Mariam Naseri ist 21 Jahre alt und die erste weibliche Vorsitzende des BFC, eines gemeinnützigen Vereins an der Kieler Uni und Fachhochschule. Der Club bietet unter anderem einen Börsenführerschein an, organisiert Events mit Firmen und besitzt ein Portfolio-Team, in denen virtuelle Aktiendepots angelegt werden.
Vielen Schülerinnen und Schülern sagt das gar nichts: Aktien, Portfolios, Renditen, ETFs, Kapitalerträge. Das liegt an der fehlenden „Finanzbildung“ in der Schule, sagt Mariam Naseri. Die gibt es so gut wie gar nicht – ein strukturelles Problem, findet sie.
Frau Naseri, Sie sind 21, Ihre Eltern und Ihr Bruder sind nicht in der Finanzbranche unterwegs. Sie dagegen streben eine Karriere in der Finanzwelt an und sind die erste weibliche Vorsitzende des BFC. Wie kam das?
An der Schule hat es sicher nicht gelegen. Das Thema Finanzbildung ist kaum besprochen worden. Es hat mich einfach interessiert und ich wollte mich in diesem Bereich weiterbilden und sehen, was die Finanzwelt bietet. Und gerade in einem Börsenverein lernt man nicht nur die Theorie. Wir arbeiten mit Unternehmen, organisieren Events, da nimmt man sehr viel mit und kann über den Tellerrand hinausschauen.
Auf welcher Schule waren Sie, und was haben Sie zu dem Thema Finanzwirtschaft gelernt?
Ich war auf einem ganztätigen Gymnasium in Kiel. Das Thema Finanzbildung ist sehr oberflächlich behandelt worden, wenn überhaupt. Wir hatten das Fach Wirtschaft und Politik. Da ging es um politische Entwicklungen, politische Historie und weniger um das Thema Finanzbildung: Wie kann ich mein Geld anlegen? Was kann ich mit meinem Geld machen? Wie sollte ich überhaupt als Jugendlicher anfangen zu sparen? Was ist ein Sparkonto? Solche Dinge wurden gar nicht angesprochen. Das fand ich sehr schade. Und das Thema Aktienmärkte war leider ebenfalls außen vor und wurde überhaupt nicht behandelt.
Welche Themen hätten Sie sich gewünscht?
Erstmal haben viele beim Thema Aktien das kurzfristige Traden im Kopf und weniger langfristiges Sparen und eine Strategie, wie man sein Geld sinnvoll in kleinen Schritten anlegen kann. Das sollte viel stärker in der Schulbildung im Vordergrund stehen. Schülerinnen und Schüler müssten an solche Themen herangeführt werden, um für die Zukunft einen Plan für ihr verdientes Geld zu haben. Aber auch grundsätzliche Themen: Was sind Steuern? Wie werden die verschiedenen Versicherungsarten wie z.B. Renten-oder Sozialversicherungen verrechnet? Das Wissen muss man sich mit der Zeit nach dem Abitur, und spätestens, wenn man seinen ersten eigenen Job hat, selbst aneignen.
Kann das auch an der Elterngeneration liegen? Finanzmärkte waren lange gleichgesetzt mit Zocken und Spekulanten. Die Deutschen legen im internationalen Vergleich wenig Erspartes in Aktien oder Fonds an.
Ja, definitiv. Ich glaube, wenn die Eltern schon am Kapitalmarkt gespart haben, dann ist es deutlich einfacher für die Kinder, einzusteigen und von ihnen zu lernen. Wenn es Kinder aus bildungsferneren Schichten sind, dann haben sie es schwerer, Zugang zu diesen Themen zu finden. Allein deswegen müssten solche Themen in der Schule besser vermittelt werden. Ich nenne das Finanzbildung. Wenn die Eltern davon kaum etwas verstehen und es nicht an ihre Kinder vermitteln können, sollte die Schule diese Wissenslücken versuchen zu schließen und die Schüler an solche Themen heranführen.
Was ist die Idee und worin besteht die Zielsetzung des BFC?
