FH 50 – Eine Hochschulform feiert Jubiläum

FH 50 – Eine Hochschulform feiert Jubiläum

Das deutsche Fachhochschulwesen wird 50 Jahre alt und strotzt nur so vor Selbstbewusstsein! Der Grund liegt auf der Hand: In den vergangenen 20 Jahren konnten viele Fachhochschulen ihre Studierendenzahlen verdoppeln! Den Anfang machten 1969 die drei schleswig-holsteinischen „FHs“ in Lübeck, Kiel und Flensburg. Heute gibt es bundesweit 216 Fachhochschulen … mit rund 1 Million Studierender. Grund genug, die Sektkorken knallen zu lassen und Bilanz zu ziehen.

Im Schiffsführungssimulator in Flensburg führt Claas ein Containerschiff durch den Atlantik; im Kieler Robotik-Raum bestückt Lasse eine Platine mit Dioden, um sie später im Soundlabor zu testen; im Lübecker Umwelt-Labor erforscht Kaína hygiene- und umweltverfahrenstechnische Lösungen. Drei Beispiele aus dem Alltag von FH-Studierenden in Flensburg, Kiel und Lübeck. „Es ist das praxisorientierte Studieren in überschaubaren Gruppen, das mir an meinem Fachhochschulstudium gut gefällt“, sagt Malte aus Kiel, Studierender der Angewandten Informatik.

Der Schiffsführungssimulator der Hochschule Flensburg

Der Schiffsführungssimulator der Hochschule Flensburg

„Ich möchte nicht täglich in überfüllten Hörsälen sitzen und mir das Wissen anschließend vorwiegend aus Büchern erarbeiten. Ich schätze es, mit anderen Studierenden im Team an Projekten praktisch zu arbeiten und in gut ausgestatteten Laboren zu üben. Dazu kann ich jederzeit meinen Professor ansprechen, der über eine langjährige berufliche Erfahrung in jener Branche verfügt, in der ich später arbeiten möchte!“ FH-Studiengänge liegen im Trend. Nicht Hörsäle, Formeln oder Fußnoten begeistern FH-Studierende, sondern angewandte Wissenschaften in FabLabs, Teams und Fallstudienprojekten. Etwas weniger Theorie, deutlich mehr Praxis – für viele Studieninteressierte der Generationen Y und Z ein attraktives Hochschulpaket.

Warum gibt es Fachhochschulen?

Die „staatliche Fachhochschule“ ist ein Kind der 1960er Jahre und war unter anderem eine Antwort auf die Forderung der Wirtschaft, die Grundlagen für eine verbesserte Qualifikation von Fachkräften zu schaffen. Im Kern bemängelten private und öffentliche Arbeitgeber, dass Absolventen mit Universitätsabschluss nach einer langen Studienzeit zusätzlich lange Einarbeitungszeiten benötigten, da sie kaum über praktische Erfahrungen verfügten. Auch die Anerkennung von Abschlüssen, zum Beispiel Diplome von Ingenieurschulabsolventen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), war eine Streitfrage. Am 31. Oktober 1968 beschlossen die Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer in der Kultusministerkonferenz das „Abkommen der Länder in der Bundesrepublik Deutschland zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Fachhochschulwesens“.

In Artikel 1 heißt es:

„Die Fachhochschulen sind eigenständige Einrichtungen des Bildungswesens im Hochschulbereich, die in mindestens einer der durch Vereinbarung der Ständigen Konferenz der Kultusminister anerkannten Fachrichtung ausbilden. Sie vermitteln eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Bildung, die zur staatlichen Abschlußprüfung führt und zu selbständiger Tätigkeit im Beruf befähigt.“

Eigenständig, wissenschaftlich fundiert, staatlich anerkannt, berufsbildend – mit den FHs revolutionierte der Gesetzgeber das bundesdeutsche Hochschulwesen und schuf nach rund 500 Jahren wissenschaftlicher Alleinherrschaft eine zweite, von Universitäten unabhängige Hochschulform. Bewusste Neuerung: Nicht allein das Abitur qualifiziert für ein FH-Studium, sondern auch die nachgewiesene Fachhochschulreife nach Abschluss der 12. Klasse, das Fachabitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ziele: breiterer Zugang zu akademischer Lehre und Forschung, Abbau eines traditionellen Elitedenkens, kürzere Studienzeiten, anwendungsorientierte Wissenschaft zur Unterstützung der Fach- und Führungskräfteausbildung. Einzige Fußfessel: Das Promotionsrecht obliegt bis heute allein den Universitäten. Noch, denn der Widerstand der Fachhochschulen wird stärker, und in vielen Fällen bieten Kooperationen mit benachbarten Universitäten bereits heute ein unbürokratischeres Promotionsverfahren für FH-Absolventen.

Kaína studiert Umweltingenieurwesen und -management an der FH Lübeck

Kaína studiert Umweltingenieurwesen und -management an der FH Lübeck

10 Gründe für den FH-Boom

Gründe für den derzeitigen Boom an deutschen Fachhochschulen gibt es viele. Hier zehn Beispiele:

1.) Das potenzielle Klientel hat sich mehr als verdoppelt. Heute absolvieren etwa 50 Prozent eines Jahrganges die Hochschulreife, in den 1970er Jahren waren es nur rund 20 Prozent.
2.) Der „Bologna-Prozess“ (seit 1999) führte zu einer europaweiten Vereinheitlichung von Studiengängen und somit zu gleichwertigen Bachelor- und Masterabschlüssen an FHs und Universitäten. 3.) Einstiegsgehälter von Universitätsabsolventen liegen nicht mehr deutlich über denen von FH-Absolventen.
4.) Der Bachelorgrad qualifiziert bereits nach 6 bis 8 Semestern zum Berufseinstieg in vielen Branchen.
5.) Die gleichwertige Kombination aus Theorie und Praxis entspricht dem Lebensgefühl der jüngeren Generation, die Abwechslung sucht und praktische Anwendung schätzt.
6.) Das Studieren in überschaubaren Seminargruppen in familiärer Campus-Atmosphäre wird unter Studieninteressierten der anonym wirkenden Hörsaal-Atmosphäre mit hoher Vorlesungsfrequenz vorgezogen.
7.) Kleinere Studierendenzahlen ermöglichen eine intensivere Betreuung durch die Dozenten.
8.) Die höhere Dichte von Fachhochschulen begünstigt die Entscheidung vieler Schulabgänger, in der heimatlichen Region zu studieren.
9.) Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen legen einen Schwerpunkt auf die Lehre und gelten aufgrund ihrer mehrjährigen beruflichen Tätigkeit in der Wirtschaft als Experten für Wissenstransfer.
10.) FH-Studierenden bieten sich in Praxissemestern und Fallstudienprojekten die frühzeitige Möglichkeit, öffentliche und private Arbeitgeber kennenzulernen und berufliche Netzwerke aufzubauen.

50 Jahre FH – Eine Übersicht

50 Jahre FH – Eine Übersicht (zum Vergrößern anklicken)

 

Im 2. Teil FLENSBURG, KIEL, LÜBECK – PIONIERE IM WANDEL DER ZEIT stellt ME2BE-Autor Christian Dorbandt die historische Entwicklung regionaler Hochschulen vor.

 

TEXT Christian Dorbandt
FOTO Hochschule Flensburg, Sönke Dwenger, Sebastian Weimar