Dr. Beate Kennedy über Kulturarbeit an der Wirtschaftsschule

Dr. Beate Kennedy über Kulturarbeit an der Wirtschaftsschule

Dr. Beate Kennedy ist seit 2006 Lehrerin an der Schule am Ravensberg, jetzt RBZ Wirtschaft. Kiel, und seit 2019 Koordinatorin für kulturelle Bildung an dieser Schule. Ebenfalls seit 2019 ist sie Kreisfachberaterin für Kulturelle Bildung. Von 2013 bis 2019 war sie Bundesvorsitzende im Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband, und seit 2013 ist sie Vorsitzende der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft in Eckernförde. Im Interview spricht Beate Kennedy über die Bedeutung Kultureller Bildung an einer Beruflichen Schule, über die Aufgaben der Schule und einzelne Projekte in diesem Bereich.

Vor allem wirtschaftliche Fächer prägen diese Berufliche Schule, aber auch Profile, die dem kulturellen Bereich zuzuordnen sind, finden hier breiten Raum. Welche Bedeutung besitzt Ihrer Ansicht nach Kulturelle Bildung an einer Schule mit dem Schwerpunkt Wirtschaft?

Hierfür ist es zunächst wichtig, sich den Kulturbegriff deutlich zu machen. Kulturelle Bildung wird häufig synonym gesetzt mit musischer oder ästhetischer Bildung, mit Kunst, Musik oder Theater und das ist natürlich richtig, umfasst aber nicht alles. Sie hat auch zu tun mit demokratischer Bildung, mit Umweltbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder gesellschaftlichem Engagement. Und sie hat damit zu tun, sich Traditionen und die regionale Kultur bewusst zu machen. Damit haben wir einen sehr umfassenden Kulturbegriff, der seine Ausprägung schon lange an dieser Schule findet.

Wie ist diese Ausrichtung zustande gekommen?

Die Schule hatte schon sehr früh ein stark kulturell geprägtes Profil; das ist quasi in ihrer DNA angelegt und sukzessive gewachsen. Das zeigt sich unter anderem daran, dass es am Beruflichen Gymnasium einige Kulturprofile gibt. Hinzu kommt die Fusion 2009 mit der Ludwig-Erhard-Schule am Schützenpark mit der Ravensberger Schule hier am Westring. Das Abendgymnasium mit seinen klassisch musisch-ästhetischen Fächern brachte viele Philologen und ihre Inhalte mit, die Berufliche Schule und die Wirtschaftsschule hatten ihre eigene Ausprägung mit zahlreichen Ausbildungsgängen im wirtschaftlichen Bereich.

Welche Rolle spielen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen dabei?

An unserer Schule bieten mehrere Lehrkräfte starke Arbeitsgemeinschaften im kulturellen Bereich an, wie die UNESCO-AG oder die Europa-AG, und wir führen schuleigene Aktionen wie beispielswiese den Demokratietag durch. Damit zeigen wir den Schülerinnen und Schülern, welche Möglichkeit es gibt, sich zu informieren und zu engagieren, und wir holen teilweise externe Akteure hinzu. Viele unsere Projekte werden erst möglich, weil wir eine Anstalt des öffentlichen Rechts sind und dadurch einfach mehr Freiheit haben, etwas zu gestalten.

Ich selber habe an dieser Schule zwei Aufgaben: Ich bin Studienrätin für Deutsch, Philosophie und Englisch am Beruflichen Gymnasium und mit einer halben Stelle abgeordnet als Kreisfachberaterin für Kulturelle Bildung. In dieser Funktion bin ich für alle Schulen in Kiel tätig und nutze meine Expertise natürlich auch für unsere Schule.

Sie beraten also Schulen als Kreisfachberaterin. Wie sieht diese Tätigkeit aus und wie können Sie konkret in die Schulen hineinwirken?

