Daten gelten als das neue Gold. Doch viele Organisationen, Einrichtungen und Unternehmen wissen nicht, was sie mit ihren vermeintlichen Schätzen anfangen sollen. Dafür braucht es Spezialisten. Diese „Data Scientists“ werden seit Herbst 2019 in einem drei Semester langen Master-Studiengang an der FH Kiel von drei Professoren ausgebildet. In vielerlei Hinsicht ist es eine Premiere. Im Wintersemester 2019/2020 startete an der Fachhochschule Kiel der Studiengang „Data Science“. Prof. Dr. Dirk Frosch-Wilke erklärt, wie es dazu kam, worum es geht und welche Perspektiven sich Studierenden eröffnen.
„Wir sind schon stolz darauf, wie schnell es mit dem neuen Studiengang geklappt hat“, sagt Dirk Frosch-Wilke erfreut. Der 54-jährige Prodekan des Fachbereiches Wirtschaft und Professor für Wirtschaftsinformatik leitet den gemeinsamen Ausschuss „Data Science“. Tatsächlich hat es von der Idee bis zur Genehmigung nur wenige Monate gedauert. Die Idee dazu hatte ein Viererteam: Vizepräsident Prof. Dr.-Ing. Klaus Lebert, Prof. Dr. Jens Lüssem vom Institut für Angewandte Informatik, Prof. Dr.-Ing. Weber, Dekan vom Fachbereich Informatik und Elektrotechnik, sowie der Dekan des Fachbereichs Wirtschaft, Prof. Dr. Björn Christensen. Wiederholt beklagten Unternehmen verschiedener Branchen, dass sie dringend Experten zur Datenanalyse benötigten. Kein Wunder, denn in ganz Schleswig-Holstein gab es kein entsprechendes Ausbildungsangebot. So wurde die Idee zum neuen Studiengang „Data Science“ geboren.
„Aufgrund der Nachfrage aus der Wirtschaft und unserer Kompetenzen an der Hochschule waren das ideale Voraussetzungen, um ein solches Angebot zu schaffen“, erinnert sich Frosch-Wilke, der im Dezember 2018 zum Team stieß. Im Dezember 2018 wurde der Antrag eingereicht, den neuen Studiengang einzurichten. Im Paket war auch ein Schreiben von etwa 25 regionalen Unternehmen. Darin sicherten diese ihre Unterstützung zu und bescherten dem Antrag weiteren Rückenwind.
Seit Mai 2019 können sich Interessierte für den neuen Master-Studiengang bewerben. Bis zu 20 Studierende sollen jedes Semester zugelassen werden. Doch nicht nur, dass es das einzige Angebot dieser Art in Schleswig-Holstein ist, macht den Studiengang zu etwas ganz Besonderem. „Data Science ist keinem Fachbereich zugeordnet. Stattdessen kümmert sich ein gemeinsamer Ausschuss aller Fachbereiche und Mitgliedergruppen um die organisatorischen und administrativen Belange“, erklärt Frosch-Wilke. Das habe Herausforderungen hinsichtlich der Zuständigkeiten mit sich gebracht. „Aber wir haben das alles schnell aus dem Weg geräumt. Es ist ein tolles Gefühl, dass das Projekt so viel Unterstützung erhält.“
Wir verstehen Data Science als ein Handwerkszeug, das sich in allen Disziplinen anwenden lässt und das dafür sorgen kann, neue Antworten und Einsichten zu erreichen.
Allerdings ist die organisatorische Eigenheit auch eine Botschaft, denn der neue Master-Studiengang versteht sich als interdisziplinär und ist grundsätzlich für alle Studierenden offen. Die formalen Voraussetzungen sind überschaubar: ein Bachelor-Abschluss, Kenntnisse in den Fächern Mathematik/Statistik und Informatik sowie Englisch (Niveaustufe B2).
Die heterogene Zielgruppe ist für FroschWilke besonders reizvoll, denn von den vielen Perspektiven könnten alle Beteiligten profitieren. „Wir verstehen Data Science als ein Handwerkszeug, das sich in allen Disziplinen anwenden lässt“, erklärt er. So könnten Data Scientists in der Landwirtschaft effektivere Methoden für die Aussaat aufzeigen oder im Online-Handel Kunden passgenaue Produkte anbieten. In der Industrie können die Datenexperten analysieren, wann Maschinen gewartet werden müssen. So wird verhindert, dass Geräte ausfallen. Wer in der Lage ist, aus Daten Erkenntnisse zu schöpfen, kann dies in jeder Disziplin produktiv anbringen.
