Der AKTIONSRATBILDUNG plädiert für mehr berufliche Souveränität

Der AKTIONSRATBILDUNG plädiert für mehr berufliche Souveränität

Berufsorientierung – der Schlüssel für berufliche Souveränität!

Anfang Mai legte der AKTIONSRATBILDUNG das aktuelle Gutachten mit dem Titel „Bildung und berufliche Souveränität“ auf dem Kongress der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft (vbw) vor. Das wissenschaftliche Expertengremium verfasst im Auftrag des vbw seit 2007 regelmäßig Gutachten zu unterschiedlichen Themen. Im neuen Gutachten stellt der Aktionsrat die Problematik der Ausbildungs- und Studienabbrüche sowie den sich weiter verschärfenden Arbeits- und Fachkräftemangel in den Mittelpunkt. Da dringender Handlungsbedarf für unser Bildungssystem besteht, formuliert er auch Lösungsvorschläge hinsichtlich einer verbesserten Berufsorientierung.

Wir von ME2BE haben an der Veranstaltung teilgenommen und einige Aspekte der Vorträge zusammengetragen.

Nach eindringlichen Worten des vbw-Präsidenten Wolfram Hatz, der mittels konkreter Zahlen die Dringlichkeit einer frühzeitigen, flächendeckenden und im Lehrplan fest verankerten Berufsorientierung als Schlüssel zur beruflichen Souveränität und Stärkung der deutschen Wirtschaft hervorhob, eröffnete der Vorsitzende des Aktionsrates Bildung und Hamburger Universitätspräsident a.D Professor Dieter Lenzen die Vortragsreihe.

Berufsorientierung als bestandserhaltende Funktion unserer Gesellschaft

Professor Dieter Lenzen klärte zunächst den Begriff berufliche Souveränität: „Berufliche Souveränität ist die Befähigung, die eigene Berufswahl selbstbestimmt zu treffen, den Beruf kompetent auszuüben und auch zu hinterfragen. Sie umfasst Ausbildungsreife, Berufswahlbereitschaft und Berufswahlkompetenz.“ Anschließend legte er dar, dass gerade das deutsche Bildungswesen im internationalen Vergleich immer noch durch die Unterscheidung von Ausbildung und Bildung gekennzeichnet sei, und plädierte dafür, dass es verstärkt die Aufgabe der Bildungseinrichtungen sein müsse, Lernende bereits früher auf ihrem Weg zu beruflicher Souveränität zu unterstützen. Eine gezielte, systematische und qualitativ hochwertige Berufsorientierung solle deshalb in allen Bildungsphasen einen noch höheren Stellenwert einnehmen. Er wies der Berufsorientierung als Bestandteil allgemeiner Bildung eine gesamtgesellschaftliche bestandserhaltende Funktion zu und stellte heraus: „Nur die beruflich kompetente Person ist in der Lage, ein Missverhältnis zwischen den eigenen Erwartungen und den Anforderungen des Arbeitsplatzes zu vermeiden. Auf diese Weise wachsen Arbeitszufriedenheit und Erfolg bei gleichzeitiger Vermeidung volkswirtschaftlicher Fehlinvestitionen durch die Vermeidung von Abbrüchen“.

Berufsorientierung entlang aller Bildungsphasen

Im Anschluss präsentierten seine Kolleginnen Prof. Dr. Bettina Hannover, Leiterin des Arbeitsbereiches Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freie Universität Berlin, Prof. Dr. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des Institutes für Schulentwicklungsforschung, Technische Universität Dortmund und Prof. Dr. Monika Jungbauer-Gans, Wissenschaftliche Geschäftsführerin, Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) die Ergebnisse des Gutachtens aus psychologischer Perspektive und entlang der einzelnen Bildungsphasen von den Kindertagesstätten bis hin zu den Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen. Dabei bildete die Lebenswelt und der Status Quo der Lernenden in den einzelnen Phasen die Ausgangsbasis für die Empfehlungen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bereits in der frühen Bildung ein vorzeitiger Eingrenzungsprozess der Berufsmöglichkeiten durch stereotype und geschlechtsspezifische Berufsbilder sowie sozialer Herkunft, Geschlecht und Bildungsbiografie immer noch ein Thema sei und dringend verbessert werden müsse, um die vielfältigen Möglichkeiten, die der Arbeitsmarkt heute bietet, erfahrbarer zu machen. Die Vortragenden kamen unisono zu dem Ergebnis, dass die Berufsorientierung in allen Altersphasen stattfinden und sowohl durch eine verbesserte Identifizierung der Interessen und Fähigkeiten als auch der Bereitstellung eines breiteren Wissens über Berufsbilder und deren Anforderungen gestärkt werden müsse. Nur auf diesem Wege könne die Überforderung der Lernenden reduziert und eine berufliche Souveränität durch das Bildungssystem gestärkt werden.

Zusätzlich wurde diskutiert, die berufliche Orientierung fest in den Orientierungsplänen der Länder, den Curricula für die Ausbildung des pädagogischen Personals sowie in den Fort- und Weiterbildungsangeboten der zuständigen Fachberater zu verankern. Des Weiteren betonte man die Bedeutung einer gestärkten praktischen Berufserfahrung in Schule und Unterricht.

Insbesondere für den Bereich der Hochschulen gab es folgende konkrete Verbesserungsvorschläge:

1. eine frühere Auseinandersetzung mit den Wünschen und Fähigkeiten, um eine größere Passung zwischen Studienfach und anschließenden Berufsmöglichkeiten zu erreichen
2. eine Verstärkung von Praxiselementen in akademischen Studiengängen
3. eine Verankerung der Praktika in den Studiencurricula
4. die Einführung eines ersten Studienjahrs als ‚Studium generale‘ mit anschließender Spezialisierung, um den Fachwechsel zu reduzieren
5. die Implementierung eines Frühwarnsystems bspw. durch ein Monitoring der Leistungsnachweise, um beratend zu reagieren und damit Studienabbrüche zu vermeiden

Im Anschluss an die Vorträge folgte eine lebhafte Diskussionsrunde mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Die Handlungsempfehlungen des Expertengremiums erwiesen sich dabei als wichtige Impulsgeber. Es bleibt abzuwarten, wie schnell und inwieweit die Umsetzung auch im Hinblick auf den Föderalismus in der Bildungspolitik ganzheitlich umgesetzt werden können.

Das Gutachten 2023 „Bildung und berufliche Souveränität“ und die vollständigen Inhalte der Veranstaltung finden Sie unter: https://vbw-aktionsrat-bildung.de/

TEXT Anja Nacken
FOTO Shutterstuck