Gesundheit  zum Studieren – Warum Gesundheitsfachberufe zunehmend auch als Studiengänge angeboten werden

Gesundheit zum Studieren – Warum Gesundheitsfachberufe zunehmend auch als Studiengänge angeboten werden

Das Gesundheitswesen ist einer der größten Arbeitsbereiche Deutschlands. 2017 waren bundesweit rund 5,6 Millionen Frauen und Männer im Gesundheitsbereich tätig, allein etwa 203.000 Personen in Schleswig-Holstein. Der Einstieg in die meisten Berufe erfolgt über die duale Ausbildung. Studieren musste jahrhundertelang nur, wer Arzt oder Ärztin werden wollte.

Um auf die veränderten Herausforderungen im Gesundheitsbereich zu reagieren, werden seit einigen Jahren Ausbildungsberufe „akademisiert“, das heißt, zusätzlich in Form eines Studiums angeboten. Was steckt dahinter? Welche Angebote gibt es bereits und welche sind zu erwarten verlagern. 

Akademisierung der Gesundheitsberufe

„An der Akademisierung der Gesundheitsberufe führt kein Weg vorbei“, meint Angelika Nicol, Pädagogische Leiterin am Bildungszentrum des Westküstenklinikums Heide (WKK). „Ohne akademisch ausgebildete Kräfte werden wir unsere Aufgaben zukünftig nicht mehr leisten können.“ Genau diese Empfehlung sprach 2012 der Wissenschaftsrat aus, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland. Bis zu 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs sollten zukünftig in gesundheitsrelevanten Studiengängen einen Studienabschluss erwerben. Mit welcher Zielsetzung?

Studierte Pflegekräfte – mehr Verantwortung, effektive Arbeitsteilung

Die Akademisierung sei erforderlich, weil das Gesundheitspersonal künftig komplexere Tätigkeiten ausüben müsse, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten. Der Bachelorabschluss solle zur unmittelbaren Arbeit am Patienten befähigen, bislang alleiniges Hoheitsgebiet der Ärzteschaft. Dafür müssten studierte Pflegekräfte zukünftig so ausgebildet werden, dass sie ihr Handeln auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse prüfen und ausführen können. Die übliche Ausbildung an berufsbildenden Schulen reiche dafür nicht aus. Welche Berufe sind bereits akademisiert? 

In Schleswig-Holstein gibt es bisher zwei Beispiele akademisierter Gesundheitsberufe. Seit dem Wintersemester 2014/15 bietet die Universität zu Lübeck das duale Studium „Pflege“ an (40 Studienplätze). Im WS 2017/18 wurde das dortige Angebot um die „Hebammenwissenschaft“ ergänzt (35 Studienplätze). 2020 wird am Bildungszentrum der Westküstenkliniken – in Kooperation mit der SRH Hochschule Gera – ein weiteres Gesundheitsstudium eingerichtet. Am 1. Oktober nehmen in Heide 20 neue Studierende das duale Studium „Physician Assistant“ (PA) auf.

„Physician Assistant“ (PA) – „neuer Beruf im ärtzlichen-Team“

Jenny studiert „Physician Assistant“ (PA), Abschluss: Bachelor of Science.

 

Auf der Intensivstation des WKK in Heide hat Jenny ihre Patienten im Blick. Im Notfall muss sie Beatmungsgeräte, Ultraschallsysteme, Infusionspumpen, Defibrillatoren und andere medizinische Geräte sekundenschnell bereitstellen und aktivieren können. Als ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin mit mehrjähriger Berufserfahrung verfügt sie über die notwendigen Kenntnisse, um Patienten zu überwachen, zu pflegen und alle Vorgänge zu dokumentieren. Eine Ultraschalluntersuchung (Echografie) darf sie allerdings nicht durchführen. Medizinische Untersuchungen, Diagnostik und Therapiekonzepte sind allein Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Diese Arbeitsteilung wird sich für Jenny und ihre Ärzte bald ändern. Sie gehört zu den wenigen, die den Bachelorstudiengang „Physician Assistant“ studieren – berufsbegleitend an der Steinbeis Hochschule Berlin. In Heide absolviert die 33-Jährige ihre Praxisblöcke. Mit dem Bachelorgrad zum „PA“ wird sie zukünftig echografische Bilder selbst anfertigen dürfen. Das bedeutet: mehr Verantwortung für Jenny, Entlastung für den Stationsarzt! Und für die Studierenden?