Doch was sind eigentlich die Daten, die die Arbeitsgrundlage bilden? „Daten sind eigentlich überall“, erklärt Frosch-Wilke. „Das große Buzzword ist zwar ‚Big Data‘, Datenbanken voller Informationen über Transaktionen. Daten finden sich auch in Texten, Videos oder Tonaufnahmen.“ Grundsätzlich unterschieden die Wissenschaftler zwischen unstrukturierten Daten und den strukturierten Daten, mit denen man einen Algorithmus füttern kann. So kann es sein, dass ein Data Scientist zunächst kreativ Wege finden muss, aus unstrukturierten Daten eine verwertbare Datenbasis zu machen. In einem zweiten Schritt analysiert der Algorithmus die strukturierten Daten auf eine bestimmte Fragestellung hin. Anschließend geht es darum, die Ergebnisse so aufzubereiten, dass das Ergebnis verständlich wird. Wichtig ist es Frosch-Wilke zu betonen, dass es nicht nur um das Vermitteln des Handwerkszeugs geht:
„Es geht uns auch darum, die Studierenden dazu zu bringen, sich kritisch mit Fragen des Datenschutzes und der Ethik auseinanderzusetzen.“
Das Problem sind dabei nicht die Daten, sondern ihre Zusammenführung. Denn so lassen sich theoretisch auch Informationen gewinnen, die gegen gesetzliche Regelungen verstoßen. Die Forderung nach der kritischen Reflexion geht jedoch über das eigene Handeln hinaus. Studierende sollen ebenso sensibel im Umgang mit dem technischen Handwerkszeug sein. Die Aussagen, die ein Algorithmus über Zukünftiges trifft, basieren immer auf Daten aus der Vergangenheit. „Wenn ein Datensatz besagt, dass in der Vergangenheit keine Kredite an bestimmte Personengruppen vergeben wurden, wird der Algorithmus diese wohl auch künftig diskriminieren. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte … die Arbeit einer Software ist nur so objektiv wie die Programmierer, die sie geschaffen haben“, erklärt Frosch-Wilke. Neben Datenethik und Datenschutz steht daher auch Statistik auf dem Lehrplan. Auch die Vermittlung von Grundkenntnissen in den Programmiersprachen ist Teil des Curriculums. All das soll den Absolventen/innen schließlich ermöglichen zu erkennen, ob man den Ergebnissen der Algorithmen trauen kann.
Einen bedeutenden Teil des Studiums nimmt die Projektarbeit ein. Studierende sollen ihre Kenntnisse frühzeitig in Unternehmen und Einrichtungen auf die Probe stellen. Dabei gilt es, nicht nur Antworten auf bestehende Fragen zu finden, sondern auch Ansätze zu entwickeln, welche Antworten und Erkenntnisse bestehende Daten geben können. Zudem sind kommunikative Fähigkeiten, Sozialkompetenz und Einfühlungsvermögen gefragt, wenn es darum geht, die gewonnenen Einsichten zu kommunizieren. Diesen typischen Praxisbezug sieht Professor Frosch-Wilke als besonders wichtig an.
Absolventen/innen stellt Frosch-Wilke eine rosige Zukunft in Aussicht. Im kalifornischen Silicon Valley sei der Arbeitsmarkt für entsprechende Fachkräfte leergefegt. Hierzulande sei die Entwicklung noch nicht so weit, aber immer mehr Unternehmen entdecken die Möglichkeiten der Datenanalyse. Entsprechend seien die Aussichten für Data Scientists blendend.
Doch für wen ist Data Science das Richtige? „Neugier, Interesse an Technik und Freude an der Kommunikation“ sind für Dirk Frosch-Wilke die Eigenschaften, die einen guten Data Scientist auszeichnen. Das Interesse an verschiedenen Datentypen, Spaß am Umgang mit den technischen Werkzeugen und die Suche nach der richtigen Fragestellung sei ebenfalls wichtig. Besonders reizvoll ist es jedoch, dass Data Scientists über ein Instrumentarium verfügten, das aus Daten neue und vielfach nützliche Zusammenhänge aufzeigt, die anderen verborgen bleiben.
TEXT Joachim Kläschen
FOTO Matthias Pilch