Als Kreisfachberaterin vermittle ich Schulen an Kunstschaffende in der Region und bringe sie zusammen, damit sie gemeinsam Schulprojekte voranbringen. Diese Schularbeit in Schleswig-Holstein ist auch insofern spannend, weil die Schulen mit immer mehr Anforderungen zurechtkommen müssen. Da wir vom Umfang der Unterrichtsstunden begrenzt sind, ist es unsere Mission, gezielte Maßnahmen durchzuführen. Das kann in Form von Projektwochen, Vorhabenwochen oder in Workshops mit externen Künstlern oder Vortragenden, mit Lesungen oder Theaterstücken geschehen. Im laufenden Unterricht werden diese Maßnahmen vertieft; so entstehen kreative kulturelle Impulse, die den fächerverbindendenden Unterricht ergänzen. Dadurch werden auch weitere Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler erwerben sollten, gefördert.

Könnten Sie das an einem konkreten Projekt verdeutlichen?

Schülerinnen und Schüler des damaligen 12. Jahrgangs an unserem Gymnasium haben im vergangenen Jahr zum Jahrestag der Bücherverbrennungen auf dem Wilhelmplatz eine szenische Performance zur Bücherverbrennung inszeniert. Eine Schülergruppe hatte hierfür nach gründlicher Recherche Plakate entwickelt, eine weitere eine öffentliche Lesung aus den Werken der betroffenen Dichter veranstaltet. Die Verfilmung der Lesung und die Ausstellung sind heute im Zentrum für Stadtgeschichte zu sehen. Damit wurde das Thema erneut und nachhaltig im Gedächtnis der Stadtgesellschaft verankert.

Wir haben das Projekt dieses Jahr wieder aufgegriffen. Dieses Mal haben Schülerinnen und Schüler aus dem 11. Jahrgang gemeinsam mit einer Audioregisseurin und einer Multi-Media-Künstlerin die Inhalte in ein Online-Format überführt und spielen dieses am 10. Mai über Social Media der Stadt Kiel aus. Das Projekt hat eine nachhaltige Verankerung in der Schule bekommen; es wird mit externen Akteuren und im Rahmen von ‚Schule trifft Kultur‘ durchgeführt.

Wie sieht Ihre praktische Arbeit als Lehrkraft aus?

Ich werde als Lehrkraft fächergebunden eingesetzt, vor allem mit Deutsch und Philosophie am Beruflichen Gymnasium. Ich unterrichte häufig im Profil Gesellschaft, Kultur oder Medien, da diese Bereiche ein erhöhtes Anforderungsprofil an den Deutschunterricht stellen. Damit bereite ich die Schülerinnen und Schüler auf das Abitur im Fach Deutsch vor und gebe zusätzlich Stunden in Philosophie. Das Schöne an meiner Arbeit ist auch, dass unsere Schülerrinnen und Schüler hier sein wollen. Sie unterliegen keiner Schulpflicht mehr und lernen freiwillig.

Können Sie als Lehrerin heute noch im Unterricht Werke von Goethe, Schiller, Thomas Mann oder Brecht lesen und interpretieren?

Die Bildungsstandards, die seit 2012 gelten, geben uns Lehrkräften schon vor, was Schülerinnen und Schüler eines bestimmten Jahrgangs wissen und können sollten. Somit ist nicht nur der eigene Anspruch gegeben. Wenn man dann das Abitur als Grundlage für die Studierfähigkeit nimmt, ist natürlich wichtig, dass sich die Schülerinnen und Schüler mit wirklich relevanten Themen auseinandergesetzt haben.

Nehmen wir als Beispiel die Auseinandersetzung mit den Themen Liebe und Hass oder Rache und Vergebung. Da gibt es in der klassischen, aber ebenso in der modernen Literatur viele Textbeispiele, die diese Themen in anspruchsvoller Weise in ihrer Vielschichtigkeit behandeln. Denn es geht auch darum, im Deutschunterricht darüber Diskussionen zu ermöglichen. Welche Texte das dann im Einzelnen sind, muss man natürlich schauen, aber dafür gibt es auch einen Literaturkanon, den das Kultusministerium vorlegt.

Welche besonderen Herausforderungen stellen sich dabei?

