Von Kunsttherapie bis Musiktherapie – auf dem neuesten Stand der Wissenschaft
„Die Vermittlerin des Unaussprechlichen” ist sie für Johann Wolfgang von Goethe, „eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet wird” für José Ortega Y Gasset: die Kunst in all ihren Facetten und Ausdrucksformen. An der MSH Medical School Hamburg lernen Studierende ihre heilende Wirkung in den Studiengängen Musiktherapie, Theatertherapie, Tanztherapie und Kunsttherapie anzuwenden. Wir von ME2BE waren für euch vor Ort und haben mit den Professorinnen gesprochen.
Künstlerische Therapien erfreuen sich einer wachsenden Anerkennung und Nachfrage, sodass sie heute immer häufiger in der medizinischen und psychologischen Praxis eingesetzt werden, um eine Vielzahl von physischen, emotionalen und mentalen Problemen, aber auch Krankheiten zu behandeln. Sie fördern kreative Ausdrucksformen, steigern das Wohlbefinden, reduzieren emotionale Belastungen und unterstützen die körperliche Genesung.
Künstlerische Therapien können dazu beitragen, unterschiedliche Aspekte des individuellen Ausdrucks zu erfassen und zu behandeln. Zum Beispiel kann eine Kombination von Musik- und Tanztherapie das Körperbewusstsein und die emotionale Selbstregulierung verbessern, während eine Kombination von Kunst- und Theatertherapie sich positiv auf Konfliktbewältigungs- und soziale Fähigkeiten auswirken kann. „Sowohl in der wissenschaftlichen Arbeit als auch in den Seminaren profitieren wir sehr davon, wenn alle vier Studiengänge unter einem Dach im Department Künstlerische Therapien gelehrt werden”, erklärt Simone Klees, Professorin für Theatertherapie an der MSH. Die Fakultät Art, Health and Social Science umfasst das Spannungsfeld zwischen Kunst, Gesundheit und Sozialwissenschaften. Bestimmt wird die Arbeit in diesem Department durch interdisziplinäres Denken und Streben nach Innovation.
Sowohl in der wissenschaftlichen Arbeit als auch in den Seminaren profitieren wir sehr davon, wenn alle vier Studiengänge unter einem Dach im Department Künstlerische Therapien gelehrt werden. (Simone Klees)
„Wo Sprache aufhört, fängt Musik an.” (E.T.A. Hoffmann)
Wie die heilende Wirkung der Musik therapeutisch eingesetzt werden kann, erlernen die Studierenden an der MSH Medical School Hamburg. Denn sie vermag oft viel gezielter als die reine Sprache, Gefühle anzusprechen, die im Unterbewusstsein verborgen liegen. „Klänge werden bereits pränatal im Bauch der Mutter wahrgenommen und begleiten uns ein ganzes Leben lang”, weiß Anne-Katrin Jordan, Professorin für Musiktherapie und Musikpädagogik an der MSH. Mit ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin und Professorin prägt sie gemeinsam mit Prof. Dr. Till Florschütz und Prof. Dr. Jan Sonntag den Studiengang Musiktherapie, der von einem interdisziplinären Austausch mit anderen künstlerischen sowie psychologischen Studiengängen im Department Art, Health and Social Science lebt.
Neben medizinischen und psychologischen Grundlagen bilden das Erlernen von Musikinstrumenten wie Klavier, Gitarre und Percussion sowie die Ausbildung der eigenen Stimme einen großen Schwerpunkt im Studium. „Wir arbeiten auch mit Instrumenten, die speziell für die Musiktherapie entwickelt wurden, wie etwa die Klangliege. Die Resonanz der Saiten bringt den Körper des Patienten zum Schwingen und umhüllt ihn mit Tönen. Das Zusammenspiel der körperlichen Schwingung und der sogenannten Tambura-Stimmung*, die wir mit dem Klang erzeugen, können Patientinnen und Patienten in eine Tiefenentspannung bringen“, erklärt Anne-Katrin Jordan. Anwendung findet diese Methode zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten im Wachkoma, die durch die Schwingung wieder lernen, ihren Körper zu spüren.
Das besondere Wirkungsfeld der Musiktherapie erfolgt über die Emotion. So stellt sie eine spannende Ergänzung zur psychologischen als auch medizinischen Behandlung dar und findet Einzug in immer mehr Bereiche: angefangen von der Therapie mit Frühgeborenen bis hin zur palliativen Behandlung im Hospiz. „Während Patienten im Gespräch Themen verweigern können, setzt die Musik ganz automatisch Emotionen frei und wirft Themen auf, über die wir anschließend in der Reflektion sprechen”, erklärt Anne-Katrin Jordan.