Der BFC wurde 2018 gegründet mit der Idee, Studierende auf eine Karriere in der Finanzwelt vorzubereiten. Wir sind ein regionaler gemeinnütziger Börsenverein im Dachverband des Bundesverbands der Börsenvereine an deutschen Hochschulen e.V. (BVH). Unter anderem machen wir Bildungsangebote, zum einen den Börsenführerschein, bei dem man vier Module belegt, die inhaltliche Schwerpunkte wie zum Beispiel zur Geschichte der Börse und des Kapitalmarktes, aber auch zu Aktien, Fonds, Optionen sowie zu Anlagephilosophien abdecken. Für Bewerbungen kann man sich dann das damit erworbene Zertifikat nach Bestehen der Abschlussprüfung ausstellen lassen.
Zudem gibt es regelmäßig Events, bei denen wir mit Unternehmen zusammenkommen und zum Beispiel Case Studies durchführen, wo die Studierenden einen realen Fall aus dem Unternehmen erarbeiten und dann in kleinen Teams präsentieren.
Also kurz gesagt: Der BFC hat sich das Ziel gesetzt, Theorie und Praxis in der Finanzwelt zusammenbringen und die Studierenden auf eine Karriere in diesem Bereich vorzubereiten.
Geht es dabei also immer ausschließlich um Firmenevents, wenn Sie die Praxis ansprechen?
Nein, wir haben auch ein Portfolio-Team. Das trifft sich regelmäßig und legt ein virtuelles Aktien-Portfolio an. Damit treten wir gegen Teams anderer Börsenvereine an. Die Teams managen die Portfolios gemeinsam. Wir haben Aktien aus Europa, aus den USA, aus Asien und sind damit global aufgestellt. Das Portfolio-Team ist quasi der Kern des BFC, mit dem wir ganz nah am Kapitalmarkt agieren.
Wie ist denn die generelle Strategie? Sie handeln ja nicht mit echtem Geld, geht man da eher ins Risiko?
Nein, bei uns wird nicht gezockt. Die Idee des Portfolio-Teams ist, langfristig eine stabile Rendite zu erzielen. Wenn man kurzfristig tradet, kann es auch mal schnell dazu kommen, dass man einen Verlust von minus 40, 50 Prozent verzeichnet. Und das ist nicht unser Ziel. Deswegen versuchen wir, unsere Portfolio-Rendite so konstant wie möglich zu halten und auch logische Entscheidungen auf langfristige Sicht zu treffen, um das Portfolio nicht auf die kurzfristige Schiene zu schieben. Bislang ist diese Strategie auch sehr gut gelaufen. Zum Beispiel haben wir im letzten Jahr mehrere Male alle anderen regionalen Börsenvereine bundesweit hinsichtlich der Rendite geschlagen. Das motiviert uns natürlich auch, genauso weiter zu machen.
Das ist ja alles virtuelles Geld. Meinen Sie, damit geht man anders um als mit echtem?
Ich denke schon, denn wenn man mit virtuellem Geld umgeht, hat man weniger emotionale Bindung, als wenn es tatsächlich das eigene Geld ist.
Bei echtem Geld tun die Verluste weh, die nicht mitgenommenen Gewinne aber auch.
Sofern mit echtem Geld gehandelt und Gewinne erzielt werden, verkauft man meistens zu früh, obwohl mehr rauszuholen gewesen wäre – aus Angst, dass es wieder bergab gehen könnte, wird man zu ungeduldig. Und sollte es bergab gehen, lässt man die Verluste schleifen und schleifen, verkauft am tiefsten Punkt, und wenn die Kurse wieder steigen, kauft man eventuell wieder am höchsten Punkt. Rückblickend sind an den einzelnen Wendepunkten eben die falschen Entscheidungen getroffen worden – Gewissheit gibt es aber nie. Meiner Meinung nach ist dieser Bereich der Anlegerphilosophie gerade deshalb so spannend, weil daran am besten erkennbar ist, wie einflussreich Emotionen am Kapitalmarkt sein können. Man lässt sich allzu oft von seinen Emotionen leiten, hat Angst vor Verlusten und noch mehr Angst, den Zeitpunkt für den günstigsten Einstieg zu verpassen. Wenn man das Ganze aber langfristig aufbaut und in ETFs investiert, dann kann es einem egal sein, wie viel Gewinn oder Verlust man in drei oder vier Tagen erzielt hat, weil man sich auf den langfristigen Horizont konzentriert.
