Die Digitalisierung des täglichen Lebens schreitet mächtig voran. Für das große Ziel der Smart City bildet die TH Lübeck Ingenieure aus, die mit Sensortechnik, Funktechnologie und künstlicher Intelligenz zukunftsweisende Lösungen erdenken.
Der Büroflur ist Forschungslabor: Auf Hüfthöhe sind etwa ein Dutzend kleine, rot leuchtende Gerätschaften mit Tape an die Wände des Korridors geklebt. Weiter oben, an der Kante zur Decke, zeigen handygroße, mattweiße Flächen schräg in den Raum. „Mit diesen Sensoren entwickeln wir Methoden, um Ströme von Menschen in Innenräumen zu quantifizieren“, sagt Horst Hellbrück, Professor für Kommunikationssysteme am Fachbereich Elektrotechnik und Informatik der TH Lübeck und Leiter des Kompetenzzentrums CoSA, das Kürzel steht für Communication systems, distributed Systems and their Applications.
Das Kompetenzzentrum unterstützt regionale Partner aus Wirtschaft und Verwaltung bei der Entwicklung hochmoderner IT-Lösungen. Was abstrakt klingt, wird am Projekt „Baltic Future Port“ konkret: Zusammen mit der Lübeck Port Authority plant CoSA ein eigenständiges 5G-Mobilfunk-Netz für den Hafen der einstigen Hansemetropole: Damit die Schiffe optimal ent- und beladen werden, wird zukünftig jedem LKW sowohl der individuelle Zufahrtsweg und Stellplatz zugewiesen als auch sein Zeitfenster.
„Hier bewegen wir uns mitten in der Thematik der Smart City“, erläutert Horst Hellbrück: „Um die intelligente Stadt entstehen zu lassen, kooperieren wir je nach Projekt mit Professoren unterschiedlicher Fachbereiche der TH und auch der Universität Lübeck.“ Architekten und Stadtplaner können an Bord sein, Mediziner und Betriebswirte, bis hin zu Soziologen und Psychologen.
„Wir als CoSA haben dabei den Part, das Leben der Stadt zu erfassen“, sagt Hellbrück. Wann erwacht die Stadt im Morgengrauen? Wie strömen die Menschen im Laufe des Tages? Zu Fuß oder mit welchen Verkehrsmitteln? Wann gehen spätabends die Lichter wieder aus? „Es gibt nicht die eine Lösung für alle Anwendungen“, sagt Hellbrück. „Je nach Fragestellung designen wir die passende Kombination aus dem Baukasten der Sensorik, künstlichen Intelligenz und drahtlosen Vernetzung.“ Dadurch ergeben sich stets neue Themen für die praxisbezogenen Bachelor- und Masterarbeiten seiner Studierenden.
Hellbrück, geboren 1967, hat nach dem Abitur in Saarbrücken Elektrotechnik studiert, später in Braunschweig als Informatiker promoviert. Zudem hat er in unterschiedlichen Hi-Tech-Konzernen vom Programmierer bis zum Leiter für Automatisierungstechnik gearbeitet. Er schaut sein Gegenüber offen an, während er in ruhigem Tonfall erläutert, dass Politik und Verwaltung städtebauliche Entscheidungen – etwa ob eine Straße zur Einbahnstraße erklärt werden solle – häufig aus dem Bauch heraus oder aus politischem Kalkül träfen. „Für eine faktenbasierte Entscheidung hilft unsere Datenlage über die tatsächlichen Verkehrsströme.“ Wenn das Pulsieren der Stadt sogar dauerhaft im Detail erfasst werde, dann könne zum Beispiel ein Shopping-Center zeitnah evaluieren, ob eine bestimmte Baumaßnahme zu mehr Laufkundschaft geführt hat.
„Die Stadt hört übrigens nicht an den Gebäudegrenzen auf“, so Hellbrück. Damit etwa eine Bibliothek die Frequentierung der einzelnen Wege und Regale erfahren kann, seien spezielle Indoor-Lösungen gefragt. Weil GPS innerhalb von Gebäuden nicht zuverlässig funktioniert, experimentieren einige Mitarbeiter des CoSA derzeit in dem Reallabor auf dem Büroflur an der sogenannten passiven Ortung per W-LAN. Passiv, weil der Sensor das eigene Handy ist, das heute fast jeder bei sich trägt. „Da entwickeln wir ein ganz neues System, das in diesem frühen Stadium noch nicht für den produktiven Einsatz gedacht ist“, ergänzt Hellbrück.