Um therapeutische Sitzungen mit Gruppen oder im Einzelaustausch in Schulen, Psychiatrien, Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten oder in anderen Einrichtungen routiniert durchzuführen, lernen die Studierenden improvisatorische Fähigkeiten, die Liedbegleitung, den Umgang mit digitaler Musik sowie musiktherapeutische Basis- und Kernkompetenzen. Weitere wichtige Säulen des Studiums bilden zudem ethischen Grundlagen, Berufsrecht sowie Hintergründe der Musikgeschichte. Der Studiengang richtet sich an Studierende, die eine Leidenschaft für Musik und ein Interesse an der Anwendung von Musik in der Arbeit mit Menschen in verschiedenen therapeutischen Kontexten besitzen.
* Die Körpertambura ist ein intuitiv zu spielendes Klanginstrument, das sich besonders gut für Klangbehandlungen oder Klangmassagen eignet, da es zur Klangbehandlung oder Klangmassage auf den Körper aufgelegt werden kann.
„Tanzen ist eine Kunst, die die Seele prägt.” (Shirley MacLaine)
Die Tanztherapie ist eine künstlerische Therapieform, die Bewegung und Tanz nutzt, um Gefühle auszudrücken und zu bearbeiten, die Interaktion mit anderen und mit sich selbst fördert sowie dazu einlädt, die eigene Biografie zu erforschen. In dem Bachelor-Studiengang Tanztherapie lernen die Studierenden praktische und theoretische Kenntnisse in den Bereichen Tanz, Psychologie und Therapiewissenschaften, um später in verschiedenen therapeutischen Kontexten arbeiten zu können.
Ähnlich wie bei Tanzabenden mit Freunden wird der Tanz im therapeutischen Kontext als Mittel der Kommunikation und zur Freude an der Bewegung genutzt. Der Tanz wird jedoch auch zielführend eingesetzt und die Tanzenden reflektieren das Erlebte. „Dabei geht es nicht allein darum, Gefühle wahrzunehmen, sondern auch Emotionen zu regulieren und den Bezug zum Alltag herzustellen”, erklärt Nicole Hartmann, Professorin für Tanztherapie an der MSH. Denn die Art und Weise, wie wir uns bewegen, ist eng mit unseren Gefühlen, Erinnerungen und unserem Verhalten verbunden.
Im therapeutischen Kontext bieten wir Erfahrungsräume an, in denen sich Klientinnen und Klienten in der Bewegung und im Tanz neu erleben. (Nicole Hartmann)
Haben Menschen Probleme mit der freien Bewegung, können auch Hilfsmittel eingesetzt werden. Bälle, Stöcke oder Tücher können Bewegungsqualitäten sowohl hervorrufen als auch unterstützend wirken. Hat eine Klientin oder ein Klient zum Beispiel Probleme damit, in die Kraft zu kommen, können Ball oder Stock einladen, sich kraftvoll zu bewegen und den Spaß daran zu entdecken. „Im therapeutischen Kontext bieten wir Erfahrungsräume an, in denen sich Klientinnen und Klienten in der Bewegung und im Tanz neu erleben. Über das Körpergedächtnis können Erinnerungen ins Bewusstsein gelangen, die mit Bewegung und Tanz ausgedrückt und bearbeitet werden. Im reflektierenden therapeutischen Gespräch wird das Erlebte eingeordnet und in Bezug zum Alltag und zu der Biografie gesetzt“, erläutert Nicole Hartmann. Das Handwerkszeug für diese Arbeit lernen Studierende der MSH in dem Studiengang Tanztherapie.
„Alle Künste (also auch das Theater) tragen bei, zur größten aller Künste, der Lebenskunst.” (Bertolt Brecht)
Ab Oktober 2023 wird das Department Art, Health and Social Science um den Bachelor-Studiengang der Theatertherapie unter der Leitung Simone Klees erweitert. „Meine Vision ist, Theatertherapie einerseits an mehr Kliniken zu etablieren und ein klinisches Netzwerk aufzubauen. Andererseits nehme ich auch in Kindergärten und Schulen einen zunehmenden Bedarf an künstlerischen Therapien wahr: Die spielerische, interaktive Vorgehensweise in der Theatertherapie zeigt im Umgang mit Kindern beispielsweise sehr schnell, ob ein weiterer Therapiebedarf besteht”, erklärt Simones Klees, Professorin für Theatertherapie an der MSH Medical School Hamburg.
Das Studienprogramm führt in der Theatertherapie Elemente der Schauspielkunst und der Psychotherapie zusammen, um den Studierenden Fähigkeiten zu vermitteln, die sie in der Arbeit mit Menschen in verschiedenen therapeutischen und sozialen Kontexten einsetzen können.
