Lassen sich Investments in saubere Kanäle leiten?
Um die Klimaziele zu erreichen, sind gigantische Summen nötig. Neben öffentlichen Mitteln ist privates Kapital gefragt. Den Finanzmärkten kommt damit eine Schlüsselrolle beim Kampf gegen die Erderhitzung zu. Lassen sich Investments in saubere Kanäle leiten?
Woher das Kapital für die Energiewende?
Ab dem kommenden Jahr braucht es jährlich eine Billion US-Dollar, um die Ziele des Pariser Abkommens zur Reduzierung der Treibhausgase zu erreichen. Bis 2030 steigen die nötigen Investitionen sogar auf jährlich 2,4 Billionen US-Dollar, haben die Ökonomen der „High Level Expert Group on Climate Finance“ für die UN-Klimakonferenz ermittelt. Die staatlichen Zuschüsse und Kredite sowie privates Kapital müssten vor allem in die Energiewende, die Anpassung an den Klimawandel und den Erhalt von Naturflächen fließen. Von den Industrieländern versprochen sind aktuell rund ein Zehntel dieses Bedarfs für das kommende Jahr. Dass der fehlende Rest von staatlicher Seite kommt, erscheint angesichts der Kassenlage als fraglich. Also muss privates Kapital mobilisiert werden.
Investoren, die ihr Geld nachhaltig anlegen wollen, orientieren sich zunehmend an den sogenannten ESG-Kriterien. Das Kürzel steht für Environmental, Social and Governance. Die Kriterien gehen weit über den Klimaschutz hinaus und umfassen auch Themen wie Diversität, Menschenrechte, Biodiversität und Korruptionsbekämpfung. Ziel ist mehr Nachhaltigkeit sowohl bei Investitionen als auch in der gesamten Unternehmenspraxis, indem ökologisch und sozial verantwortlich gehandelt wird. Die ESG-Kriterien gehen auf eine Initiative der Vereinten Nationen zurück und wurden auch in Vorgaben der Europäischen Union verankert.
Auf Interesse stoßen nachhaltige Geldanlagen vor allem in Europa, wie eine Studie der Hamburg School of Business Administration zur sogenannten Sustainable Finance darlegt. Beauftragt wurde die Untersuchung von der Initiative Germany Finance, an der auch der Verein Finanzplatz Hamburg beteiligt ist. Der HSBA-Studie zufolge ist das in Europa nachhaltig investierte Kapital rund zehnmal so groß wie in den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Vergleich der europäischen Finanzplätze liegt Deutschland demnach bei nachhaltigen Angeboten klar vorn.
Der Befund in Zahlen: Bei Green Bonds haben Europas Banken global einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent, bezogen auf das insgesamt emittierte Volumen. Wiederum die Hälfte davon entfällt auf Deutschland. Damit zählen Finanzplätze in der Bundesrepublik bei nachhaltigen Geldanlagen zu den zentralen Akteuren auf dem Weltmarkt. Auch bei den grünen Börsengängen in den vergangenen zehn Jahren weist Deutschland nach den USA und China den global größten Anteil auf. Weltweit drei von vier Unternehmen aus dem Segment geben Aktien in diesen drei Staaten aus. In Deutschland sind knapp neun Prozent aller Börsengänge „grün“ – auch das ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert.
Rentiert sich Nachhaltigkeit?
Dass auf Nachhaltigkeit bedachte Unternehmen meist auch eine gute Performance aufweisen, hat die mit der Universität Hamburg verbundene Sustainable Finance Research Group bereits vor knapp zehn Jahren in einer viel beachteten Metastudie belegt. Demnach lohnt sich Nachhaltigkeit nicht nur für Mensch und Natur, sondern auch finanziell. Ein Grundproblem aller Untersuchungen zu dem Themenfeld besteht allerdings darin, „grüne“ Unternehmungen von konventionellen abzugrenzen. Zudem greift Greenwashing auch bei Finanzprodukten um sich. Für mehr Transparenz soll eine neue Methodik sorgen, die der europäische Dachverband für Sustainable Finance (Eurosif) jüngst veröffentlicht hat. Damit soll klarer werden, inwieweit eine Investition zu einer gerechten und nachhaltigen Wirtschaft beiträgt. Beteiligt war unter anderem Professor Timo Busch von der Universität Hamburg.
Der Boom bei grünen Geldanlagen ist aus Sicht des Klimaschutzes erfreulich. Zugleich gehen die Investitionen in fossile Energien kaum gebremst weiter, nicht selten staatlich subventioniert. Nach Einschätzung der Internationalen Energiebehörde übertreffen die Gelder, die in den Ausbau der Solarenergie gesteckt werden, im Jahr 2023 erstmals die Investitionen in die Ölförderung. Die Investitionen in saubere Energien liegen zusammengenommen bei 1,7 Billionen Dollar, rund eine Billion Dollar fließen in Öl, Gas und Kohle. Für den Klimaschutz ist diese Verteilung allerdings nur bedingt eine gute Nachricht. Das Problem: Wenn die Menge an fossilen Brennstoffen, die mit den aktuellen Investitionen verbunden sind, tatsächlich verbrannt wird, sind die Zielmarken bei der Begrenzung der Erderhitzung nicht zu erreichen.