Reden Sie auch über Themen wie Spielsucht? Ist das ein Thema?
Spielsucht ist für jeden einzelnen sicherlich sehr wichtig. Allerdings geht es in unserem Verein vielmehr darum, den Studierenden die Theorie über die Börse und Kapitalmärkte und die Praxis über Firmenevents näher zu bringen. Wir haben deshalb bislang kein ein einzelnes Event zum Thema Spielsucht gehabt. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel den BFC im Rahmen einer NDR-Sendung namens „Die Tricks“ repräsentiert und dort über das Thema Trading sowie seine Vor-und Nachteile, wozu auch die Risiken zählen, ausführlich gesprochen. Zudem kann es auch immer wieder mal sein, dass ein anderer norddeutscher Börsenverein ein Event zu diesem Thema durchführt. Da wir seit dem letzten Jahr stärker mit den anderen Vereinen im Norden zusammenarbeiten, laden wir unsere Mitglieder auch zu solchen Events ein. So können alle Vereine von solchen Weiterbildungsformaten profitieren, die für jeden Kleinanleger wichtig sind – gerade, wenn diese planen, kurzfristig anzulegen.
Wie hoch ist bei Ihren Mitgliedern der Anteil der Frauen?
Ja, das ist ein schwieriges Thema: Rund 85 Prozent der Mitglieder sind Männer und nur 15 Prozent Frauen – bei rund 300 Mitgliedern also eine sehr überschaubare Frauenquote. Ich vermute, Frauen legen weniger den Fokus auf eine Karriere in der Finanzbranche und trauen sich seltener an solche Themen heran. Viele, die ich kenne, interessieren sich für zum Beispiel für Marketing oder Personalmanagement. Vermutlich auch aus persönlichen Gründen, weil sie womöglich als Frau irgendwann eine Familie gründen möchten und Karriere und Familie in vielen Bereichen in der Finanzbranche – gerade für Frauen – leider immer noch ein schwieriges Thema ist. Das habe ich auch in meinen Praktika in einer Bank feststellen können.
Investieren Frauen eigentlich anders?
Ich glaube, dass Frauen vorsichtiger sind beim Investieren, also stärker auf die Risikoseite achten und Entscheidungen noch mal durchzudenken. Männer treffen die Entscheidungen aus meiner Sicht viel schneller, sind also bei diesem Thema risikofreudiger bzw. mutiger. Ob das immer richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.
Wie oft werden Sie eigentlich nach Aktien-Tipps gefragt?
Ich gebe nie Aktien-Tipps für einzelne Titel, weil ich nicht verantwortlich sein möchte, wenn dort mal etwas schief geht. Wie in den letzten Monaten und Jahren zu sehen war, weiß man nie, was mit einem Unternehmen in vier, fünf Monaten durch unerwartete Ereignisse passieren kann. Deswegen gebe ich eher Tipps zur Finanzbildung, wo und wie man sich informiert, zum Beispiel welche Branche interessant sein könnten, so dass sich jeder selbst seine Meinung bilden kann, ob er investieren möchte oder nicht. Das erscheint mir das Allerwichtigste zu sein. Schließlich wird es ohne Überzeugung in sein eigenes Portfolio schwer, dieses auch langfristig zu halten.
Gilt eigentlich noch die alte diese Börsenregel, Aktien kaufen, zehn Jahre nicht drauf schauen und dann die Gewinne einstreichen?
Im Prinzip ja, aber ich würde mein Portfolio nicht zehn Jahre ruhen lassen und nichts daran tun. Sondern immer schauen, ob es noch optimierbar ist, ob man vielleicht noch eine gewisse Branche in sein Portfolio aufnimmt. Regelmäßig ergeben sich ja immer Entwicklungen am Markt, die auch gewisse Chancen in gewissen Branchen oder einzelnen Unternehmen bieten. Insofern würde ich meine Augen und Ohren immer offen halten und die Entwicklungen am Aktienmarkt regelmäßig mitverfolgen. Passives Management mit einer aktiven Beimischung ist meiner Meinung nach die beste Lösung.
TEXT Christian Bock
FOTO Nikita Mädge