Kulturelle Bildung und damit der Deutschunterricht haben ebenso mit dem zu tun, was heutzutage verschwindet. Wir haben früher beispielsweise davon ausgehen können, dass die Bibel in Grundzügen geläufig war, und das ist heute so nicht mehr der Fall. Wir können alte Geschichten, Sagen oder Märchen nicht mehr als bekannt voraussetzen. Das bedeutet, literarische Texte fordern heute eine viel stärkere Vermittlungsarbeit. Hinzu kommen der sensiblere Umgang mit der Sprache und der Einfluss weiterer Kulturen; nicht zu vergessen: Die ersten Inklusionsschüler sind in der Oberstufe angekommen. Von daher ist Unterrichten komplizierter geworden, muss neue Aspekte einbeziehen und gesellschaftliche Veränderungen aufgreifen.

Gibt es kulturelle Arbeit über den gymnasialen Zweig des RBZ hinaus?

Es ist einfacher, wie dargestellt, Kultur in eine Vollzeitschule zu bringen als in die Berufsschule mit Blockunterricht und Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer. Die Schule hat diese Herausforderung mit der Einführung eines ‚Kultur-Euro‘ gut gemeistert. Am Anfang eines Schuljahres sammeln Lehrer einen Euro pro Schüler als ‚Kultur-Euro‘ ein. Bei heute rund 3500 Schülerinnen und Schülern kommt dabei viel Geld für eine Kulturarbeit zusammen, an der alle teilhaben. Die Lehrkräfte können mit ihren Schülerinnen und Schülern die so finanzierten Angebote wahrnehmen, wie Autorenlesungen, Vorträge zu künstlicher Intelligenz, Persönlichkeitsbildung, Puppentheater und vieles mehr.

Haben Sie zum Kant-Jahr 2024 bereits Projekte geplant?

Bei den Kolleginnen und Kolleginnen findet Immanuel Kant im Rahmen des Moralunterrichts statt, und bei mir gehört Kant immer als fester Bestandteil in den Philosophieunterricht. Bei mir kommt sozusagen keiner aus dem Unterricht raus, der nicht den kategorischen Imperativ hersagen kann und die vier Kant-Fragen kennt. Die ganz bestimmte Stringenz des Denkens und die Selbstlosigkeit, die da gefordert wird, stellen ein interessantes philosophisches Konzept dar, das wir ja auch in unseren Gesetzestexten wiederfinden. Wir können es durch Beispiele aus unserem täglichen Handlungsfeld oder aus Konfliktsituationen auf das Heute übertragen.

Sie sind auch Vorsitzende der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft. Können Sie das für Ihre Schularbeit nutzen?

Ja, für mich sind die Dinge schon sehr miteinander verbunden. Als Bundesvorsitzende im Fachverband Deutsch war für mich ganz klar, dass ich Lehrerfortbildungen mit initiiert habe und in dieser Lehrervertretung immer den Bezug zur Schule hatte sowie zur Kieler Universität. Mit der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft ist es ähnlich übergreifend. Wir wollen vor allem Wilhelm Lehmann wieder ins Bewusstsein bringen. Am RBZ kann das hin und wieder in lyrischen Texten geschehen. Bei größeren Inhalten und Projekten sind vor allem die Eckernförder Schulen angesprochen. Lehmann war ja ein Dichter aus Eckernförde und dadurch ist die Verankerung im Unterrichtsstoff dort eine ganz andere.

Glauben Sie, dass Sie mit (kultureller) Bildung dazu beitragen können, den sozialen Zusammenhalt zu stärken?

Das aktuelle Gutachten ‚Bildung und sozialer Zusammenhalt‘ hat unter anderem auch gezeigt, dass die Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden eine große Rolle spielen; dass die Schüler direktes Feedback brauchen und eine direkte Kommunikation erfolgen sollte. Das ist mir persönlich in meinem Unterricht immer ein Anliegen gewesen, dass eine Klassenatmosphäre entsteht, in der die Leute aufeinander Bezug nehmen, in der sie einander zuhören und einander ausreden lassen. Es ist wichtig, im Unterricht wirklich im Gespräch zu sein. Daher glaube ich, dass dieses beschriebene Setting stärker ist als der Schulstoff, so gut er auch sein mag. Wir brauchen eine gute Arbeitsatmosphäre und ein angstfreies Lernen für die Begegnung mit den jeweiligen Inhalten, und diese müssen dann vom Lehrer interessant gestaltet werden.

Dr. Kennedy, danke für das Gespräch

TEXT und FOTO Hilke Ohrt