EU-weite Anerkennung, die Möglichkeit zum Studium und Anspruch auf eine Ausbildungsvergütung: Mitte 2017 verabschiedete der Bundestag das sogenannte Pflegeberufereformgesetz, das zum Jahreswechsel in Kraft tritt. Britta Schmidt, Leiterin des Bildungszentrums am Städtischen Krankenhaus Kiel, erklärt im ME2BE-Gespräch, was die künftigen Auszubildenden erwartet, warum sich auch die Arbeitgeber umstellen müssen und was eine gute Pflegefachkraft ausmacht.
ME2BE: Frau Schmidt, zum 1. Januar 2020 gilt die Reform der Pflegeberufe. Hat sich das Bildungszentrum bereits auf die neuen Ausbildungsinhalte eingestellt?
Britta Schmidt: Wir sind auf dem Weg. Die Informationen, die wir bislang bekommen haben, sind doch sehr übersichtlich. Es gibt einen Rahmenlehrplan für Theorie und Praxis, der beide Bereiche sehr passgenau zusammenführt. Das gefällt uns sehr gut, weil wir uns davon eine deutlich bessere Ausbildungsqualität erhoffen.
Wann startet das Städtische Krankenhaus erstmals mit der generalistischen Ausbildung?
Wir fangen am 1. April 2020 mit der Ausbildung an. Das wird auch das letzte Jahr sein, in dem wir nur im Frühjahr anfangen. Wir werden dazu übergehen, zweimal im Jahr mit der Ausbildung zu beginnen.
Worin bestehen Ihrer Ansicht nach die Vorteile der gesetzlichen Neuregelung?
Die Reform bietet viele Chancen. Man kann jetzt mit einer Berufsausbildung die Qualifikation erlangen, Patienten aller Altersgruppen – vom Frühchen bis zum hochbetagten Menschen – pflegerisch zu versorgen. Ein weiterer enormer Vorteil ist die EU-weite Anerkennung der Ausbildung. Das ist für viele junge Menschen eine entscheidende Verbesserung. Besonders in der Alten- und Kinderkrankenpflege war ein Wechsel ins europäische Ausland bislang sehr kompliziert.
Gerade die Alten- und die Kinderkrankenpflege erfahren nicht immer gebührende Anerkennung. Werden die einzelnen Berufe durch die Zusammenlegung aufgewertet?
Das gilt es zu hoffen. Wir haben in den kommenden Jahren den Auftrag, die Ausbildung attraktiver zu gestalten. Der gesellschaftliche Bedarf an Pflegeleistungen ist riesig. Aber gerade in der Altenpflege war die Ausbildung in den vergangenen Jahren wenig attraktiv. Jetzt gibt es eine Ausbildungsfinanzierung, die vergleichbar ist. Ich finde es ganz wesentlich, dass Auszubildende kein eigenes Geld investieren müssen, um ihre Ausbildung absolvieren zu können. Außerdem: Die klassische duale Ausbildung ist ja nur ein Teil der neuen gesetzlichen Regelung. Der zweite ist, dass parallel die Möglichkeit eines grundständigen Pflegestudiums erstmalig zu Ende gedacht worden ist. Auch dadurch erfährt der Pflegeberuf eine Aufwertung…
… gerade für die Perspektiven der Auszubildenden, die zum Beispiel sagen können: Ich schließe noch ein Studium an und gehe dann in die Lehre.
Alles denkbar. Mit Pflegepädagogik, Pflegewissenschaft und Pflegemanagement haben wir drei Säulen, in denen ohne grundständiges Studium heute nichts mehr geht. Viele Wege, die sich jetzt eröffnen – das kennen wir etwa von Architekten und Ingenieuren – führen zu einer verstärkten Akademisierung. In diese Richtung wird es zunehmend gehen: eine Ausbildung machen, Berufserfahrung und Kompetenzen aneignen und dann den nächsten Schritt gehen. Viele Kolleginnen und Kollegen stehen erst viele Jahre am Bett des Patienten, um dann zu sagen: Ich würde gerne mein Wissen weitergeben oder in die Wissenschaft gehen.
Diese Erfahrungen haben Sie ja auch selbst gemacht.
Ja, ich habe 16 Jahre in der Intensivpflege gearbeitet. Die Begeisterung für den Beruf habe ich immer noch, da können Sie mich nachts um drei Uhr wecken. Es ist trotz herausfordernder Rahmenbedingungen ein unendlich sinnstiftender und erfüllender Beruf.
Welche Menschen entscheiden sich für die Pflege?