… zwischen Anspruch und Wirklichkeit …
Dass es auch mit der von manchen Konzernen behaupteten ökologischen Wende nicht weit her ist, zeigt die von Greenpeace beauftragte Studie „The Dirty Dozen“ von Steffen Bukold. Der Hamburger Energieexperte analysiert darin, wohin die Gewinne des „Dreckigen Dutzend“ der zwölf europäischen Ölkonzerne fließen. Ergebnis: Im Schnitt steckten die Unternehmen 2022 nur sieben Prozent ihrer Investitionen in erneuerbare Energien, den großen Rest dagegen in konventionelle Infrastruktur.
Nicht nur fossile Konzerne, auch die Finanzbranche steht in der Kritik. In den Bilanzen von Banken und Versicherungen gebe es zu viele klimaschädliche Geschäfte. Laut einer Recherche der Umweltorganisation Urgewald haben Banken in den drei Jahren zwischen 2021 und 2023 weltweit 470 Milliarden US-Dollar an die Kohleindustrie vergeben. Auf die Deutsche Bank entfallen 1,5 Milliarden, auf die Commerzbank rund 600 Millionen US-Dollar. Sich von derartigen „schmutzigen“ Anlagen und Finanzierungen zu trennen, wäre nicht sinnvoll, kontert der Bankenverband. Verkauft man entsprechende Teile der Portfolien, würden weniger regulierte Akteure übernehmen und Umweltauflagen zurückfahren. Immerhin hätten sich, gemessen an der Bilanzsumme, mehr als zwei Drittel der Verbandsmitglieder verpflichtet, die Portfolien der Kunden an den Pariser Klimazielen auszurichten.
Geht es um die Beschaffung von Mitteln für den Klimaschutz, wird die Finanzbranche ebenfalls kritisiert. Der Verein Finanzwende führt das Beispiel der geplanten europäischen Finanztransaktionssteuer an. Die EU-Kommission schätzte die möglichen Einnahmen schon 2011 auf jährlich 57 Milliarden Euro, wenn Aktienkäufe mit 0,1 Prozent und Transaktionen mit Derivaten mit 0,01 Prozent besteuert würden. Die Abgabe wurde nach der weltweiten Finanzkrise – mit der vor rund 15 Jahren in Hamburg und Schleswig-Holstein das milliardenteure Debakel der HSH Nordbank begann – wieder verstärkt diskutiert. Die Idee dahinter: Zum einen für mehr Stabilität im Finanzsystem zu sorgen, indem der automatisierte Hochfrequenzhandel an den Börsen eingedämmt wird. Zum anderen mehr Geld für Armutsbekämpfung und Klimaschutz bereitzustellen. Laut Finanzwende hat es die Finanzlobby allerdings geschafft, die Reformvorschläge zu verwässern. Von den ursprünglichen Zielen sei nach zehn Jahren kaum noch etwas übrig. Der Bankenverband nennt als Argument gegen die Abgabe, dass vor allem weniger kapitalkräftige Anleger belastet würden. Viele Ökonomen, etwa vom DIW Berlin, sehen dagegen Kleinanleger als kaum betroffen an und sprechen sich vehement dafür aus.
Mehr Grüne Investments – die Lösung?
Jenseits des Themas der umstrittenen Steuer betont man beim Bankenverband: Klimaschutz geht nur mit den Finanzinstituten, in deren Vorständen sich immer mehr Chief Sustainable Officer finden. Die sollen dafür sorgen, den Aspekt der Nachhaltigkeit in Kreditprozesse zu integrieren und ESG-Risiken zu beachten. Insbesondere im Firmenkundenbereich werde Know-how aufgebaut, um Kreditnehmer bei der grünen Transformation beraten zu können. Dabei lasse sich Nachhaltigkeits- und Kapitalmarktexpertise kombinieren.
Dem Forum Nachhaltige Geldanlagen zufolge fließt in Deutschland inzwischen mehr als jeder zehnte Euro in grüne Investments. Das Wachstum des Segments ist beeindruckend – aber es dürfte allein nicht ausreichen, um die Ziele etwa bei Klima und Biodiversität zu erreichen. Solange ordentliche Renditen winken, wird weiter in „braune“ Kapitalanlagen investiert. Deshalb braucht es auch staatliche Vorgaben – möglichst auf internationaler Ebene. Mit der sogenannten Taxonomie der EU und den derzeit verhandelten Transitionsplänen bewegt sich einiges bei der Regulatorik. Ein starker Hebel ist auch ein hoher CO2-Preis. Dadurch dient die Atmosphäre nicht länger als kostenlose Deponie. Zugleich werden Mittel für Klimaschutz und -anpassung gewonnen. Angesichts des riesigen Finanzbedarfs, den das 1,5-Grad-Ziel mit sich bringt, müssen die Staaten aber weitere Quellen anzapfen und etwa bei der Steuerflucht ansetzen.
TEXT Peter Ringel
ILLUSTRATION Ibou Gueye