Viel Lernstoff und regelmäßige Klausuren kommen auf Studierende zu!

Trotzdem gefällt mir das Studium“, schwärmt Jenny. „Es ist interessant, anspruchsvoll und vermittelt mir neues Fachwissen. Durch meine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin verfüge ich bereits über ein breites Knowhow. Einige Studienthemen sind mir bekannt, das meiste aber ist neu. Die Pathologie hatte ich vorher nur am Rande kennengelernt, im Rahmen des Studiums erhielt ich intensive Einblicke. Mit Physiologie beschäftigt man sich auch während der Ausbildung, im dualen Studium wird dieses Thema nun wesentlich vertieft. Ein unbekanntes Gebiet war für mich die Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten. Ich muss im ersten Jahr eine 20-seitige Projektarbeit verfassen, im zweiten Jahr eine 40-seitige Studienarbeit und zum Schluss des Studiums eine 80-seitige Bachelorarbeit. Da ich berufsbegleitend studiere, bleibt mir wenig Zeit für andere Dinge. Aber ich weiß, dass sich die Anstrengung lohnen wird. Als angehende PA stehe ich als Assistentin vor einem neuen Aufgabengebiet an der Seite der Ärzte!“

Pro und Contra – Akademisierung der Gesundheitsberufe

„Müssen Pflegekräfte studiert haben?“, lautet die Frage. „Bis zu 20 Prozent wären sinnvoll“, so der Vorschlag des Wissenschaftsrats. Welche Argumente sprechen für eine Akademisierung, welche dagegen?

 

PRO

Pflegeberufe haben ein schlechtes Image. Der Fachkräftemangel sorgt für personelle Engpässe in vielen Einrichtungen. Die Akademisierung der Pflegeberufe ist ein notwendiger Schritt, um Nachwuchskräfte mit attraktiven Karrieremöglichkeiten in den Gesundheitsbereich zu locken. Das Format ‚duales Studium’ ist außerdem ein Erfolgsschlager und bedeutet: praxisnahes Studieren, eine attraktive Vergütung sowie eine enge Vernetzung mit Arztpraxen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen! Nutznießer sind auch die Patienten: Mit akademisch geschultem Personal finden vor allem neue wissenschaftliche Erkenntnisse schnelleren Eingang in die Praxis, sodass sich die Patientenbetreuung langfristig verbessert.

CONTRA

Zusätzliches Studienangebot: Ja. ‚Zwangsakademisierung‘: Nein. Der Fachkräftemangel in der Pflege trifft vor allem die „Eins-zu-Eins-Betreuung“ am Pflegebett – dafür qualifizieren nach wie vor die dualen Ausbildungsberufe in ausreichender Form, deren Bedingungen und Vergütungen zunächst deutlich verbessert werden müssen.

Was das kommende duale Studienangebot „Physician Assistant“ in Heide anbetrifft, so stehen alle Zeichen auf PRO! Der Geschäftsführer der Westküstenkliniken, Dr. Martin Blümke, betont: „Durch die Einrichtung des Studiengangs leisten wir einen wichtigen Beitrag gegen den Fachkräftemangel. Zum einen öffnen wir Pflegekräften oder MFAs neue Karrierewege. Zum anderen gewinnt die Region durch ein weiteres Studienangebot neben der Fachhochschule zusätzlich an Attraktivität.“ Angelika Nicol kann es kaum erwarten: „Wir freuen uns sehr, im Oktober 2020 in dieses innovative Studium zu starten. Es passt zu unserem besonderen Anspruch, Menschen bestens auszubilden, um sie anschließend an den Schnittstellen der Kliniken einsetzen zu können. Wir sehen ganz klar einen Bedarf und wünschen uns zahlreiche Bewerbungen!“

 

TEXT Christian Dorbandt
FOTOS Sebastian Weimar