Der Beruf erfordert eine gewisse Neugierde am Miteinander und eine Bereitschaft, sich empathisch auf Menschen einzulassen, die sich in einer besonderen Lebenssituation befinden. Es ist eine hohe Kompetenz in diesem Beruf, gemeinsam mit dem Pflegeempfänger den Bedarf an Unterstützung aushandeln zu können.
Wird die generalistische Ausbildung ein Erfolgsmodell?
Wir müssen jedes Jahr melden, wie viele Auszubildende sich für welchen Ausbildungsgang entschieden haben: die generalistische Ausbildung, eine Altenpflege- oder Kinderkrankenpflegeausbildung. Ich vermute, dass anhand dieser Vergleichszahlen über die zukünftige Ausbildungsstruktur entschieden wird – mit der aktuellen Aufteilung oder einem zweiphasigen Modell aus Studium oder generalistischer Grundbildung. Die Auszubildenden werden also mit darüber entscheiden, wie die Zukunft der Ausbildung aussieht. Ein Vorteil ist die Flexibilität. Es wird dann hochprofessionelle Arbeitskräfte geben, die ein kleines Kind und im gleichen Maße einen hochbetagten Menschen betreuen können.
Welche Herausforderungen sehen Sie in der Reform?
Die Schwierigkeit ist, drei vormals eigenständige dreijährige Berufsausbildungen zu integrieren, ohne eine Verlängerung der Ausbildungszeit vorzunehmen. Daher können wir nicht mehr so in die Tiefe gehen wie zuvor. Vieles wird sich auf die Zeit nach dem Examen verlagern, die Vertiefung erfolgt durch passgenaue Qualifizierungsangebote.
Man beginnt mit einer breit gefächerten Ausbildung und spezialisiert sich anschließend. Können die Auszubildenden den Anforderungen in der Praxis unter solchen Umständen noch gerecht werden?
Ein bisschen Sorge habe ich mit Blick auf die Kinderpflegekräfte. Da wird es zügig Qualifizierungen geben müssen. Das Fachwissen ist sehr speziell. Hier ist es wichtig, dass wir einen guten Übergang hinbekommen, so dass die Versorgung im Bereich der Kinderheilkunde sichergestellt werden kann.
Wie verläuft die Ausbildung am Bildungszentrum?
Wir starten zunächst mit einem klassischen Einführungsblock. Hier lernen die Auszubildenden die Grundfertigkeiten. Wir merken zum Beispiel immer wieder, dass viele junge Menschen es als Herausforderung empfinden, sich zu Übungszwecken in Sportsachen gegenseitig zu waschen. Dabei lernt man so nachzufühlen, wie es ist, wenn der Oberarm nicht abgetrocknet ist oder das Waschwasser nicht die ideale Temperatur hat. Das sind Selbsterfahrungen, die ein empathisches Hineinspüren und so professionelles Pflegehandeln ermöglichen.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich für eine Ausbildung in der Pflege interessieren?
Wir empfehlen mindestens ein Praktikum oder ein Freiwilliges Soziales Jahr. Es ist eine prägende Erfahrung, 14 Tage hintereinander morgens um sechs mit anderen Pflegekräften eine Übergabe zu machen und in ein Zimmer zu treten, wo jemand die ganze Nacht geschlafen hat. Man dringt in die Intimsphäre ein, begrüßt ihn, spürt körperliche Wärme, Ausdünstungen und Schmerzen. Danach weiß man, ob es einem Freude macht, gemeinsam mit einem Menschen pflegerische Ziele zu erreichen.
Wie sind die Perspektiven der Pflegekräfte nach erfolgreich absolvierter Ausbildung?
Wir wissen noch nicht, wie sich die generalistische Ausbildung in drei, vier Jahren für die neuen Pflegefachkräfte auswirken wird. Aber die Aussichten auf einen sinnstiftenden Beruf und eine Festanstellung sind ausgezeichnet. Ich glaube auch, dass junge Menschen bereit sind, mitzugestalten, wo qualitativ hochwertige Arbeit stattfindet. Denn sie haben die Möglichkeit zu sagen: Ich ziehe weiter, wenn es mir nicht gefällt. Darauf wird sich der Arbeitsmarkt einstellen müssen – das ist auch meine Hoffnung.
Frau Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!
Wir haben mit Britta Schmidt, Leitung für das Bildungszentrum des Städtischen Krankenhauses, auch über die Ausbildung am Städtischen Krankenhaus und ihre Haltung zum Beruf gesprochen.
Mehr zum Thema Ausbildung im Städtischen Krankenhaus Kiel findet ihr auf ME2BE im Artikel-Slider.
TEXT Lutz Timm
FOTO Henrik Matzen