten und der Kundenkontakt am Schalter wird immer seltener. Stattdessen gibt es neue Funktionen und komplexe Aufgaben, die zum Beispiel informationstechnische und betriebswirtschaftliche Kompetenzen erfordern. Es gibt immer weniger ,einfache‘ Aufgaben und es kommen mehr dazu, die Fachwissen in verschiedenen Bereichen erfordern, zum Beispiel bei Fragen der Geldanlage.
Wie erfolgt die curriculare Verknüpfung zwischen Hochschule und den Berufsschulen?
Bei unserem Modell gibt es keine inhaltlichen Dubletten. Nur dadurch ist es möglich, dass unsere Absolventinnen und Absolventen nach vier Jahren sowohl eine Berufsausbildung als auch den akademischen Abschluss haben. Zum Vergleich: Wer etwa eine Ausbildung zur Industriekauffrau und einen Bachelor nacheinander absolviert, braucht dafür mindestens sechs Jahre. Inhalte wie zum Beispiel Accounting oder Controlling im Bereich BWL höre ich bei unserem Modell nur einmal – entweder in der Berufsschule oder in der Hochschule. Das Wissen wird also nicht sukzessive erst in der Berufsschule und dann in der Hochschule auf unterschiedlichem Niveau vermittelt. Der Stoff wird vielmehr aufgeteilt. Das eine Modul findet hier statt, das andere dort. Möglich ist das, weil auch in den kooperierenden Berufsschulen auf Hochschulniveau unterrichtet wird. Dafür gibt es in der Regel eigene Klassen mit maximal 26 Lernenden. Eine Ausnahme bildet das Bachelorstudium BWL – Management von kleinen und mittleren Unternehmen. Es lässt sich mit vielen unterschiedlichen handwerklichen oder gewerblich-technischen Ausbildungen verbinden, jeweils an der zugehörigen Berufsschule. Die Verschränkung funktioniert in dem Fall anders.
Wie läuft die Kooperation mit den Berufsschulen?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer das Modell voll unterstützen und mit viel Begeisterung dabei sind. Wir stehen im engen Austausch, um das Curriculum und die Zeitplanung noch besser aufeinander abzustimmen. Grundsätzlich sind unsere Studiengänge in zusammenhängenden Blöcken strukturiert. Das heißt, es gibt Phasen an der Berufsschule, Phasen im Unternehmen und Phasen bei uns an der BHH. Das lässt sich gut koordinieren.
Wie stark wird die BHH wachsen?
Wir setzen uns kein Limit und haben Kapazitäten, um weitere Studierende unterzubringen. Die BHH begrüßt bereits das 200. Unternehmen als Kooperationspartner. Das ist für eine junge Hochschule eine großartige Resonanz. Bei dem oben genannten Studiengang BWL – Management von kleinen und mittleren Unternehmen ist es so, dass mit weiteren Betrieben auch weitere Ausbildungsberufe hinzukommen. Die Zahl der kooperierenden Berufsschulen wächst dadurch ebenfalls. Für das Recruiting ist dieser Studiengang für Betriebe aus Bereichen wie etwa Tischlerei, Systemgastronomie oder Mechatronik interessant. Denn dort reicht allein berufsspezifisches Wissen in Führungspositionen oft nicht mehr aus. Zugleich ist betriebswirtschaftliches Know-how gefragt. Das gilt für eine Teamleitung ebenso wie für das Thema Unternehmensnachfolge. Insbesondere das Handwerk ist ein riesiges Feld mit zahlreichen Ausbildungsberufen. Die Unternehmen können gerne auf uns zukommen – der passende Studiengang ist schon da.
In Hamburg sind die Wege zwischen den drei Lernorten kurz – lässt sich das Modell auf ein Flächenland wie Schleswig-Holstein übertragen?
Das ist grundsätzlich möglich, wie das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt. Dort gibt es ein entsprechendes Angebot, an dem mehrere Hochschulen beteiligt sind. Umso weiter die Lernorte voneinander entfernt sind, desto mehr Zeit muss man natürlich durch die längeren Wege zwischen den Lernorten investieren. Hamburg hat in dieser Hinsicht sicherlich einen Standortvorteil. Ich erwarte dennoch, dass sich die studienintegrierende Ausbildung weiter verbreitet.
Werden auch private Anbieter nachziehen und Ihr Modell übernehmen?
Davon gehe ich nicht aus. Die Angebote der privaten Hochschulen mit dualen Studiengängen und unser Angebot ergänzen einander. Es gibt Unternehmen, die sowohl mit uns als auch mit anderen Hochschulen kooperieren – je nach Position, die zu besetzen ist. Wir zielen auf eine unterschiedliche Klientel. Es hat also alles nebeneinander seinen Platz und erfüllt einen Bedarf.
Sie haben schon viele akademische Einrichtungen geführt, bleiben Sie der BHH länger erhalten?
Hier ist es klasse und hier bleibe ich! Als ich 2018 von den Plänen für die Gründung der Hochschule erfahren habe, dachte ich: Was für eine faszinierende und progressive Idee, Ausbildung und Studium derart zu verbinden. Das mitgestalten zu dürfen, ist ein Geschenk.
TEXT Peter Ringel
FOTO Tilman Möller / Zielfoto Hamburg