Bereits abgeschlossen ist das Projekt „Smart Region Hub Eutin“, bei dem CoSA für die Schleswig-Holsteinische Kleinstadt ein leistungsstarkes Funknetz entwickelt hat, das große Datenmengen energieeffizient über lange Strecken senden kann. Mit diesem Long Range Wide Area Network, kurz LoRaWAN, sind die Stadtwerke Eutin für viele denkbare Smart-City-Anwendungen gerüstet. Bereits heute haben sie damit alle eigenen Fahrzeuge im digitalen Blick, kontrollieren die Verkehrsströme und Belegung der Parkplätze im Stadtgebiet und überwachen sogar die Wassertemperatur im Eutiner See. Weitere Anwendungen können die Stadtwerke integrieren.
Die Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, selber Anregungen für neue smarte Bedarfe vorzuschlagen. „Darauf sollte die Stadt dann auch zeitnah reagieren“, betont Hellbrück eindrücklich: „Eine Stadt, die sich auf den Weg zur Smart City begeben hat, die hat ihren Einwohnern ein Versprechen gegeben. Würde diese Stadt nicht auf die Bedürfnisse der Bürger eingehen, dann würde sie ihr Versprechen brechen.“ Um Vertrauen zu schaffen setzt die Smart City Eutin zudem auf Transparenz: Unter smartregion-eutin.de macht sie allen Bürgern die erhobenen Daten benutzerfreundlich zugänglich.
Der Weg zum Ingenieur der Smart City
„Erstens: Begeisterung für Technik. Und zweitens: Nicht mit Mathe auf Kriegsfuß stehen. Das reicht“, antwortet Professor Horst Hellbrück auf die Frage, welche Voraussetzungen ein zukünftiger Student brauche, um erfolgreich am Fachbereich Elektrotechnik und Informatik zu studieren. Nicht notwendig seien Vorkenntnisse in Elektrotechnik oder Informatik. „Das lernen die jungen Leute bei uns.“
Natürlich sei es nicht verkehrt, wenn jemand schon manch ein Elektrogerät auseinandergeschraubt und wieder zusammengesetzt habe. „Aber das ist überhaupt nicht wichtig.“ Rein formal ist der Studiengang nicht zulassungsbeschränkt. Jeder Bewerber – der Meisterabschluss, Fachabitur oder Abitur vorweisen kann – ist am Fachbereich der TH Lübeck willkommen.
Wer im Vorfeld prüfen will, ob ihm einer der zehn Bachelorstudiengänge liegt, der ist herzlich eingeladen, sein mehrwöchiges berufsorientierendes Schülerpraktikum bei dem entsprechenden Studiengang zu absolvieren. Zudem sind die rund 40 Professoren offen dafür, wenn Lehrer sie fragen, ob sie ein schulisches Projekt begleiten wollen, damit es wissenschaftlichen Standards entspricht.
Die Studiengänge hat die TH Lübeck zusammen mit Unternehmen aus der Region entwickelt. „Schließlich wissen die Firmen am besten, was ihre späteren Ingenieure können sollen“, so Hellbrück. Ausgesprochen praxisorientiert ist auch das duale Studium: Zunächst geht der zukünftige Student für ein Jahr in einem regionalen Unternehmen in die Lehre, anschließend startet er das normale Studium an der TH. Zum Abschluss erhält er Gesellenbrief und Bachelorzeugnis.
„Die Berufsaussichten unserer Absolventen sind sehr gut“, so Hellbrück. „Sie sind sogar exzellent, wenn jemand am Double-Degree-Programm mit der Milwaukee School of Engineering teilnimmt.“ Nach dem Grundstudium der Elektrotechnik kommen rund zehn Studenten aus Milwaukee zu einem gemeinsamen Studienjahr – das komplett in der englischen Sprache abläuft – an die TH Lübeck. Danach studiert die Deutsch-Amerikanische Gruppe ein zweites gemeinsames Jahr in der Stadt im Nordosten der USA. Anschließend schreiben die rund zehn Deutschen Teilnehmer ihre Abschlussarbeit bei einem örtlichen Unternehmen von Milwaukee. Damit erwerben sie sowohl den US- Bachelor als auch den der TH Lübeck.
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TEXT Hans Wille
FOTO Sophie Blady