Theatertherapie besteht im Allgemeinen aus drei Phasen: Sie beginnt mit der Aufwärmphase, in der es für eine Klientin oder einen Klienten darum geht, im Körper anzukommen und eine Beziehung zur Gruppe und der Therapeutin oder dem Therapeuten aufzubauen. „In der darauffolgenden Spielphase geht es darum, interaktiv einen Spielraum in einer theatralen Wirklichkeit zu erzeugen, in dem Dinge passieren dürfen, die nicht alltäglich sind. Die Klientin oder der Klient wird ermutigt, einen eigenen Ausdruck zu finden. Im Spiel mit Geschichten oder Rollen entsteht die Möglichkeit, Gefühle aus einer ästhetischen Distanz zu erforschen, ohne von ihnen überwältigt zu werden“, so Simone Klees. Mithilfe verschiedener Techniken gilt es, Erfahrungen und Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen und zu verarbeiten. In der Reflexionsphase gilt es schließlich, Bezüge herzustellen und das Erlebte in den Alltag zu integrieren. Im Studium der Theatertherapie lernen die Studierenden, wie sie die eigene Spielfreude einbringen, um Klientinnen und Klienten Wege zu eröffnen, gemeinsam einen sicheren Spielraum zu erzeugen – sei es in Schulen, Kliniken oder aber im sozialen Bereich – etwa mit Menschen mit Fluchterfahrung.
„Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.” (Pablo Picasso)
Wie der kreative Prozess in der künstlerischen Arbeit seine Wirkung entfaltet, lernen die Studierenden der MSH Medical School in dem Bachelorstudiengang Kunsttherapie. Zum Einsatz kommen dabei ganz unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen, wie etwa Malerei, Zeichnung und Performance. „Da eine kunsttherapeutische Sitzung auch als performatives Geschehen wahrgenommen wird, verstehen wir Kunsttherapie an der MSH primär aus der Perspektive der Kunst. Wir gehen also mit den Klientinnen und Klienten in einen künstlerischen Prozess, den wir therapeutisch begleiten und in einen Zusammenhang mit der Lebenswirklichkeit setzen”, erläutert Judith Revers, Professorin für Kunsttherapie an der MSH. Wichtige Lerninhalte des Studiums bilden neben der künstlerischen Praxis, die Kunsttheorie, Kunstgeschichte, und die psychologischen Grundlagen.
Unter anderem angelehnt an die Methoden der Performancekunst lernen die Studierenden wie man sich auf intensive Begegnungen mit unklarem Ausgang vorbereitet – immer mit der Zielsetzung vor Augen, für die Menschen mit denen gearbeitet wird einen Raum zu schaffen, in dem sie sich selbst überraschen können. Denn eine künstlerische Therapie kann helfen, sich abseits von festgefahrenen Problemen neu zu entdecken. Durch den kreativen Prozess werden neue Perspektiven eingenommen und in Folge Ressourcen entwickelt.
Diese und weitere Lerninhalte befähigen Absolvierende des Studiengangs in Kunsttherapie an der MSH Medical School Hamburg dazu, als Kunsttherapeutinnen und -therapeuten in verschiedenen Bereichen zu arbeiten, wie zum Beispiel in Kliniken, psychiatrischen Einrichtungen, Praxen oder in der Sozialarbeit.
Zu den Professorinnen:
Anne-Katrin Jordan
Die Professorin für Musiktherapie studierte Musik- und Erziehungswissenschaften an der Freien Universität Berlin und Musiktherapie an der Universität der Künste Berlin. Sie promovierte in der empirischen Musikpädagogik an der Universität Bremen. Ihr Forschungsschwerpunkt: Musiktherapie in pädagogischen Settings mit Mixed-Method Design. Seit 2016 arbeitet sie als Musiktherapeutin mit Kindern und Jugendlichen.
Nicole Hartmann
Die Professorin für Tanztherapie studierte Tanz und Performance Studies und arbeitete als klinische Tanztherapeutin. Ihre Arbeit bewegt sich an den Schnittstellen von Performancekunst, Therapie und Wissenschaft.
Simones Klees
Die Professorin für Theatertherapie studierte Soziologie und Psychologie an der Universität Hamburg und Goldsmiths University of London. Zugang zur Theatertherapie fand sie über die Arbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen und eigene Schauspielerfahrungen sowie ihre Arbeit im psychosozialen Feld, die den Wunsch weckte, nonverbal und spielerisch mit den Menschen in Kontakt zu treten. Sie promovierte in der darstellenden Kunst an der Universität der Künste Berlin zu Prozessen ästhetischen Erlebens in der Theatertherapie. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen theatertherapeutische Spielprozesse und Wirkweisen.
Judith Revers
Die Professorin für Kunsttherapie schafft Räume für zeitgenössische Kunst und Kunstschaffende in Gesellschaft und Öffentlichkeit. Sie studierte Malerei und Grafik an der Akademie der bildenden Künste Wien und promovierte dort 2014 in Kunst- und Kulturwissenschaftlichen Studien. 2018 schloss sie ihren Master in Intermedialer Kunsttherapie an der Medical School Hamburg ab und befasste sich unter diesem Gesichtspunkt mit der Performance The Artist Is Present von Marina Abramović.
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Wir haben Amélie und Luisa gefragt, wie ihnen die Studiengänge Musiktherapie und Kunsttherapie gefallen.
Weiterei Informationen zur MSH und zu den Studiengängen Musiktherapie, Tanztherapie, Theatertherapie und Kunsttherapie.
TEXT Sophie Blady
FOTO Caren Detje